Veedels-CheckMarienburg - eine geschlossene Gesellschaft?

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Die Villen von Marienburg von oben

Köln-Marienburg – Hält man im Jahr 2018 zusammen in den Veedeln? Gibt es sie noch, die typisch kölschen Veedel? Mehr als 30.000 Kölner haben sich an unserer nicht repräsentativen Umfrage beteiligt und Noten für Ihre Stadtteile verteilt. Alle 14 Tage veröffentlichen wir die Ergebnisse von fünf weiteren Veedeln.

Die Ergebnisse zu den bislang veröffentlichten Stadtteilen mit Bewertungen zu den Themen Verkehr, Einkaufen, Sicherheit und vielem mehr finden Sie hier.

Marienburg - das Porträt

Wer Marienburg ohne Auto besucht, landet fast zwangsläufig an der Kreuzung von Pferdmenges- und Leyboldstraße, die sich zum Südpark hin als Platz aufweitet. Der Kiosk in der Mitte, untergebracht im ehemaligen Straßenbahnhäuschen, lädt mit Klappstühlen auf der angrenzenden Wiese, mit italienischer Kaffeemaschine, hausgemachtem Kuchen und frisch belegten Brötchen zum Verweilen ein – ein Angebot, das auch viele Marienburger gerne annehmen. Denn im Inneren des Villenviertels gibt es sonst eigentlich keinen Treffpunkt, vom nahen Südpark mit Spielplatz, Hundeauslauf und einem bei Heranwachsenden beliebten Halbrund aus Parkbänken einmal abgesehen.

Kneipen? Geschäfte? Cafés? Fehlanzeige. Und so bleibt Besuchern und Bewohnern eben der Kiosk. Jogger, Straßenkehrer der AWB, Handwerker, Busfahrer und Fahrgäste der Linie 106, die hier endet, Hundehalter und Schulkinder auf dem Weg nach Hause – sie machen den Kundenkreis unter der Woche aus. „Am Wochenende ist aber am meisten los“, sagt Simone Kluger, die sich mit Inhaberin Sarah Dudda um den Wareneinkauf und das Organisatorische kümmert.

Dann klettern die Kinder auf die Hocker vor dem Verkaufsfenster, um sich ein Eis auszusuchen, und ihre Eltern kaufen Magazine wie „Mallorcas schöne Seiten“ für 15,80 Euro. Dann ist Leben auf den Marienburger Straßen. „Wenn das Wetter schön ist“, schränkt Kluger ein. Und wenn es regnet?

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Denkmalgeschützter Brunnen in der Parkstraße

Man muss sich die Marienburger wohl als sehr private Menschen vorstellen. Treffpunkte brauchen sie nicht. Und wenn sie spontan Gesellschaft suchen? „Wir schauen einfach beim Nachbarn vorbei oder gehen aus in der Südstadt“, sagt Damian Franzen. Seit seinem zweiten Lebensjahr wohnt er in dem Stadtteil, der von der Rheinuferstraße, Gürtel, Bonner Straße und Militärring umtost ist. „Wir kennen uns alle“, sagt Franzen. Und der Herzspezialist betont: Ein Nobelvorort sei Marienburg sicherlich, aber „kein Ghetto“. Privat aber nicht exklusiv, könnte das heißen.

„Es ist easy für neue Nachbarn da reinzukommen“, sagt Franzen. Das mag dem gängigen Vorurteil über „die Marienburger“, dem Bild, das die vielen hohen Hecken und Zäune entlang der baumgesäumten Straßen vermitteln, nicht unmittelbar entsprechen. Und doch spricht einiges dafür, dass Franzen recht hat. Auch in Marienburg vollzieht sich ein Wandel, der natürlich mit dem Wachstum der gesamten Stadt zu tun hat.

Mehr junge Familien ziehen hierher, und für sie entstehen Eigentumswohnungen neben herrschaftlichen Villen auf schlossgartenähnlichen Grundstücken. Das führt zu ambivalenten Gefühlen. Trotz der Frischzellenkur, die dem Stadtteil sicher gut tut, sehen Franzen und andere gerade dadurch seine Einzigartigkeit gefährdet: die Weitläufigkeit und die prachtvoll inszenierte Architektur. Seit dem 19. Jahrhundert haben Kölner Fabrikanten, Bankiers und andere Angehörige der Oberschicht ihre Villen rund um den namensgebenden (und ebenfalls prunkvoll ausgebauten) Gutshof Marienburg errichten lassen. Viele dieser Familien sind zwar weg. In vielen Häusern residieren heute diplomatische Einrichtungen, Firmen und Verbände mit großem Repräsentationsbedarf.

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Die Neubausiedlung Lindenpalais in Marienburg

Doch immer wieder werden Häuser und Grundstücke auch verkauft an Investoren, die in der Weitläufigkeit vor allem Potenzial zur Verdichtung und Ertragssteigerung sehen. Sie teilen große Villen in Eigentumswohnungen, große Grundstücke in mehrere Baufelder auf. „Alles wird dem schnöden Mammon geopfert“, sagt Franzen.

Bei der Klage wollten es einige Marienburger aber nicht belassen. 2012 gründeten sie mit der Interessengemeinschaft Marienburg einen waschechten Bürgerverein im Villenviertel. Franzen wurde zum Vorsitzenden bestimmt. Sie veröffentlichten kurz nach der Gründung das „Marienburger Manifest“ mit dem erklärten Ziel, den „Villencharakter“ des Stadtteils zu erhalten. Seitdem kämpfen sie gegen Bauvorhaben wie das Lindenpalais: eine vornehme aber dichte Neubausiedlung auf dem früheren Grundstück des Städtetags. Und offenbar steht ein großer Teil des Viertels hinter ihnen.

