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Europa League-FinaleLeverkusener Systemausfall im falschen Moment

Lesezeit 5 Minuten
Robert Andrich verlässt enttäuscht das Spielfeld in Dublin.

Robert Andrich verlässt enttäuscht das Spielfeld in Dublin.

Bayer 04 Leverkusen war Atalanta Bergamo im Finale der Europa League nicht gewachsen und kassierte die erste Saisonniederlage.

Robert Andrich blieb lange stehen. Der Nationalspieler von Bayer 04 Leverkusen nahm die bittere Erfahrung der Finalniederlage von Dublin bis zum Ende mit und sah sich ohnmächtig an, wie die Sieger aus Bergamo ihrer Freude im goldenen Konfettiregen freien Lauf und sich von ihren mitgereisten 9000 Fans feiern ließen. Ein Bild, das die ganze Fassungslosigkeit im Lager des deutschen Fußballmeisters zum Ausdruck brachte. Ausgerechnet im Endspiel der Europa League und auf dem Weg zum Triple kassierte die Werkself im 52. Pflichtspiel die erste Niederlage der Saison. Und es gab keinen Zweifel, dass das 0:3 (0:2) gegen Atalanta verdient war. Leverkusen war chancenlos und kassierte erstmals in dieser Spielzeit mehr als zwei Gegentore.

„Natürlich ist es schmerzhaft, ein Finale zur verlieren, aber das gehört leider im Fußball dazu“, fasste Simon Rolfes die Enttäuschung in Worte. Dann zollte Bayers Sportchef dem Sieger den Respekt, der ihm gebührte: „Atalanta hat zu Recht gewonnen. Sie waren von Anfang an besser drin und haben es geschafft, ihr Spiel durchzubringen. Glückwunsch nach Bergamo.“

Bayer 04 war im Finale überhaupt nicht Bayer 04

Die Analyse der 95 Minuten von Dublin fiel bei den Verlierern nüchtern knapp aus und konzentrierte sich auf die Stärken des Gegners. „Es ist sehr anstrengend, gegen Bergamo zu spielen. Sie waren physisch in den Eins-gegen-Eins-Duellen und sind stark und schnell in ihre Positionen zurückgekommen. Wir haben uns auf ihr Spiel vorbereitet, aber sie waren besser und wir haben nicht unser höchstes Niveau erreicht“, sagte Trainer Xabi Alonso.

Abwehrchef Jonathan Tah sah es genauso: „Bergamo hat es sehr gut gemacht und uns wenig Räume gelassen. Und wir haben ihnen geholfen, dass sie uns ihr Spiel aufdrücken konnten.“

Zur Wahrheit gehörte neben einem an der oberen Leistungsgrenze agierenden Gegner also auch, dass Bayer 04 ausgerechnet in diesem Finale überhaupt nicht Bayer 04 war. Nach nervösen, aber normalen ersten fünf Minuten deuteten haarsträubende Fehlpässe von Edmond Tapsoba (6.) und Granit Xhaka (8.) sowie ein dummes Foul von Piero Hincapie (7.) früh darauf hin, dass Leverkusen auf einen Systemausfall zusteuerte. „Wir haben ihnen Zeichen gegeben, dass sie gewinnen können“, erklärte der nicht eingesetzte Jonas Hofmann.

Es war nicht unser Tag, es war nicht unser Spiel.
Granit Xhaka, Mittelfeldspieler Bayer Leverkusen

Eine Nummer, aus der die Werkself im Gegensatz zu den 51 Spielen zuvor nicht mehr herauskam. „Es war nicht unser Tag, es war nicht unser Spiel“, sagte Xhaka und wich der Frage nach seiner eigenen Leistung aus. Der im gesamten Saisonverlauf überragende Taktgeber erlebte einen gebrauchten Abend. Allein in der ersten Hälfte leistete sich der 31-Jährige zwölf Fehlpässe – so viele wie sonst in zwölf Partien.

