Siegen im RheinlandÜber die Hügel der Krönchenstadt

Impressionen aus Siegen: Der Park des Oberen Schlosses.
Copyright: Fotos: Carolin Raab (2), picture alliance
Siegen – „Definitiv zu bergig!“ So oder so ähnlich lautet die Einschätzung mancher Ausflügler, die Siegen zum ersten Mal besuchen. Und zugegebenermaßen wird man in Siegen, das wie einst das altehrwürdige Rom auf (mindestens) sieben Hügeln erbaut wurde, mit dem Fahrrad nicht allzu weit kommen – es sei denn, man hat das Lungenvolumen eines Tour de France-Athleten bei der Bergetappe. Das ist allerdings keinesfalls ein Grund, Siegen nicht kennenzulernen. Wer sich auf die Stadt einlässt, kommt in den Genuss von all dem, was sie ihren Gästen zu bieten hat: gleich zwei Schlösser, einen weltberühmten Maler, und jede Menge spannende Geschichte(n).
Geprägt vom Bergbau
Siegens Stadtmitte teilt sich auf in Unter- und Oberstadt: Erstere ist vor allem das Shopping- und Ausgehviertel; oben auf den Hügeln gibt es mehr Kunst, Kultur und hippe Restaurants und Bars. Am Hauptbahnhof angekommen, führt der erste Weg am besten über die Bahnhofstraße in Richtung Siegufer – die erst vor einigen Jahren neu gestalteten Treppen am Fluss sind der ideale Ort, um an heißen Tagen ein Eis zu schlecken und Sonne zu tanken. Aufmerksame Beobachter bemerken hier sofort die zwei Bronzestatuen auf der Brücke: den Bergmann Henner, im aufrechten Gang trotz der schweren Spitzhacke, die er auf seiner Schulter trägt, und den Hüttenmann Frieder, die eiserne Schmiedezange fest im Griff.

Impressionen aus Siegen: Mittagspause an der Sieg.
Copyright: Fotos: Carolin Raab (2), picture alliance
Diese beiden repräsentieren das industrielle Erbe des Siegerlandes, das jahrhundertelang vom Bergbau sowie der Eisenerz- und Stahlverarbeitung geprägt war. Henner und Frieder (nicht verwechseln!) sind übrigens nicht nur treue Brückenwächter, sondern auch das Siegener Äquivalent zu den berühmten „Ampelmännchen“ in Berlin: Wenn man als Fußgänger die Hauptstraße in Richtung Oberstadt überqueren will und auf grünes Licht wartet, erscheinen die beiden.
Historischer Doppeldecker „Hübbelbummler“
Die Kölner Straße, die Unter- und Oberstadt verbindet, hält den Rekord als steilste Fußgängerzone Deutschlands. Wer nicht ganz so gut zu Fuß ist oder den Berg nicht hochlaufen möchte, kann aber natürlich einfach den Bus nehmen. Mittwochs und samstags gibt es dafür einen charmanten und preisgünstigen Geheimtipp: den „Hübbelbummler“. Dieser historische Doppeldeckerbus mit seinem rot-gelben Anstrich versprüht nostalgischen Charme: Die Fahrscheine werden eigens bei dem (stilecht mit Lochzange und Geldwechsler ausgestatteten) Schaffner gekauft und entwertet. Der Hübbelbummler startet in der Unterstadt am Jakob-Scheiner-Platz beim Apollotheater und macht auf seiner kleinen Rundtour unter anderem Station am Unteren Schloss. Unter dieser ehemaligen Residenz der Fürsten aus der Linie Nassau-Siegen haben einige Mitglieder des alten Adelsgeschlechts ihre letzte Ruhestätte gefunden. Wer Lust hat, sich ein wenig zu gruseln, kann die Fürstengruft immer sonntags im Rahmen einer kostenlosen Führung besichtigen.
Drei weitere Tipps
1. Das Beste zum Schloss
Jeden Sonntag um 16 Uhr finden im malerischen Innenhof des Oberen Schlosses Konzerte von regionalen Bands, Chören und Orchestern statt – Eintritt ist hier frei. Im Sommer werden an den Wochenenden auch abends verschiedene Theater-, Poetry-, Musik- und Kabarettveranstaltungen angeboten. Im Schlosshof herrscht immer eine ganz besonders gemütliche Atmosphäre! Infos und Tickets gibt es online unter www.kultursiegen.de
2. Für Wanderfreunde
Siegen-Wittgenstein ist der waldreichste Kreis Deutschlands und somit ein beliebtes Ziel für Naturfreunde. Der etwa zwölf Kilometer lange historische Rundweg im Siegener Ortsteil Achenbach gibt einen spannenden Einblick in die regionale Kulturgeschichte. Familien mit Kindern sind im Erlebniswald Historischer Tiergarten an der richtigen Adresse – hier lernen große und kleine Besucher viel Spannendes über den Wald und seine tierischen Bewohner.
3. Nachtwächterführung
„Hört ihr Leut und lasst euch sagen...“ Wer abends etwas mehr Zeit hat, kann sich von Nachtwächter Balthasar ins Jahr 1576 entführen lassen. An jedem dritten Freitag im Monat macht der einsame Wächter mit seinen Gästen einen nächtlichen Rundgang durch die Oberstadt und durch die Geschichte des mittelalterlichen Siegens. Anmeldung und Ticketkauf am besten per Mail an stadtmarketing@siegen.de.
Seit 2016 dienen Teile des Unteren Schlosses als modernes Campusgebäude: Sie beherbergen nun die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Siegen. Der Innenhof ist zudem vor allem im Sommer ein beliebter Ort für Veranstaltungen. Gleich um die Ecke befindet sich auch das Museum für Gegenwartskunst (MGK): Hier werden Werke zeitgenössischer Maler, darunter Sigmar Polke und Francis Bacon, ausgestellt.
In unmittelbarer Nähe zum Unteren Schloss und dem Museum für Gegenwartskunst liegt die alte Poststraße, leicht zu erkennen an den Statuen eines Hirten mit seiner Kuhherde. Um die Poststraße herum tummeln sich viele der besten Restaurants (Tipp: ein echtes „Siegerländer Krüstchen“ oder eine der heimischen Biersorten wie Krombacher, Irle oder Erzquell probieren), Bars und Kneipen. Einige davon haben herrlich schräge Konzepte: die Bar „Schacht“ ist zum Beispiel in den Räumlichkeiten einer ehemaligen öffentlichen Toilettenanlage entstanden. Nicht nur Siegens Studierende tummeln sich hier freitags gerne für einen Cocktail oder Gin. Auch Tastings, also Getränkeverköstigungen, werden im „Schacht“ regelmäßig angeboten.
Für Kunstliebhaber: Sigmar Polke und Francis Bacon
Der Aufstieg durch die Oberstadt führt als nächstes über den Marktplatz, wo es nach dem besuch des Unteren Schlosses ein weiteres Mal „fürstlich“ wird: auf der Spitze der Nikolaikirche mit ihrer weiß-roten Fassade prangt das Wahrzeichen der Stadt Siegen, das Krönchen. Das Original wurde 1652 durch den Fürsten Johann Moritz zu Nassau-Siegen gestiftet, seit 1993 ziert ein originalgetreuer Nachbau die Spitze der Nikolaikirche.
Der Streit um Peter Paul Rubens

