Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Die Leute schämen sich nicht mehr“Geflüchtete in Rhein-Sieg erleben immer mehr Rassismus

Lesezeit 6 Minuten
Vor allem Menschen mit Fluchtgeschichte aus dem arabisch-muslimischen Raum fühlen sich zunehmend unsicher.

Vor allem Menschen mit Fluchtgeschichte aus dem arabisch-muslimischen Raum fühlen sich zunehmend unsicher. 

Wachsender Rassismus trifft vor allem Menschen mit Fluchtgeschichte aus dem muslimisch-arabischen Raum. Betroffene aus Niederkassel berichten.

„Hey, spreng dich bitte nicht in die Luft.“ „Witze“ wie diesen muss Jamal Khatib sich oft anhören, vor allem von Arbeitskollegen. „Manchmal redet der Produktionsleiter über uns als ‚Affen‘“. Immer wieder kämen von seinem Chef negative und entmenschlichende Kommentare über Menschen mit Fluchterfahrung wie ihn. „Dann schauen mich alle anderen an, weil sie ja wissen, dass ich auch Flüchtling bin – und dann sagt mein Chef zu mir, ‚du bist ein guter Mensch, du bist kein Flüchtling‘.“

Mehrere Menschen mit Fluchtgeschichte, kontaktiert durch die ehrenamtliche Integrationsinitiative InterKultur Niederkassel, sind an diesem Tag in der Maria-Magdalena-Kirche in Rheidt zusammengekommen. Sie berichten von alltäglichem Rassismus, den sie in den vergangenen Jahren immer häufiger erleben mussten.

Bedrohliche Blicke, rassistische Sprüche: Sie fühlen sich nicht willkommen

„Diese Blicke, wie die Menschen dich angucken, das wird bedrohlicher“, sagt Jamal Khatib. Der 29-Jährige heißt eigentlich anders; da er anonym bleiben möchte, haben wir seinen Namen geändert. Mit seiner Frau ist er aus Palästina geflüchtet, seit 2016 lebt er in Deutschland.

„Manche sagen auch zu mir, ‚du bist ja viel zu weiß, du siehst gar nicht aus wie ein Ausländer‘. Was hat das damit zu tun?“ fragt Khatib. Wenn er mit seiner Frau unterwegs sei, die ein Kopftuch trägt, merke er, dass sie ganz anders angestarrt werde als er, wenn er allein unterwegs ist. „Meine Frau sagt, ‚manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute denken, ich werde gezwungen, ein Kopftuch zu tragen‘“, sagt Khatib.

Die Leute schämen sich jetzt nicht mehr, zu sagen, dass sie die AfD gewählt haben, dass sie hier keine Menschen mit internationaler Familiengeschichte wollen.
Abbas Obaid, Integrationsrat Niederkassel

Etwa 600 Menschen mit Fluchterfahrung lebten in Niederkassel, berichtet Matthias Ferring, Sprecher von Interkultur Niederkassel. Mit Unterstützungsangeboten wie den Interkultur-Cafés erreiche die Initiative etwa 150 bis 200 Menschen. Immer häufiger berichteten vor allem Geflüchtete aus dem arabisch-muslimischen Raum, dass sich rassistische Beschimpfungen häuften und damit das Gefühl schwinde, willkommen zu sein.

Für Abbas Obaid hat das auch mit dem Erstarken rechtsextremer Bestrebungen wie der AfD zu tun. „Die Leute schämen sich jetzt nicht mehr, zu sagen, dass sie die AfD gewählt haben, dass sie hier keine Menschen mit internationaler Familiengeschichte wollen“, sagt Abbas Obaid. 2015 ist der 35-Jährige aus dem Irak geflüchtet, heute engagiert er sich unter anderem bei Interkultur Niederkassel, in der Initiative Niederkassel für Demokratie und ist Vorstandsmitglied im Landesintegrationsrat NRW.

Rechte Parteien und der wachsende Hass in sozialen Medien wie TikTok

„Die Willkommenskultur wird immer weniger und weniger“, sagt Obaid. Er beobachtet eine steigende Unzufriedenheit in der Deutschen Gesellschaft seit der Corona-Pandemie. Dazu komme die steigende Unsicherheit durch Kriege und wirtschaftliche Krisen in den vergangenen Jahren. „Diese Unzufriedenheit nutzen diese rechtsextremen Parteien, damit sie mehr Stimmen bekommen.“

Obaid ist der Meinung, dass Begriffe wie „Flüchtling“ Menschen nicht nach vorn bringen, sondern nach hinten. Deshalb bevorzugt er den Ausdruck „neue Einwohner mit Fluchterfahrung“.

