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Das P-NP-ProblemBonner Informatiker könnte mathematisches Weltproblem gelöst haben

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Bankomat

Wie sicher ist die Kreditkartennummern-Verschlüsselung? Die Antwort gibt vielleicht die Lösung eines der sieben Welträtsel.

Bonn – Zuweilen finden Menschen es chic, zu erzählen, dass für sie Zahlen und Mathematik "böhmische Dörfer" seien. Erklärungen seien zwecklos, alles bleibe unverständlich. Und damit meinen manche Zeitgenossen sogar Dreisatz oder Prozentrechnung, die helfen, vermeintlich attraktive Rabattaktionen als betrügerische Luftnummern zu enttarnen. Das liegt vielleicht auch daran, dass Schüler sich im Unterricht mit "Kurvendiskussion und dreidimensionaler Geometrie beschäftigen müssen und sich fragen: Wofür machen wir das denn hier?", hat Professor Ulrich Trottenberg, 20 Jahre Leiter des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und wissenschaftliches Rechnen in Sankt Augustin, mehr als einmal öffentlich zu Protokoll gegeben. Der Humboldt-Preisträger glaubt: Wenn die Lehrpläne sich etwa mit GPS-Navigation, mp3-Formaten oder dem Seitenranking von Google und der dahinter steckenden Mathematik beschäftigen würden, dann wäre die deutsche Mathe-Aversion weniger ausgeprägt. Sie ist auch deshalb schwer verständlich, weil alles, was der moderne Mensch in der Gegenwart schätzt, unsichtbar von Mathematik durchwoben ist.

39-seitiger Beweis im Internet

Bis heute bleiben aber mathematische Rätsel. Eines heißt "Das P-NP-Problem". Aktuell ist die internationale Fachwelt elektrisiert, auch die Bonner Uni. Das liegt an Norbert Blum. Der 63-jährige Informatikprofessor hat am 11. August einen 39-seitigen mathematischen Beweis ins Internet gestellt. Seitdem ist in einschlägigen Bloggersphären das große Fieber ausgebrochen. Alle sind aufgefordert, nach Fehlern zu suchen, nach Schwachstellen und Umgereimtheiten - "zu einem der schwierigsten mathematischen Probleme schlechthin", sagt Professor Bernhard Korte, Leiter des Forschungsinstituts für Diskrete Mathematik in Bonn. Auch Banken, Geheimdienste und Hacker warten ungeduldig auf das Prüfergebnis. Doch das kann dauern. Der Urheber schweigt indes: "Ich sage dazu nichts, solange die Überprüfung durch die Kollegen läuft." Er hat ja auch nicht behauptet, ein Welträtsel gelöst zu haben, sondern lediglich einen Stein - "Prüft das mal" - ins Wasser geworfen.

Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Reza Zadeh, Professor für Künstliche Intelligenz an der renommierten Stanford-Universität (USA), twitterte: "Hat jemand bis jetzt einen Fehler in dem P-NP-Beweis gefunden? Norberts vorherige Arbeit ist großartig gewesen." Scott Aaronson, Physiker, Professor für Computerwissenschaft am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) und eine Art Guru beim P-NP-Problem, wettet 200 000 Dollar darauf, dass Blums Beweis einen Fehler enthält. So hat Aaronson auch schon vor sechs Jahren gewettet - und recht behalten. 2010 war der indische Hewlett-Packard-Experte Vinay Deolalikar ebenfalls an die P-NP-Prüffront gezogen. Wie 115 andere zuvor auch. Alle waren gescheitert.

Lösung wäre relevant im Alltag

Das P-NP-Problem unterscheidet sich insofern von anderen, als dass seine Lösung alltagsrelevant wäre. Vereinfacht unterscheiden Mathematiker Probleme, die absehbar mit einem vertretbaren Rechenaufwand gelöst werden können von solchen, bei denen der Computer nie aufhört zu rechnen. Es gibt somit einfache Probleme (P) und "dicke Bretter" (NP). Anschaulich lässt sich das am Dilemma eines Handlungsreisenden illustrieren, der Städte besucht. Wie lässt sich die schnellste und damit preisgünstigste Route bestimmen?

