Sie war Deutschlands „Gold-Rosi“ und bleibt für ihre sportlichen Erfolge von 1976 im Sport-Gedächtnis der Nation. Aber vor allem ihre besondere Art macht sie menschlich zu einem ganz besonderen Vorbild. Ein Nachruf
Nachruf auf eine Ski-LegendeRosi Mittermeier war ein Vorbild in allen Belangen

Rosi Mittermeier mit ihren Medaillen bei Olympia 1976 in Innsbruck
Copyright: imago images/Sammy Minkoff
Der erste Termin hat sich fast angefühlt, wie ein Besuch bei Freunden. Rosi Mittermaier bat ins Esszimmer an den Tisch mit der Eckbank. Der Anlass war ein Jubiläum. 20 Jahre davor hatte sie bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck die Abfahrt und den Slalom gewonnen, war zur Gold-Rosi geworden für eine ganze Nation. Sie fand eigentlich nicht, dass dieser Jahrestag eine größere Erwähnung verdienen würde. Aber sie erzählte dann doch von damals, kam von einem zum nächsten, und was ihr nicht einfiel, fügte ihren Ehemann Christian Neureuther hinzu.
Es war mehr Unterhaltung als Interview, und die Zeit verging. Irgendwann war Mittagszeit, die Kinder kamen von der Schule. Wie selbstverständlich wurde man gebeten, zum Essen zu bleiben. Dass es nur kalten Schweinebraten gab, war Rosi Mittermaier auch Jahre danach noch peinlich.

Die ehemalige Skirennläuferin Rosi Mittermaier an ihrem Wohnort Garmisch-Partenkirchen, aufgenommen im Jahr 2020.
Copyright: dpa
Am Mittagstisch saß ein fröhlicher Junge von knapp zwölf Jahren, der versuchte, eine mittelprächtige Schulaufgabennote dem Papa als Erfolg zu verkaufen. Es gelang ihm nicht ganz. Die Mama musste er nicht überzeugen. Die fand sowieso, es sei viel wichtiger, dass es Felix gut ginge, dass er gesund und glücklich sei.
Rosi Mittermeier: Freundlich, offen, bescheiden und ehrlich
Das war Rosi Mittermaier. Kein getriebener Mensch, der sich über Medaillen und Trophäen definierte. Sie suchte nicht den Erfolg, aber vielleicht gerade deshalb fand der Erfolg sie. Als Felix Neureuther 2010 in Kitzbühel sein ersten Weltcuprennen gewann, sorgte sie sich erst einmal um dessen Gesundheit, weil er in dünnen Turnschuhen lange im Schnee stehen musste. Sie sah immer in erster Linie den Menschen und dann erst den Sportler.
Freundlich, offen, bescheiden, ehrlich – so haben sie ihre Kolleginnen im Ski-Zirkus kennengelernt – und so ist sie all die Jahre geblieben. Neid war ihr fremd, früher freute sie sich über Erfolge der Konkurrentinnen genauso wie über die eigenen. Wenn es ging, mied Rosi Mittermaier das Rampenlicht, wenn nicht, nahm sie es hin – und machte das Beste daraus, nutzte es zum Beispiel, um anderen Menschen, die nicht so viel Glück hatten, zu helfen. Rosi Mittermaier nahm sich nie wichtig. Und war gerade deshalb für viele ein Vorbild.

Rosi Mittermaier in Aktion
Copyright: imago/Horstmüller
Geboren am 5. August 1950 in Reit im Winkl, aufgewachsen oberhalb des Wintersportortes auf der Winklmoosalm, spielten Bewegung, Natur und Sport früh eine Rolle in ihrem Leben. Auf dem Schoß vom Papa hat Rosa Katharina – so hieß Mittermaier eigentlich – in einem Hotel im Skigebiet das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 gesehen, später wurde der Kapitän der Mannschaft, Fritz Walter, ein guter Freund der Familie. Und natürlich hat sie früh Skifahren gelernt, auf den Pisten vor dem Haus. Der Vater betrieb eine Skischule, die Mutter kümmerte sich um die Gäste, denn auf der Winklmoosalm bewirtschafteten die Mittermaiers zuerst ein Gasthaus, später ein Studentenheim.
Mit 15 Jahren fand sie ihre große Liebe
Wenn sie mit den beiden Schwestern, der zehn Jahre älteren Heidi und der knapp drei Jahre jüngeren Evi, über die Hügel sauste, mit oder ohne Ski, empfand sie das als „totale Freiheit“. Dass sie die später, als sie in den Ski-Kader aufgenommen wurde, nicht mehr ganz so hatte, nahm sie hin.
Mit 15 Jahren lernte sie Christian Neureuther kennen, ebenfalls ein Ski-Talent. Als er „dieses Mäderl am Pistenrand mit den zwei Zöpfchen und zwei Grübchen“ gesehen habe, sei es um ihn geschehen gewesen, erzählte Neureuther später einmal. 1980 heiratete er „dieses Mäderl“, die dann längst keine Zöpfe mehr trug. Bis zu ihrem Tod führten die beiden eine glückliche, skandalfreie Ehe. Rosi erfreute sich in den vergangenen Jahren, dass die Familie dank der vier Enkelkinder immer größer wurde.

Die früheren Skirennläufer Rosi Mittermaier und Christian Neureuther bei der Eröffnung der 104. Bayreuther Festspiele im Jahr 2015
Copyright: dpa
Als Rosi Mittermaier 1976 in Innsbruck innerhalb von drei Tagen zwei Olympia-Goldmedaillen gewann und anschießend auch noch Silber im Riesenslalom, war das beschauliche Leben vorbei. Es wurde gezerrt und gezogen an ihr, der Rummel, gab sie zu, „war schon krass“. Trotzdem verlor sie ihr Lächeln nicht einmal, als sie Reporter kurzerhand an der jubelnden Menge vorbei zu den Fernsehkabinen trugen. „Ich dachte, nach drei Wochen ist alles vorbei“, spätestens, wenn sie wieder daheim ist, auf der Winklmoosalm. Aber dort ging es weiter. Fans belagerte das Haus, noch Monate danach. Leute stiegen einfach über den Zaun und starrten ungeniert in die Fenster und der Familie auf den Esstisch.
Knapp vier Monate später beendete sie ihre Karriere, nach zehn Weltcup-Siegen und eben drei olympischen Medaillen. Sie ist dann viel gereist, hat Dinge ausprobiert, die es in der Idylle hoch über Reit im Winkl nicht gab. Motorradfahren, Surfen, Fallschirmspringen. Und Christian hat ihr Interesse für Kunst geweckt. „Es ist wichtig, neugierig zu bleiben“, sagte sie.
Die Medaillen haben ihr Leben verändert, aber sie haben nicht sie selbst verändert. Als sich anlässlich ihres 70. Geburtstages vor zwei Jahren Verwandte und Freunde aus Reit im Winkl einen Bus mieten wollten, um mit ihr eine kleine Party zu feiern, lehnte sie ab, fuhr mit ihrem Christian lieber in die Berge. Der Jubeltag war ihr nicht so wichtig. Rosi Mittermaier sagte damals, sie habe doch jeden Tag Geburtstag, „weil es mir gut geht“. Immer das Positive zu sehen, ist auch etwas das bleibt von Rosi Mittermaier, die an diesem Mittwoch im Alter von 72 Jahren an den Folgen einer schweren Krankheit verstarb.