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Zweiter Weltkrieg in SiegburgKaldauens schwärzester Tag

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Siegburg/Neunkirchen-Seelscheid – Der 23. März 1945, ein Freitag, ist der schwärzeste Tag in der 944-jährigen Geschichte des Siegburger Stadtteils Kaldauen. Im Morgengrauen dieses schönen Frühlingstages kamen auf der Hauptstraße am Ortsausgang, etwa in Höhe der Einmündung der heutigen Paul-Moog-Straße, 18 Zwangsarbeiter durch Beschuss amerikanischer Soldaten ums Leben. Sie waren auf dem Weg von den Kölner Fordwerken nach Neunkirchen, um dort Panzersperren zu bauen.

Überall Leichenteile

Den Helfern bot sich ein „grauenvolles Bild“, wie Ferdi Homge, damals zwölf Jahre alt und mit seinem Vater Heinrich einer der ersten an der Unglücksstelle, sich erinnert. Überall Leichenteile, auf der Straße, den benachbarten Grundstücken, in den Bäumen. Deutsche Soldaten und andere Nachbarn eilten herbei, um die Verletzten zu bergen. Sie brachten sie in die nahe gelegene Schule und in das an die Unglücksstelle grenzende Haus der Familie Heck. Teils wurden die um Hilfe schreienden Verletzten wegen der Bedrohung durch die amerikanischen Scharfschützen durch die Kellerlöcher in Sicherheit gebracht. Ein deutscher Militärarzt versorgte die Verletzten, assistiert durch die Krankenpflegerin Katharina Schmidt. Nachbarn brachten Stroh herbei, um den Verletzten Betten zu bereiten, versorgten sie mit Suppe. Ein weiterer Zwangsarbeiter starb an seinen schweren Verletzungen.

„Unser Haus war wie ein Lazarett“, beschreibt Else Tiesler das damalige Chaos, „überall Blut und das Stöhnen der Verletzten“. Und nach wenigen Tagen machte sich Verwesungsgeruch breit, obwohl die 19 Toten noch am selben Tag in einem Massengrab in unmittelbarer Nähe der Unglücksstätte vorläufig bestattet wurden.

Mit dem Feuerüberfall in Kaldauen war das Martyrium der übrigen 21 Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter aber noch nicht beendet. Sie wurden weiter getrieben nach Neunkirchen, wo sie mit 200 anderen Menschen im Saal der Gaststätte Küpper sowie in der Scheune der Familie Kraus eine Bleibe fanden. Aber auch hier kamen sie in das Fadenkreuz amerikanischer Truppen. In der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag des Jahres 1945 (31. März/1. April) brach über sie ein weiteres Inferno herein mit einem Ergebnis, das so fürchterlich wie eine Woche vorher in Kaldauen war. 24 Tote mussten am nächsten Tag auf dem nahe gelegenen Friedhof begraben werden. Von den Fremdarbeitern, die von Köln über Kaldauen nach Neunkirchen zwangsweise geführt wurden, sind dank der Recherchen von Heimatforscher Paul Schmidt (Neunkirchen) nur zwei Namen bekannt: Amadeo Lonzi, geboren am 8. Juni 1924 in den italienischen Abruzzen, und sein Freund Antonio Fassina, ebenfalls aus Mittelitalien. Nur Antonio überlebte, seine letzte Ruhestätte fand Amadeo in Neunkirchen.

Auf Ehrenfriedhof umgebettet

Was geschah mit den Kaldauer Toten? Im März 1946 wurden sie mit 23 anderen Kriegstoten auf einem neu angelegten „Ehrenfriedhof“ bei Allner umgebettet. Josef Caspers, Bürgermeister des Amtes Lauthausen, legte in Anwesenheit des in Siegburg residierenden Militärgouverneurs, Major Morris, an den Gräbern der Fremdarbeiter einen Kranz nieder mit der Aufschrift: „Ruhet in Frieden ihr Toten der Vereinten Nationen“. Damit erfuhren die Frauen und Männer, die gegen ihren Willen aus ihrer Heimat nach Deutschland gebracht wurden und hier unter unwürdigsten Bedingungen ausgebeutet wurden, eine späte Anerkennung ihrer menschlichen Würde: Im Tod waren sie nicht mehr Menschen zweiter Klasse, ihre Namen, ihr Lebensalter und ihre Heimat ließen sich allerdings nicht mehr ermitteln. Eine endgültige Ruhestätte fanden sie am 18. November 1949 auf dem Soldatenfriedhof in Königswinter-Ittenbach.

Während die Öffentlichkeit in Neunkirchen schon seit sieben Jahrzehnten sich der Verantwortung für das Gedenken an die zu Tode gekommenen Zwangsarbeiter bewusst ist, spielte das Massaker in Kaldauen im öffentlichen Bewusstsein bislang keine Rolle. Dem örtlichen Ökumenischen Gesprächskreis ist es zu verdanken, dass nun der Mantel des Vergessens über den schwarzen Freitag des Jahres 1945 gelüftet wurde. Bei einem Vortrag im voll besetzten Pfarrsaal der Liebfrauengemeinde kamen auch die „Drangsale der Bevölkerung“ in den letzten Kriegswochen und die mutige Tat des Arbeiters Heinrich Walterscheid zu Wort, der für eine gewaltfreie Übergabe seines Dorfes an die Amerikaner sorgte. Pfarrer Martin Kutzschbach sprach in einem Gebet von der Schuld der Deutschen, der es „standzuhalten“ gilt, die nicht „verharmlost“ und „nicht weggeredet“ werden dürfe. Andere Versammlungsteilnehmer regten an, in Kaldauen eine Gedenkstätte für die Zwangsarbeiter zu errichten.