Impressionen aus Siegen: Die Statue erinnert an den Streit der drei Städte.
Copyright: Fotos: Carolin Raab (2), picture alliance
Obwohl der Barockmaler Peter Paul Rubens (1577-1640) nur das erste Jahr seines Lebens dort verbrachte, schmückt sich Siegen gern mit dem Titel „Rubensstadt“. Dass der Maler tatsächlich in Siegen zur Welt kam, war allerdings lange umstritten: Köln und Antwerpen, wo Rubens hauptsächlich lebte und arbeitete, erhoben Anspruch darauf, die Geburtsstadt des Künstlers zu sein. Doch wie sich herausstellte, gebührte Siegen dieser Titel – durch eine kuriose Wendung der Geschichte. In den 1560er Jahren flohen Rubens’ Eltern, Jan und Maria, mit ihren Kindern vor religiösen Unruhen aus ihrer Heimat Antwerpen nach Köln. Dort begann Jan Rubens angeblich eine Affäre mit Anna von Sachsen, der Ehefrau des Prinzen Wilhelm I. von Oranien.
Als Wilhelm, dessen Residenz in der Nähe von Siegen lag, von dem Verhältnis erfuhr, ließ er Rubens senior verhaften und einsperren. Rubens’ Mutter Maria wollte ihrem Ehemann beistehen und reiste ihm nach. Jan Rubens wurde für mehrere Jahre unter Hausarrest gestellt. Diese Zeit verbrachte die Familie in Siegen, wo 1577 Peter Paul geboren wurde. 1578 kehrten die Rubens’ schließlich nach Köln zurück. Heute erinnert im Park des Oberen Schlosses in Siegen eine Statue (Foto) an den Streit der drei Städte. (crb)
Jetzt trennt nur noch ein letzter kurzer Aufstieg von einem – im wahrsten Sinne des Wortes – Höhepunkt der Tour durch Siegen, dem um 1200 erbauten Oberen Schloss. Dieses hat nicht nur einen wunderschön bepflanzten Park, in dem sich unter anderem ein Abenteuerspielplatz für Kinder befindet, zu bieten. Hier ist auch das Siegerlandmuseum ansässig. Wer mehr über die Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Stadt erfahren will, ist dort goldrichtig: So gibt etwa ein Schaubergwerk in 14 Metern Tiefe Einblicke in die Arbeit in den Siegerländer Gruben.
Kunstfreunde kommen hier ebenfalls auf ihre Kosten, denn im Museum sind die Werke von Siegens berühmtestem Sohn ausgestellt: dem Barockmaler Peter Paul Rubens. Die Arbeiten von Rubens selbst sowie seiner Zeitgenossen sind im Rubenssaal des Oberen Schlosses zu bewundern. Zu Ehren des Meisters vergibt die Stadt Siegen zudem alle fünf Jahre den Rubenspreis an Persönlichkeiten der europäischen Malerei.
Auf dem Rückweg in die Unterstadt bietet sich ein Abstecher durch die Altstadt an. Hier kann man die für das Siegerland typischen Fachwerkhäuser bewundern. Dieses Viertel bot im Mittelalter vor allem den Handwerkern ein Zuhause: Daran erinnern noch heute die idyllischen Gässchen, die Namen wie zum Beispiel „Metzgerstraße“ tragen. Ein Besuch in Siegen lohnt sich also – jede und jeder kann die „kleine Großstadt“ auf ganz eigene Weise kennen und schätzen lernen. Nur eines sollte man in Siegen niemals tun, nämlich die Frage stellen: „Was ist schlimmer als verlieren?“

Impressionen aus Siegen: Die Nikolaikirche, auf deren Spitze das „Krönchen“ prangt, dem die Stadt ihren Spitznamen verdankt.
Copyright: Fotos: Carolin Raab (2), picture alliance
Anreise: Vom Kölner Hauptbahnhof fährt der Regionalexpress (RE) 9 stündlich bis zur Endhaltestelle Siegen durch. Alternativ nimmt man die S-Bahn 12 bis Au (Sieg) und steigt dann in die RB-Linie 90 bis Siegen HBf um.