Der Plan klingt verrückt: Joyce Hübner will in 495 Tagen alle über 2000 deutschen Städte ablaufen. Das wären 21.000 Kilometer. Warum tut sie das - und wie plant man so ein Projekt?
Extremsportlerin startet495 Marathons in 495 Tagen - und eine große Sorge

Joyce Hübner liebt das Laufen.
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Joyce Hübner hat eine große Sorge. Es ist aber nicht die furchterregende Gesamtkilometerleistung von über 21.300 Kilometern, die sie von diesem Sonntag an laufen will. Es ist auch nicht die Tatsache, dass vor ihr 495 Marathons an 495 Tagen liegen - ohne einen Ruhetag.
„Ich habe Angst vor dem Winter, denn ich mag das überhaupt nicht, bei mehreren Minusgraden draußen laufend unterwegs zu sein“, sagt sie in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur zu ihrem Projekt, der aus einem ganz bestimmten Grund den Titel „Joyce Städtetrip“ trägt. Denn sie will in den 16 Monaten die über 2000 statistisch erfassten deutschen Städte ablaufen - bei Wind und Wetter.
Bis minus fünf Grad - für die 37 Jahre alte gebürtige Berlinerin noch okay. „Aber alles, was drunter geht, ist super unangenehm für mich. Deswegen ist das die große Befürchtung.“ Aber: „Ich habe es mir so ausgesucht.“ Das Gute: Bis zum nächsten Winteranfang, offiziell am 21. Dezember, vergeht auch noch so viel Zeit. Doch auch das demonstriert allein die nahezu unfassbare Dauer ihres bisher herausforderndstes Laufprojektes.
Experte: Körperlich machbar, mental größere Herausforderung
Im Oktober 2026 - da werden die nächsten Olympischen Winterspiele ebenso schon Geschichte sein wie die gigantische Fußball-WM in den USA, Kanada und Mexiko - will sie es geschafft haben. „Rein körperlich ist das machbar, der passt sich an“, sagt Jonas Deichmann der Deutschen Presse-Agentur über die generelle Belastung bei dem Projekt.
Er weiß, wovon er redet: Der Extremsportler absolvierte im vergangenen Jahr in und um Roth 120 Triathlon-Langdistanzen über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen in 120 Tagen. „Die aus meiner Sicht für sie noch viel größere Herausforderung: 495 Tage jeden Tag aufs Neue Bock zu haben.“
Hinzu komme die Tatsache der fehlenden Privatsphäre über so einen langen Zeitraum. Denn Hübner, die bei Deichmanns Weltrekord auch mal bei einem abschließenden Marathon mitlief, will mit ihrem Projekt auch andere wieder zum Mitmachen motivieren.
2023 lief Hübner die deutsche Grenze ab. In Zahlen waren das 120 Marathons oder 5127 Kilometer. 143 Tage benötigte sie. Ein Jahr später lief sie rund um Mallorca. Danach stellte sich die Frage: Was nun? Die Idee mit dem Städtetrip kam ihrem Freund. Doch wie bitte erstellt man einen Laufplan, der alle deutschen Städte miteinander verbindet?
Das Problem der Routenplanung
Zunächst einmal ließen sich die Lauf-Influencerin und ihr Freund Sven Dünnwald vom Statistischen Bundesamt die Liste aller deutschen Städte geben: Es waren zu dem Zeitpunkt 2059. Dann versuchten sie ihr Glück mit einem Anschreiben an Google Maps - ohne viel Hoffnung, wie sie sich erinnern.
Doch prompt kam eine Antwort mit einer entsprechenden Karte. Die sieht ein bisschen aus wie Geschicklichkeitsspiele aus Holz, bei denen eine kleine Kugel ihren Weg durch ein Labyrinth finden muss. Mit der Karte war die Routen-Vorbereitung jedoch noch lange nicht abgeschlossen.

Mit ihrem neuen Projekt will die Extremsportlerin auch andere zum Laufen animieren.
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„Ich habe jede einzelne Tour noch mal manuell geplant“, erklärt Hübner. Jeder einzelne Weg, ob Bundesstraße oder ein Pfad durch den Wald, jede einzelne Kreuzung. Mehrere Monate hat das nochmal gedauert.
Ohnehin ist die Logistik eines solchen Projekts neben der extremen körperlichen und mentalen Beanspruchung eine der größten Herausforderungen. Ihr Freund, der aus Unna in Nordrhein-Westfalen stammt und Laufen an sich nicht so toll findet, hilft ihr dabei und begleitet sie auf der Tour durch alle deutschen Städte. „Ich kümmere mich im Endeffekt um alles bei ihr im Hintergrund. Das heißt, alles, was man sieht, ist Joyce. Alles, was man nicht sieht, das Organisatorische, mache ich“, sagt er.
Die Hotels hat er auch schon gebucht - zumindest für die ersten 14 Tage. An verschiedenen Standorten haben sich die beiden so etwas wie Logistikzentren errichtet, allein die 35 Paar Laufschuhe, die die Extremsportlerin einplant, würden im Wagen (zu) viel Platz einnehmen.
Hübner: „Einen Plan B haben wir nicht“
Auch in puncto Waschen setzen sie auf eine kreative Lösung: „Wir haben uns überlegt, dass wir die Wäsche einfach zu einem Freund schicken und alle 14 Tage quasi ein großes Paket zur Post bringen, derjenige dann unsere Wäsche wäscht und uns die dann wieder zurückschickt, an den Punkt, wo wir dann gerade sind.“ Wenn das mal nicht klappt? „Einen Plan B haben wir nicht“, sagt Joyce Hübner und lacht.
Das Laufen hat sie selbst auch verändert. Dabei hat sie die Leidenschaft dafür erst vor zehn Jahren entdeckt. „Am Anfang hat es keinen Spaß gemacht. Ich weiß auch gar nicht, warum ich dann so ambitioniert gewesen bin zu sagen: 'Okay, ich mache das weiter.'“ Der erste Wettkampf, die Atmosphäre, das Laufen mit vielen anstatt allein - da war die Laufliebe geboren. 2018 absolvierte sie ihren ersten Marathon. Auch sie jagte nach Bestzeiten, nach Steigerungen, nach noch mehr.
Was sie früher mal werden wollte
So wie früher auch in ihrem Beruf. Sie sei mit Blick auf ihre Karriere sehr ambitioniert gewesen „und ich wollte eigentlich diesen klassischen Weg gehen: So mit 30 wollte ich verheiratet sein, zwei Kinder haben, ein Haus gebaut oder zumindest alles in die richtige Richtung gelenkt haben“, erinnert sich die Betriebswirtin und diplomierte Immobilienökonomin. „Am Ende ist es alles ganz anders gekommen als gewollt. Und ich habe mich so ein bisschen einfach leiten lassen vom Leben.“ Und vom Laufen. (dpa)