Eltern wünschen sich, dass Kinder lesen: Eine Expertin der Stiftung lesen erklärt, wie sie einen Beitrag leisten können
Expertin über lesefaule Kinder„Wir müssen uns an die eigene Nase fassen“

Kinderbücher liegen in einem Kinderzimmer in Leipzig auf einem Stapel.
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Am zweiten Samstag im Mai ist wieder der Gratis Comic Tag. Dann gibt es in Buchläden wieder Hefte umsonst. Mit im Boot ist die Stiftung Lesen. Sabine Uehlein ist dort die Geschäftsführerin Programme. Daniel Benedict hat sie gefragt, warum gerade Comics ein guter Einstieg ins Lesen sind, ob Hörbücher das Selberlesen ersetzen und ob man Lesemuffel mit Bildschirmzeit bestechen sollte.
Frau Uehlein, in den 50ern wurde vor Comics gewarnt, in den 80ern sollten Kinder nach der „Micky Maus“ auch „was Richtiges“ lesen. Inzwischen empfiehlt die Stiftung Lesen Comics.
Tatsächlich empfehlen wir Comics bereits seit 30 Jahren zur Leseförderung. Lesenlernen ist anstrengend. Deswegen eignen sich Comics hervorragend für den Einstieg. Die kürzeren Textabschnitte sind besser verständlich und die Kombination aus Bild und Text trägt ebenfalls dazu bei, dass Kinder den Geschichten besser folgen können. Ziel ist es, dass Kinder Lesen als Freizeitbeschäftigung kennenlernen, die ihnen Spaß macht.
Ist es sinnvoll, Kinder mit Bildschirmzeit fürs Lesen zu belohnen? Oder signalisiert man damit, dass Bücher eine lästige Pflicht sind?
Hinter der Logik steckt das Vorurteil, dass digital nur Spaß und Ablenkung bedeutet und gedruckt langweilige Wälzer. Laut Vorlesemonitor nutzen 26 Prozent der Eltern von kleinen Kindern Apps zum Vorlesen. Solche digitalen Angebote können eine gute Ergänzung im Lesemix sein. Nur weil wir Lesen mit Büchern verbinden, heißt das nicht, dass es die einzige richtige Art des Lesens ist. Ein Comic, Manga oder eine Zeitschrift macht manchem Kind vielleicht mehr Freude und kann die Lust aufs Lesen besser entfachen als ein dickes Buch.
Lässt sich die Liebe zum Lesen überhaupt beeinflussen?
Ob Kinder später selbst lesen, hängt viel davon ab, ob sie bereits früh vorgelesen bekommen haben. Vorbilder, nicht nur die eigenen Eltern, sondern zum Beispiel ältere Geschwister, machen einen großen Unterschied. Am besten lässt man Kinder mitentscheiden, was gelesen wird. Inhaltlich nehmen viele Medienhelden Einzug in die Geschichten: zum Beispiel Lego-Charaktere wie Ninjago, Superhelden à la Marvel oder auch Pokémon oder Minecraft. Das schlägt die Brücke zu den Interessen der Kinder.
Gibt es typische Erwachsenenfehler, die Kindern die Lust am Buch verderben?
Den Klassiker, Lesen als Strafe zu nutzen oder digitale Medien als Belohnung, wenn man sich durch das langweilige Lesen gekämpft hat, erwähnten Sie bereits. Aus den Befragungsergebnissen des Vorlesemonitors wissen wir zudem, dass viele Eltern aufhören vorzulesen, sobald die Kinder in die Schule kommen. Aber in der Schule beginnen Kinder natürlich mit einfachen Geschichten. Das kann im ersten Moment für Frust sorgen, weil sie spannende Geschichten gewohnt sind, die sie sich als Leseanfänger aber noch nicht erschließen können.
Erwachsene beklagen gern, dass Kinder nicht mehr lesen. Haben die Kinder in früheren Jahrzehnten wirklich mehr gelesen als heute?
Das Leseverhalten von Kindern ist seit Ende der 90er-Jahre recht stabil. Rund vier von zehn Kindern lesen mindestens einmal pro Woche in gedruckten Büchern. Dabei gibt es zwischen den Altersgruppen kaum Unterschiede – allerdings steigt der Anteil der Nicht-Leser mit zunehmendem Alter. Da kommen dann eben noch andere Medien ins Spiel, die Schulzeiten steigen und die Zeit für Hobbys und Freundschaften wird mehr. Uns beschäftigt mehr, dass die Lesekompetenz wieder schlechter geworden ist. Das ist die Fähigkeit, die Inhalte eines Textes wirklich zu verstehen und daraus zum Beispiel Schlussfolgerungen zu treffen. Aktuell verlässt jedes vierte Kind die Grundschule, ohne ausreichend gut lesen zu können. Auch einem Viertel der 15-Jährigen fehlt diese Fähigkeit.
Wer liest in Deutschland eigentlich am fleißigsten: die besorgten Erwachsenen oder am Ende doch die Kinder?
Der Anteil der regelmäßigen Leser und Leserinnen von Büchern bei den 12 bis 19-Jährigen lag zwischen 2009 und 2018 relativ konstant bei etwa 40 Prozent. Seit 2019 schwankt dieser Wert um wenige Prozentpunkte. Tatsächlich müssten sich die Erwachsenen eher an die eigene Nase fassen: Denn hier sind es rund ein Drittel, die regelmäßig, also einmal die Woche, ein Buch lesen.
Sind Hörbücher ein guter Ersatz für das Selberlesen?
Hörbücher sind eine sinnvolle Ergänzung im Medienmix, ein Ersatz sind sie nicht. Gerade bei kleinen Kindern fehlt die Möglichkeit, nachzufragen oder unbekannte Worte zu erklären. Dieser gemeinsame Austausch ist wichtig, um das Sprachverständnis zu schulen. Dazu passiert beim Lesen ganz viel im Gehirn. Es fördert zum Beispiel Konzentration. Ein gutes Hörbuch eignet sich aber, um die Lust auf Geschichten zu wecken und dranzubleiben.
Welches Comic ist ein erwiesener Lustmacher, der wirklich alle Kinder vom Lesen überzeugt?
Beim Gratis Comic Tag am 10. Mai können sich Kinder und Jugendliche in vielen Buchhandlungen einen kostenlosen Comic abholen – das ist ein super Einstieg in die Welt der Graphic Novels. Dabei sind auch sechs Leseempfehlungen der Stiftung Lesen, zum Beispiel das Comic-Abenteuer „Alles safe!“ vom Uberreuter Verlag oder für etwas ältere Kinder die Reihe „Atelier of Witch Hat“ von Egmont Manga. Aber natürlich gibt es auch viele Klassiker, die schon in der Kindheit der Eltern beliebt waren und auch heute noch Spaß machen, wie Asterix oder eben Donald Duck.