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Blick aus dem Südpark auf ein Marienburger Wohnhaus

In ihrem Kampf steht es ganz gut für die selbst ernannten Villenschützer: Mit dem damaligen Oberbürgermeister Jürgen Roters traf man nach Franzens Darstellung eine Vereinbarung, die bis heute gilt. Drei bis vier Mal im Jahr, so Franzen, wird die IG zu Rate gezogen, wenn Bauvorhaben bei der Stadtverwaltung angefragt werden. „Wir werden gefragt, wie wir das sehen“, sagt er zufrieden und verweist auf einen Fall, in dem ein Mitglied der Interessengemeinschaft selbst betroffen war.

Nach Beratung zwischen Stadt und IG durfte es der Nachbar nicht umsetzen. Auch beim jüngst vorgestellten Vorhaben hat sich der Einfluss der Marienburger bemerkbar gemacht. Für das frühere polnische Konsulat stellte die Düsseldorfer Gentes Gruppe einen Entwurf vor, der die geplanten neuen Häuser auf dem Grundstück zugunsten der historischen Villa und eines gartenähnlichen Eindrucks stark zurücknimmt. Klar sei aber auch, so Franzen, dass eine „30-Zimmer-Villa“ nicht auf ewig in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben könne.

Die Marienburger sahen früh, dass ihr Engagement nicht folgenlos blieb und setzten sich sogleich das nächste Ziel. Bevor die Großbaustelle für die Stadtbahntrasse auf der Bonner Straße beginnt, soll das Viertel für den Durchgangsverkehr so unattraktiv wie möglich werden. Und auch damit sind sie erfolgreich. In mehreren Sitzungen erarbeiteten sie mit der Stadtverwaltung ein Konzept für Marienburg und Bayenthal, das von der Politik versuchsweise beschlossen und von der Stadt zügig umgesetzt wurde. Nicht jeder ist mit dem Ergebnis zufrieden.

Durchfahrverbote riegeln Marienburg ab

Einige Bayenthaler, deren Goltsteinstraße als Einkaufsstraße auch aus Marienburg gut erreichbar bleiben soll, fühlen sich übervorteilt. Einbahnstraßen, Durchfahrverbote und Abbiegevorschriften riegeln die Marienburg so gut ab, dass manche Bewohner befürchten, nicht mehr zu ihrem Haus zu gelangen. Rodenkirchener Geschäftsleute fürchten um die zahlungskräftige Kundschaft, die von nun an Umwege zu ihren Geschäften fahren muss.

Aber auch wenn manche Diskussion noch nicht zu Ende geführt, mancher Streit nicht beigelegt ist: Das öffentliche Ringen um eine gemeinsame Position, die Arbeitskreise und Runden Tische passen jedenfalls nur schwer zum Klischee der zurückgezogenen Villenbewohner, die über den Dingen schweben. Gut möglich, dass der Zuzug von jungen Familien auch dazu geführt hat, dass sich nicht nur die Marienburger Straßen sondern auch die Diskussionen auf ihnen mit mehr Leben gefüllt haben.

Das sind die wichtigsten Baustellen in Marienburg

Der Bau der Stadtbahn auf der Bonner Straße, steigende Grundstückspreise – die übergeordnete Frage bleibt auch in den kommenden Jahren relevant: Wie erhält Marienburg seine Identität angesichts der sich wandelnden Stadt? Nach der Diskussion um die neue Verkehrsführung im Stadtteil bleibt abzuwarten, ob sich der gewünschte Effekt einstellt: die Verringerung des Durchgangsverkehrs auf den mitunter recht breiten Marienburger Straßen. Sollte das nicht der Fall sein, wollen Stadtverwaltung und Bürgerverein nachjustieren. Alt und Neu als Leitmotiv Die Verbindung von Alt und Neu könnte auch in den nächsten Jahren das Marienburger Leitmotiv bleiben. Demnächst steht das Bauvorhaben auf dem Grundstück der Villa Neuerburg an. Anders als auf dem früheren Gelände des Städtetags zeichnet sich hier eine behutsame Verdichtung ab, und im besten Fall entsteht ein Beispiel für eine Planung, mit der die Marienburger gut leben können.

Wohngebiet wächst

Auf der anderen Seite der Bonner Straße wächst das Quartier Reiterstaffel neben Industriebetrieben und dem früheren Gebäude der Deutschen Welle, das ebenfalls zum Wohngebäude umfunktioniert werden soll. Auf einem freien Grundstück in der Brohler Straße plant die Stadt Wohnhäuser für Geringverdiener und anerkannte Flüchtlingsfamilien.

Die Geschichte von Marienburg

Seinen Ursprung nahm das Villenviertel 1845, als der Kaufmann Paul Joseph Hagen in der heutigen Parkstraße den Gutshof Marienburg errichten ließ. Der Fabrikant und Kaufmann Ernst Leybold übernahm das Anwesen 1868, baute es um und fasste den Plan, ringsum eine Villenkolonie entstehen zu lassen. Er kaufte Land auf und spekulierte auf steigende Preise. Das Vorhaben nahm so richtig Fahrt auf, als Marienburg 1888 von Köln eingemeindet wurde. Die Kommune übernahm von da an den Straßenbau. Flächendeckend bebaut wurde Marienburg dann zwischen 1895 und 1925. Es gibt Gebäude, die dem Historismus, dem Jugendstil, dem Expressionismus und der Moderne zugerechnet werden. Oft wird das Viertel als Gesamtkunstwerk bezeichnet und mit Berlin-Grunewald oder der Münchner Vorstadt-Siedlung Grünwald verglichen. Als die Bundesregierung nach Bonn zog, wurde der Stadtteil zum Diplomatenviertel. 

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