Auch ohne das ChristentumWarum Weihnachten in Japan so beliebt ist

Weihnachten und Harry Potter: Im überwiegend unchristlichen Japan passt das, wie hier in Tokio, gut zusammen.
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Tokio – Wer dieser Tage durch den Hibiya Koen spaziert, einen der beliebtesten Parks im Zentrum von Tokio, könnte Japan für ein zutiefst christliches Land halten. Der Weihnachtsmarkt, der täglich ab vier Uhr nachmittags öffnet, bietet längst nicht nur Glühwein. Man sieht leuchtende Rentiere, sternförmige Schneeflocken, Weihnachtsmänner und Christbäume. Und in jedem Winkel spielt Weihnachtsmusik, die beim genauen Hinhören an die Geschichte aus Bethlehem erinnert.
Der Weihnachtsmann hat hier Jesus überholt
Auf den zweiten Blick aber fehlt doch einiges. Was man nicht sieht: Krippenspiele, Kruzifixe und das Christkind. In der Nähe findet sich auch keine Kirche. Die Leute, die hier nach einem gemeinsamen Punsch wieder auseinandergehen, wünschen sich nur selten „frohe Festtage“. Dafür sieht man umso mehr Selfies vor blinkenden Figuren. Jesus scheint hier endgültig vom Weihnachtsmann verdrängt. Oder war er jemals da?
Weihnachten gehört in Japan jedenfalls zu den beliebtesten Festen des Jahres. Christlich ist das Land aber kaum. Nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als katholisch oder evangelisch. Die meisten Menschen im ostasiatischen Land sind kaum religiös, folgen eher aus Tradition diversen Ritualen des Buddhismus und des Shinto. Was hat dann Weihnachten hier verloren?
Das Christentum selbst kam in Japan nicht weit
Schon im 16. Jahrhundert gelangte das Christentum durch portugiesische Missionare nach Japan. Besonders weit kam es allerdings nicht. Auch wegen der Aufdringlichkeit jener Gläubigen schottete sich das Land bald für zweieinhalb Jahrhunderte ab. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg nahm dann der Einfluss der siegreichen USA zu. Zwar wurde die japanische Bevölkerung dadurch nicht christlich, aber weihnachtsbegeistert. So schaffte es der Fast-Food-Konzern Kentucky Fried Chicken, den Menschen einzubläuen, dass man zu Weihnachten traditionell Hühnchen esse. Heute ist dies eine der Weihnachtstraditionen in Japan.
„Tja, wir sind eben ein Inselland“, sagt Motockney Nuquee, ein 41-jähriger Bluesmusiker aus der japanischen Hauptstadt. „Kulturell haben wir hier eher wenig Diversität. Wir haben in der Regel schwarze Haare, dunkle Augen, haben die gleichen Traditionen und so weiter. Und die meisten Menschen haben kaum Kontakt mit anderen Kulturen.“ Weihnachten mache deshalb besonders Spaß.
Als Musiker ist Motockney Nuquee schon in den USA aufgetreten und hat in London gelebt. Er kennt also Länder, wo Weihnachten viel tiefer verwurzelt ist. Die japanische Art, dieses Fest ohne jede religiöse Nähe zu dessen Ursprüngen zu feiern, ergibt für ihn trotzdem Sinn. Um das zu erklären, lässt er den Begriff „henshinganbou“ fallen: das Verlangen, mal jemand anderer zu sein. „Es ist wie ein Rollenspiel!“
Einmal richtig kitschig sein dürfen
Weihnachten als Möglichkeit auszubrechen? Immerhin ist Japan auch eine Kultur strenger Benimm- und Verhaltensregeln. Die sozialen Erwartungen werden hier stark durch die Rolle definiert, die jemand bekleidet. So haben Frauen meist einen anderen Wortgebrauch als Männer. Gegenüber Vorgesetzten und Kunden spricht man in einer besonderen Höflichkeitsform.
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Als Befreiung aus diesem manchmal engen sozialen Korsett dienen auch Subkulturen wie das Cosplay, wo sich Menschen wie Comic- oder Zeichentrickhelden verkleiden und sich eine Zeitlang auch wie diese fühlen. Und Weihnachten habe eine ähnliche Funktion, sagt Motockney Nuquee. Auch deshalb, weil es als „das Fest der Liebe“ gelte: „Dieses extreme Betonen der Liebe, das machen wir in Japan normalerweise nicht. Wir kennen solche Gefühle natürlich. Aber wir haben den Leitspruch ,iwanugahana‘.“ Der bedeutet so viel wie: Die Schönheit liegt im Ungesagten. Gemeinsam empfundene Gefühle findet man in Japan oft dann überwältigend, wenn man sie sich einander nicht erklären muss. So macht man sich gegenseitig kaum den Hof, hält nicht Händchen, küsst sich nicht in der Öffentlichkeit. „Aber wenn Weihnachten ist, kann man all seine Gefühle rauslassen. Dann kann man romantisch sein, man hat endlich mal einen guten Vorwand dazu, sich so richtig offensichtlich und kitschig zu verhalten.“
So bietet Weihnachten in Japan vor allem auch eine Chance zum Bruch mit den subtilen Regeln, die das japanische Miteinander ansonsten prägen.