Bei drei Städten hilft dem Handlungsreisenden noch die "Pi-mal-Daumen"-Methode. Kämen noch zwei, drei Städte hinzu, hilft das Tom-Tom-Navi und findet jeweils die kürzeste Strecke von A nach B und weiter nach C, D und E, aber nicht die kürzeste Gesamtstrecke. Sind es bei fünf Städten 24 Möglichkeiten, um das Optimum herauszufiltern, explodiert danach die Zahl der zu prüfenden Varianten. Die Zahl der Rechenschritte wächst exponentiell: Sind es bei sechs Städten 120 Varianten, so sind es bei acht schon 5040, bei 15 Städten gar 87 Milliarden Varianten - und ein Computer, so heißt es, wäre für eine 100-Städte-Optimalroute, wenn er jede Variante vollständig berechnet, länger unterwegs, als das Universum alt ist. Fazit: Steigt der Daten-Input, wächst die Komplexität, und es ergibt sich eine nicht berechenbare NP-Aufgabe. Eine solche findet sich in der modernen Welt an jeder Ecke: Telekommunikation, Speicherchips oder bei zu optimierenden Abläufen in Produktion oder Verkehr. Auch Algorithmen, mit denen Google, Facebook, Amazon & Co. immer mehr Daten von internetaktiven Personen zusammenführen und Zusammenhänge ("Das könnte auch Sie interessieren") produzieren lässt, helfen bei NP-Problemen nicht, haben aber das öffentliche Interesse für Algorithmen gesteigert: Was für mysteriöse Formeln spielen da im Hintergrund? Reine, wertfreie Mathematik!

Spielen NP-Probleme auch nur in der P-Liga?

Algorithmen sind nützliche mathematische Helfer bei P-Problemen, verkürzen Rechenwege, machen den Computer effizienter. Auch ein simples Kochrezept ist letztlich ein Algorithmus: Eine Handlungsanweisung, die mit einer vorgegebenen endlichen Zahl einzelner Schritte zum Ergebnis kommt. Mathematisch anspruchsvoller ist ein Algorithmus, der - zum Beispiel - aus einem digitalisierten Musikstück die nicht hörbaren Töne herausfiltern soll, um Speicherplatz zu sparen. Fertig ist das mp3-Format. Und es klingt für Menschen weiter wie das Original. Die große Frage ist nun: Spielen NP-Probleme im Grunde auch nur in der P-Liga, und bisher war bloß noch niemand schlau genug, sie über einen Algorithmus rechenbar zu machen? Oder spiegeln P- und NP-Probleme völlig unvereinbare Welten? Kurzum: Ist P ungleich NP oder P gleich NP?

Siegt die Unvereinbarkeit, könnten Banker ruhiger schlafen. Dazu ein Beispiel: 72 ist 9 mal 8; das weiß jeder. Aber bei 184 626 wird es schon schwieriger, die Teiler 234 und 789 zu finden. Und wenn eine Zahl aus mehr als 100 Ziffern besteht, beginnt die Aussichtslosigkeit. Deshalb fühlen sich die Kryptografen auch sicher, denn sie verschlüsseln Kreditkartennummern mit Zahlen aus 256 Ziffern. Wäre hingegen NP gleich P, wäre das - aus Bankensicht - ein Kata- strophen-Szenario.

Einstweilen ist nichts bewiesen. Im mathematischen Alltag gilt (noch) die Annahme: NP-Probleme sind eine eigene Spezies und verweigern sich P-Lösungen. Vor 15 Jahren gab es dazu eine Umfrage: Das "mathematische Bauchgefühl" ließ 61 von 100 Spezialisten ihr Kreuz bei "P ungleich NP" machen. Auch der Bonner Blum kommt in seiner Beweisführung zu diesem vorläufigen und für Banken beruhigenden Ergebnis.

Vielleicht wird eines Tages aber auch ein Beweis der dritten Art präsentiert, wie ihn der Berliner Mathematiker und Leibniz-Preisträger Günter Ziegler für möglich hält: "Das P-NP-Problem ist beweisbar unbeweisbar." "Das ist auch meine Meinung", sagt der Bonner Mathematiker Korte.

Ob es für einen solchen Beweis das Preisgeld von einer Million Dollar gäbe, ist eine andere Frage. Seit dem Jahr 2000 hat das Clay Mathematics Institute (CMI) in Cambridge (Massachusetts/USA) diesen Köder ausgelegt und die sieben mathematischen Welträtsel benannt, die "Millenniums-Probleme". Das P-NP-Problem gehört dazu.