Und Xhaka war nicht allein. Sein Partner auf der Doppelsechs, Exequiel Palacios, stand ebenfalls neben sich und hatte großen Anteil am 0:1, als er Ademola Lookman gewähren ließ, obwohl er die deutlich bessere Position hatte, um an den Ball zu kommen (12.).

Gebrauchter Abend: Granit Xhaka lamentiert während des Endspiels gegen Atalanta Bergamo.

Gebrauchter Abend: Granit Xhaka lamentiert während des Endspiels gegen Atalanta Bergamo.

Weil das Zentrum und auch Alejandro Grimaldo als Antreiber über links schwächelten, kam die Alonso-Elf nicht in ihren gewohnten Rhythmus und fand keine Räume. Florian Wirtz, Jeremie Frimpong und Amine Adli waren als vorderste Reihe kaum im Spiel. „Unser Balltempo war zu langsam und dadurch ist Atalanta in die direkten Duelle gekommen, die sie dann clever geführt haben. Nicht das Balltempo, sondern die Zweikämpfe haben das Spiel dominiert“, analysierte Simon Rolfes.

Nach Lookmans zweitem Streich (26.) hätte wohl nur das 1:2 der Partie eine andere Richtung geben können. Grimaldos geniales linkes Füßchen funktionierte bei einem versuchten Heber in aussichtsreicher Position aber nicht (34.). Zum ersten Mal in dieser Spielzeit griffen auch Alonso Änderungen zur und in der zweiten Hälfte nicht. Im Rückspiegel des Spiels hatte der 42-Jährige zum ersten Mal eine Partie vercoacht. Der Spanier musste sich hinterher Fragen gefallen lassen, warum der formstarke Andrich erst in der 69. Minute ins Spiel kam und Hofmann gar nicht. „Wir waren nicht auf unserem Niveau, auch ich nicht“, übernahm Alonso die Verantwortung.

Am Samstag soll gegen Kaiserslautern der Pokalsieg her

Der Coach räumte ein, dass die erste Saison-Niederlage in einem Endspiel natürlich zur Unzeit kam, hob damit aber auch hervor, wie außergewöhnlich die Serie von 51 ungeschlagenen Spielen ist. „Normalerweise verliert man viel früher in der Saison. Es ist etwas Besonderes, was wir erreicht haben. Wir müssen stolz sein, auch wenn es schmerzt.“

Die Rekordserie ist sowieso eine für die Ewigkeit. Was ärgert, ist, dass es nicht jedes Jahr ein europäisches Cup-Finale für Leverkusen gibt. Es war nach dem Uefa-Cup-Erfolg 1988 und dem verlorenen Champions-League-Endspiel 2002 das dritte der Vereinsgeschichte. „Es ging nicht um die Serie, sondern um das Spiel“, erklärte Granit Xhaka deshalb frustriert, blies aber im nächsten Moment schon wieder zum Angriff: „Wenn nicht das Triple, dann eben das Double“, gab er die Marschroute für das nächste Finale aus. Am Samstag (20 Uhr, ARD/Sky) geht die Werkself als haushoher Favorit in das DFB-Pokalfinale gegen Zweitligist 1. FC Kaiserslautern und will mit einem Erfolg in Berlin die Schmerzen von Dublin etwas lindern.


Hohe TV-Quote

7,82 Millionen Menschensahen am Mittwochabend im Durchschnitt die TV-Übertragung von Bayer Leverkusens Endspiel-Niederlage gegen Atalanta Bergamo und bescherten RTL zum Abschluss der Europa- League-Saison einen Rekordwert. Der Marktanteil lag nach RTL-Angaben bei 32,4 Prozent. Die Reichweite des Finals lag sogar über dem RTL-Fußball-Bestwert des Vorjahrs, als der Sender beim Länderspiel Deutschland gegen die USA mit 7,47 Millionen die meisten Zuschauer hatte. RTL zeigt am Sonntag (15.15 Uhr) auch die Meisterfeier der Leverkusener live. Übertragungen von den Feierlichkeiten gibt es zudem beim Partnersender ntv sowie beim WDR (14.45 Uhr).