1835 Tote in den NiederlandenDie Nacht, als die Deiche brachen

Der überflutete Ort Dreischor am 15. 2.1953. Ein schwerer Sturm an der Nordsee hatte am 1. Februar 1953 unzählige Deiche brechen lassen.
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Amsterdam – In der Nacht zum 1. Februar 1953 peitscht ein eisiger Nordwest-Sturm über die Niederlande. Der Wind türmt die Wellen haushoch auf. Dann brechen die Deiche. In weiten Teilen der südwestlichen Provinz Zeeland hat das Wasser freies Spiel. Dörfer, Städte, Straßen, Äcker und Weiden versinken in den Fluten. In dieser Nacht sterben 1835 Menschen. Die Sturmflut von 1953 sollte die bisher schlimmste Naturkatastrophe des Landes sein.
65 Jahre später ist Zeeland gut geschützt - durch eines der ehrgeizigsten Wasserbauwerke: Die Deltawerke mit der gigantischen neun Kilometer langen Sturmflutwehr an der Oosterschelde, einem Seitenarm der Nordsee. Wenn das Wasser auf drei Meter steigt, dann werden die massiven 42 Meter breiten Stahlschotten geschlossen. Mit einem Druck auf den Knopf.
Die Sturmflutwehr wird heute wie ein achtes Weltwunder von Touristen aus aller Welt bestaunt. Es ist für viele der Beweis in Stahl und Beton, dass die Niederländer die Naturgewalten im Griff haben.

Bewohner des niederländischen Überschwemmungsgebietes in Zeeland
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Möglicherweise eine trügerische Sicherheit
Insgesamt fünf Sturmflutwehre gibt es inzwischen, und erst vor wenigen Wochen waren sie alle gleichzeitig geschlossen worden. Das hatte es noch nie gegeben. Für die Behörden war es ein wichtiger Test. Und er gelang: Das Verteidigungsbollwerk hatte problemlos standgehalten.
Doch es könnte eine trügerische Sicherheit sein. Solche Wasserbauwerke reichten als Schutz nicht mehr aus, sagt Deichgräfin Tanja Klip-Martin. "Der Klimawandel hat uns zum Umdenken gezwungen." Stürme werden heftiger, der Meeresspiegel steigt, der Regen nimmt zu. Das Land, so die Deichgräfin, müsse sich auf extreme Wasserstände vorbereiten.
Die Niederlande haben keine Wahl: Gut 40 Prozent des Landes liegen unterhalb des Meeresspiegels. Wenn Deiche und Dämme an der Nordsee im Westen nicht halten, dann versinkt das gesamte Ballungsgebiet von Rotterdam bis Amsterdam in den Fluten. Zwei Drittel des Landes sind bedroht. Auf der anderen Seite vom Osten und Süden aus droht das Hochwasser von Rhein, Waal und Maas.
Bisher haben die Niederländer dank eines ausgeklügelten Systems von Pumpen, Deichen, Mühlen und Kanälen weitgehend trockene Füße behalten. Für die meisten Bürger ist das so selbstverständlich, wie die Mayo zu ihren geliebten Pommes.
Doch die Folgen des Klimawandels sind bereits zu spüren. Das Wasser der Nordsee steigt schneller als erwartet und bedroht die Küsten.
Großers Programm zur Deich-Verstärkung
Aus Deutschland bringen die Flüsse das Hochwasser, das durch Regen und Schmelzwasser entsteht. Das ist eine Gefahr für das Delta bei Rotterdam. Und im Süden gab es 2016 so viele heftige Regenfälle wie Klimaforscher erst für 2040 vorhergesagt hatten. Deiche, Mühlen und Pumpen reichen nicht mehr aus, so der nationale Wasser-Botschafter Henk Ovink. "Wir müssen uns anpassen an den Klimawandel." Das gelte auch für Städte- und Landschaftsplanung: "Wir brauchen maßgeschneiderte Lösungen."
Jetzt ist ein Riesenprogramm zur Verstärkung der Deiche angelaufen. 1100 Kilometer Deich und rund 500 Schleusen sollen bis 2028 erneuert werden. Die Kosten belaufen sich auf 7,4 Milliarden Euro. Sogar der berühmte Abschlussdeich im Norden ist nach 80 Jahren nicht mehr sicher. Der "Afsluitdijk" ist wie die Deltawerke eine Ikone des niederländischen Kampfes gegen das Wasser. Der 32 Kilometer lange Deich schloss das frühere Südmeer von der Nordsee ab und schützt dadurch den Norden bis nach Amsterdam vor Sturmfluten. Doch dem von Forschern vorhergesagten Anstieg des Meeresspiegels kann der Deich nicht standhalten.
Der Klimawandel wird zur Überlebensfrage
Hochwasserschutz heißt aber für die Niederland nicht nur Abschotten, sagt Wasserbotschafter Ovink. "Wir leben mit dem Wasser. Das ist eine Kultur." Ein Problem ist, dass die Wassermassen nicht mehr so schnell wegzupumpen sind. Das Wasser muss mehr Raum bekommen. Flüsse werden verbreitert oder bekommen künstliche Seitenarme. Polder werden wieder geflutet. In den Städten gibt es Auffangbecken.
Der Klimawandel ist für die Niederlande eine Frage des Überlebens. Es ist eine Daueraufgabe und nicht im Alleingang zu schaffen, sagt Ovink. "Wenn die Welt das Klimaproblem nicht in den Griff bekommt, dann kriegen wir hier mehr als nur nasse Füße."(dpa)