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Debatte über Sinn und UnsinnBundesjugendspiele stehen am Pranger

Lesezeit 3 Minuten

Schüler messen sich sportlich.

Berlin/Konstanz – So weit wie möglich werfen, einen Super-Sprung in die Grube setzen, ganz schnell rennen: Bei den Bundesjugendspielen messen sich jährlich etwa fünf Millionen Schülerinnen und Schüler mit ihren Klassenkameraden. Der Misserfolg eines Neunjährigen hat nun eine breite Debatte im Internet ausgelöst - und darüber hinaus.

Mit Tränen in den Augen kommt der kleine Sohn von Christine Finke nach Hause, im Gepäck nur eine Teilnehmerurkunde. Mit anderen Worten: Er ist bei den Wettkämpfen nicht unter den Besten gewesen. Die dreifache Mutter aus Konstanz in Baden-Württemberg will ihren Neunjährigen nach eigenen Worten nicht in Watte packen, schon gar keine überbehütende „Helikopter“-Mutter sein. Aber: „Mein Sohn ist sensibel, fühlt sich gelegentlich schlecht, dann richte ich ihn wieder auf.“

Weil die seit 1979 für Schüler verpflichtenden Bundesjugendspiele die 49-Jährige schon lange ärgern, schreibt sie bei Twitter: „Heulender Sohn kommt mit „Teilnehmerurkunde“ von den Bundesjugendspielen heim. Erwäge Petition zur Abschaffung selbiger. Ernsthaft.“ Wenige Tage und gut 12 000 Petitionsunterstützer später: Viele diskutieren über die Bundesjugendspiele. „Das ist wirklich krass“, sagt Finke und spricht am Freitag von demotivierten Schülern, Zwang, Leistungsdruck.

Trauma der Schulzeit

Viele Menschen pflichten ihr bei, wohl auch in Erinnerung an die eigene Sport-Schmach früherer Schultage. Eine Unterzeichnerin der Petition schreibt: „Während meiner Schulzeit durfte ich diese Art der öffentlichen Demütigung auch jahrelang über mich ergehen lassen. Zumindest so lange, bis mich meine Mutter für den jeweiligen Tag immer „krank“ zu Hause hat bleiben lassen.

Schultrauma Bundesjugendspiele? Eigentlich geht es doch um Spaß, sagen Fans der seit fast 65 Jahren ausgetragenen Wettbewerbe - und natürlich die Organisatoren. „Die Frage zum Umgang mit Misserfolgen stellt sich natürlich nicht nur bei den Bundesjugendspielen, sondern bei allen Schulfächern“, heißt es von der Deutschen Sportjugend. Die Organisation sieht Eltern und Lehrer in der Verantwortung, „ein Klima herzustellen, das den angemessenen und nicht persönlich verletzenden Umgang mit solchen Situationen sicherstellt“.

Der Philologenverband geht weniger zurückhaltend mit Finkes Kampagne um: „Der Ruf nach Abschaffung ist kurzsichtig, albern und kommt mit Sicherheit nicht von den Schülern, die sich gerne mal vergleichen wollen“, sagt der Chef der Lehrergewerkschaft und Leiter eines Gymnasiums, Heinz-Peter Meidinger. Die Forderung sei „auch gesundheitspolitisch falsch, weil es einer der wenigen Wettbewerbe ist, der noch zu sportlicher Bewegung anhält“.

Zeichen der Wertschätzung finden

Meidingers Kollege vom Verband Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sieht es ähnlich: „Diese Veranstaltungen abzuschaffen, nur weil nicht jeder der Beste sein kann, halte ich für den falschen Weg“, sagt der VBE-Vorsitzende. Er plädiert für ein Zugeständnis an schwächere Schulsportler, die sich 'reinhängen: „Manch einer, der nicht so bewegungsfreudig ist, strengt sich das ganze Jahr an und kämpft und kriegt trotzdem keine Urkunde“ - für diesen Fall könne man „vielleicht eine eigene Auszeichnung finden, als Zeichen der Wertschätzung“, meint Beckmann.

„Dein Sohn ist ein Weichei“, „Dein Kind ist fett“ - Christine Finke wünscht sich angesichts solcher Reaktionen, sie hätte ihren Sprössling nie im Netz erwähnt. Dass der Gegenwind im Internet ausartet, hat die 49-Jährige nicht erwartet. Und dass die Wettbewerbe wirklich abgeschafft werden, glaubt sie auch nicht. „Ich fände es schön, wenn am Ende wenigstens die Freiwilligkeit herauskäme.“

Bei den für die Bundesjugendspiele zuständigen Ländern dürfte Finke mit ihrer Petition gleichwohl auf Granit beißen: Die Kultusministerkonferenz sieht am Freitag auch angesichts der aktuellen Debatte keinen Anlass, die Schulwettbewerbe abzuschaffen oder auch nur die Teilnahme auf Freiwilligkeit umzustellen. Denn schon seit 15 Jahren könnten die Bundesjugendspiele „nicht mehr nur als „Wettkampf“, sondern auch als spielerischer „Wettbewerb“ und als vielseitiger „Mehrkampf“ durchgeführt werden“. (dpa)