Der aus dem Irak geflüchtete Taha Almajami (l.) und Abbas Obaid (r.) von InterKultur Niederkassel

Der aus dem Irak geflüchtete Taha Almajami (l.) und Abbas Obaid (r.) von InterKultur Niederkassel

Auch Adil Saleh (21) möchte anonym bleiben. „Als ich in Deutschland angekommen bin, kam ein Polizist auf mich zu und fragte: ‚Warum bist du zu uns gekommen? Syrien ist ein sicheres Land.‘ Das war vor zwei Jahren.“ Der Polizist habe weitergeredet, die Leute aus Syrien lebten in Deutschland von seinen Steuern und machten dann in Syrien Urlaub. „Ich war sprachlos – was soll ich da sagen?“, sagt Saleh, „ich war erst 18 und wusste noch nicht, was Rassismus ist. Außerdem hatte ich Angst vor der Polizei.“

Letztens sei er mit einem Freund unterwegs gewesen, als plötzlich eine ältere Frau auf beide zugekommen sei. „Sie sagte dann, ‚ihr seid Flüchtlinge, ihr klaut unser Geld‘. Einfach so. Warum, verstehe ich nicht.“ Er sei dann einfach weggegangen, versuche, solche Erfahrungen zu ignorieren.

In den sozialen Netzwerken, egal wo, gibt es Tausende Hasskommentare, wenn es um Geflüchtete geht.
Taha Almajami, geflüchtet aus dem Irak

Taha Almajami (26), geflüchtet aus dem Irak, erzählt von einer Busfahrt. „Der Busfahrer hat von niemandem das Ticket kontrolliert, außer von mir. Dann habe ich ihn gefragt, warum er nur mein Ticket sehen wollte. Er sagte dann, ‚weil ich will‘.“ Er habe sich nicht auf eine Diskussion einlassen wollen, auch wegen Sprachbarrieren.

Als er gerade die Nachricht zu seiner Abschiebung bekam, arbeitete Taha Almajami in einem Restaurant. Jemand hatte Kekse gebacken, die etwas verbrannt waren. „Die hast bestimmt du gebacken, die sehen aus wie dein Gesicht“, sagte ein Mitarbeiter zu ihm. Später habe er sich entschuldigt. 

Sorge, den Job zu verlieren, wenn man Rassismus im Arbeitsalltag anspricht

„Mehr als lachen und das ignorieren kann ich nicht, ich will ja auch kein großes Theater machen“, sagt Jamal Khatib über den Umgang mit alltäglichen rassistischen Erfahrungen. „Ich bin ja außerdem im Einbürgerungsverfahren.“ Als ihn ein betrunkener Mann kürzlich rassistisch beleidigt habe, habe er nur gesagt: „Ich hoffe, Ihnen geht es gut.“ Wenn er einen rassistischen Vorfall auf der Arbeit melden würde, würde er gekündigt werden, ist er sich sicher.

Social Media hat viel mit diesem wachsenden Rassismus zu tun“, sagt Taha Almajami, „in den sozialen Netzwerken, egal wo, gibt es Tausende Hasskommentare, wenn es um Geflüchtete geht.“ „Aber wer postet solche Beiträge? Die AfD“, sagt Adil Saleh.

Diese Blicke, wie die Menschen dich angucken, das wird bedrohlicher.
Jamal Khatib (Name geändert), geflüchtet aus Palästina

„Ich kenne Leute, die nur wegen Facebook und Tiktok die AfD gewählt haben“, sagt Jamal Khatib, „Die kennen das Wahlprogramm gar nicht, sie kennen die Konsequenzen nicht.“ Er spricht über seine Nachbarn, die ihm gegenüber freundlich seien, aber offen äußerten, dass sie die AfD wählten. „Sie denken, die AfD möchte nur die Leute rausschicken, die nicht arbeiten wollen. Die wissen gar nicht, was alles dahintersteckt“, sagt der 29-Jährige.

„Wenn die AfD an die Macht kommt, was sollen wir machen?“, fragt Taha Almajami. „Dann wurde sie demokratisch gewählt.“ Er habe den Eindruck, dass es oft an historischer Bildung mangele. „Was war das, 1933? Viele junge Leute haben gar keine Ahnung mehr. Gerade die jüngere Generation, da sind rassistische Gedanken stark verbreitet.“

„Die AfD und populistische Gruppen sind in den sozialen Medien sehr schlau und haben dadurch viel Einfluss“, schildert Abbas Obaid, „und die jungen Leute, die du überall siehst, in der Stadt, im Bus – sie schauen ja die ganze Zeit auf TikTok und Instagram.“ Um diesem rechten Hass, der dort verbreitet wird, etwas entgegenzusetzen, müssten auch andere Parteien und politische Gruppen aktiver auf sozialen Medien werden, dort gute und hoffnungsvolle Geschichten teilen, so Obaid.

Er hoffe, dass die Menschen erkennen, dass die AfD sich selbst in ihren Argumenten widerspreche, sagt Abbas Obaid. „Es gibt 25 Millionen Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Deutschland – wie soll diese Gesellschaft funktionieren, wenn sie nicht mehr da sind? Darauf gibt die AfD keine richtige Antwort.“