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Bürger-ProtestWarum ein italienisches Dorf lieber zur Schweiz gehören will

Lesezeit 3 Minuten
Oberhalb des Lago Maggiore in Norditalien liegt das Bergdorf auf 1650 Metern. Seit einem Seilbahn-Unglück 2018 ist es nur noch über einen Maultierpfad erreichbar.

Abgeschnitten von der Außenwelt: Das Bergdorf Monteviasco in der italienischen Provinz Varese.

Aus Wut über den Bürokratie-Wahnsinn in ihrem Land wollen die 15 Einwohner des Bergdorfes Monteviasco oberhalb des Lago Maggiore nicht mehr zu Italien gehören. Ihre Idee: Die Grenze zur Schweiz einfach ein paar hundert Meter verschieben.  

Jenseits der Bergkette, die die schweizerische A2 vom italienischen Teil des Lago Maggiore trennt, beginnt gerade mitten in Europa ein Grenzkonflikt zu schwelen: Eine kleine Gemeinde der italienischen Provinz Varese will sich dem schweizerischen Kanton Tessin anschließen. Raus aus der EU, rein in die Schweiz – geht das überhaupt?

Resignation und Hoffnung sind die Triebkräfte, mit denen die Bürger von Monteviasco den Landeswechsel betreiben wollen. Denn gegenwärtig fühlen sich die Einwohner des lombardischen Bergdorfs auf 1650 Metern Höhe von der Außenwelt abgeschlossen. Denn der einzige Zugang nach Monteviasco führt über einen Maultierpfad, auf dem nicht nur 400 Höhenmeter, sondern auch 1442 Stufen zu überwinden sind.

Das war vor einigen Jahren noch anders. Bis 2018 gab es eine Seilbahn, die die Talstation Ponte di Piero mit dem Dorf verband. Die Einkabinenbahn, erst 1989 von der italienischen Firma „Hölzl Seilbahnbau“ installiert, brachte stündlich bis zu 15 Personen talwärts oder bergauf. Regelmäßig gewartet, erleichterte sie den Bewohnern des Dorfes ihre Besorgungen, den Weg zur Arbeit oder den Besuch bei Freunden und Verwandten. Auch die im Dorf ansässigen Restaurants wurden mithilfe der Seilbahn versorgt.

Seit 2018 nur noch über einen Maultierpfad erreichbar

Alles ging gut, bis ein tragischer Arbeitsunfall am 12. November 2018 den Betrieb beendete. Bei dem Unglück kam Silvano Dellea, ein Wartungsarbeiter, ums Leben. Nachfolgende Untersuchungen stellten mehrere Mängel an der Seilbahn fest, sodass sie bis zur Behebung stillgelegt werden musste.

Zwar starteten noch im Folgejahr erste Arbeiten, doch gleichzeitig begannen die Mühlen der italienischen Bürokratie zu mahlen. Wer soll die Wartung bezahlen? Wer erteilt hierzu die erforderlichen Genehmigungen? Wer soll die Arbeiten durchführen? Und schließlich und bis heute unbeantwortet: Wer soll die Bahn in Zukunft betreiben und damit die Verantwortung für Sicherheit und Wartung übernehmen? Wer jemals sich im Dschungel italienischer Bürokratieverfahren bewegt hat, wird aufstöhnen und sagen: Das dauert Jahre.

Doch sowohl die 15 ständigen als auch die zeitweiligen Bewohner Monteviascos wollen sich nicht geschlagen geben. Wenn Italien ihnen nicht helfen kann, so vielleicht das nur wenige Hundert Meter entfernte Nachbarland, die Schweiz. In einem offenen Brief, den sie in der italienischen Tageszeitung „La Prealpina“ veröffentlichen, forderten die Bürger des Bergdörfchens darum: „Monteviasco an die Schweiz anzuhängen erscheint uns die einzige Möglichkeit, die Seilbahn wieder in Betrieb zu nehmen.“

Hilferuf aus Monteviasco hat die Politik vor Ort alarmiert

Bei all den tragischen Umständen des Unfalls 2018 müsse dennoch eine Lösung gefunden werden, so die Bürger in ihrem Brief. Man habe in der Vergangenheit die Streitigkeiten um die Wiederaufnahme des Seilbahnbetriebs verfolgt, die Argumente der verschiedensten politischen Bewegungen gehört. Doch niemand habe sich entscheiden können, „die Verantwortung für ein Mittel zu übernehmen, das für uns die Verbindung zum Leben bedeutet“.

Schließlich könne es doch nicht so schwer sein, die Grenze um ein „paar Hundert Meter nach unten zu verschieben“ und so eine Lösung zu finden. Dies, so die Bürger in ihrem provokativen Brief, würde alle Seiten zufrieden stellen. Italien wäre das Problem los, der Kanton Tessin würde eine Lösung finden, und die Bewohner wären wieder mit der Welt verbunden.

Ganz ernst ist es den Bewohnern von Monteviasco mit ihrem Brief aber offenbar nicht. Der provokative Hilferuf soll vor allem darauf abzielen, die Debatte über die Zukunft ihres Tals neu zu entfachen. Erste Reaktionen hat das Schreiben bereits ausgelöst. In einem Appell, der ebenfalls in der Zeitung „La Prealpina“ veröffentlicht wurde, forderte der Lega-Abgeordnete Stefano Candiani, das langjährige Problem mit der Seilbahn in Monteviasco anzugehen: „Es ist an der Zeit, eine ernsthafte Antwort zu geben, denn es kann nicht sein, dass sich der Staat nur dann an dieses kleine Dorf erinnert, wenn ein aufsehenerregendes Ereignis stattfindet.“