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Interview

Expertin über Familien-Influencer
„Influencer wissen ganz genau, dass das gegen Gesetze verstößt“

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau sitzt hinter einem Ringlicht und macht dabei Aufnahmen von sich.

Influencer teilen intime Momente mit ihren Kindern im Netz.

Geburtstage, Zeugnisse, Krankheiten: Familien-Influencer zeigen in den sozialen Netzwerken den privaten Alltag ihrer Kinder.

Das Kind beim Aufwachen oder in einer Umkleidekabine: Influencer zeigen in unzähligen Bildern und Videos ihren Familienalltag. Die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Sara Flieder (42) aus Hamburg setzt sich für Kinderrechte im Internet ein und sagt: Das geht so nicht.

Frau Flieder, Sie kritisieren, dass Influencer ihre Kinder auf Instagram zeigen. Was ist daran schlimm?

Beim Thema Family Influencing geht es vor allem um zwei Aspekte. Zum Einen fällt es in großen Teilen unter Kinderarbeit, weil die Kinder den Content darstellen und dafür vor der Kamera agieren. Der zweite Punkt ist die Verletzung der Privatsphäre. Dazu haben wir ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das nachweist, dass es in großen Teilen Kindeswohlgefährdung sein kann, wenn Kinder so dargestellt werden.

Wie werden sie denn dargestellt?

Kinder werden zum Beispiel in intimen Momenten gezeigt: Während sie mit den Eltern kuscheln oder krank sind. Sie werden in sexualisierten Posen, aber auch in normalen Alltagssituationen gezeigt, wenn sie etwa morgens im Bett liegen oder im Badezimmer sind.

Eltern wollen eben etwas Privates zeigen. Muss man das so streng sehen?

Ich höre auch immer, dass die Eltern keine bösen Absichten haben. Und bei Privatpersonen ist es bestimmt auch ein bisschen Unwissenheit. Aber Influencer wissen ganz genau, dass das nicht in Ordnung ist und gegen Gesetze verstößt. Das Problem ist, dass die Kinder überhaupt kein Mitspracherecht haben. Das wird einfach so gemacht. Die Bilder sind für immer im Netz und es besteht die Gefahr, dass sie im Darknet landen. Studien zeigen, dass von den Bildern, die im Darknet gefunden werden, ein Drittel von Social Media kommt.

Sie meinen Pädophilenseiten?

Ja, genau, und jetzt kommt auch noch Künstliche Intelligenz dazu. Man braucht also nur noch die Köpfe und kann darauf nackte Kinderkörper montieren.

Was ist am Family Influencing noch problematisch?

Gerade bei größeren Kindern gibt es die Gefahren des Mobbings. Da schreiben Eltern, dass ihre Tochter die Periode bekommen hat oder ihr zehnjähriges Kind in der Ferienbetreuung nicht klarkommt und viel weint. Das sehen andere Eltern, die das Kind kennen, und das Sehen dann teilweise auch andere Kinder. Das sind Sachen, die nicht ins Netz gehören. Die würde man ja auch nicht im Supermarkt erzählen.

Solche Dinge posten Eltern wirklich im Internet über ihre Kinder?

Ja. Family-Influencer machen ja den ganzen Tag nichts anderes, als live ihren Alltag zu zeigen. Es geht schon los, dass morgens die Kinder nicht in Ruhe aufwachen können, da wird schon die Kamera draufgehalten. Dann werden sie gefilmt, wenn sie sich anziehen, sich die Haare kämmen, für die Kita fertig machen und die Mama zum Abschied drücken. Also auch in Momenten, in denen die Kinder denken, dass sie in einem geschützten Bereich sind. Es werden Zeugnisse, Krankheitsberichte und Geschenke in die Kamera gehalten und live gezeigt, wie sie ihren Geburtstag feiern. Ich weiß mehr über diese Kinder als fast von allen Kindern, die ich privat gut kenne! Das ist schon erschreckend.

Gibt es Posts, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Ja, zum Beispiel von Marisa Hart aus Schönberg bei Kiel. Sie hat einen Sohn mit autistischen Problemen und berichtet ausführlich über sein Krankheitsbild. Vor Kurzem hat sie gezeigt, wie sie zusammen mit einem ihrer Kinder im Schlafanzug im Badezimmer tanzt. Man denkt: Wow. Da wird erstmal das Ringlicht aufgestellt und dann wird eine Choreografie gemacht. Es soll intim und spontan wirken, aber das ist es natürlich nicht. Neulich hat eine Influencerin ihr Kind gezeigt, das von oben bis unten vollgekotzt war, und danach kam Werbung für einen Staubsauger, mit dem man Erbrochenes wegsaugen kann. Und man denkt sich: Wenn mein Mann mich ungefragt so im Internet posten würde, würde ich mich scheiden lassen. Wie kann man auf die Idee kommen, dass das für die Kinder in Ordnung ist?! Neulich habe ich eine Influencerin gesehen, die ihre fünf oder sechs Jahre alte Tochter dabei gefilmt hat, wie sie in Unterhose H&M-Klamotten in der Umkleide anprobierte.

Wie argumentieren die Influencer, wenn Sie sie kritisieren?

Sie sagen, sie könnten es selber entscheiden und ihr Kind finde das cool. Die ganzen Rechtsgrundlagen interessieren gar nicht. Irgendjemand hat mir auch mal gesagt, ich wäre nur neidisch, weil ich selber als Family-Influencerin nicht erfolgreich wäre. Dabei sagen alle Kinderrechtsorganisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, und auch das Bundeskriminalamt, dass es problematisch ist. Da findet niemand: „Sein Kind breitbeinig an einer Gurke lecken lassen und das ins Netz stellen – kann man schon so machen.“

Solche sexualisierten Bilder gibt es auch?

Ja, das sehe ich öfter. Und wenn dann auf einem Foto ein Kind am Strand ein Eis im Mund hat und ein Herbert83 darunter schreibt: „Oh, süße Maus“, denke ich: „Das stört die Mutter jetzt nicht?!“ Manche haben offenbar eine Fehlwahrnehmung. Eine Influencerin meinte mal zu mir: „Nee, über meine Kinder weiß man nichts, nur wenn man ein kranker Stalker ist und uns immer zuguckt.“ Da denke ich: Aber das ist doch der Sinn deines Accounts!

Was macht es mit den Kindern, wenn Teile ihres Alltags öffentlich sind?

Die machen das natürlich mit, wollen ihren Eltern gefallen und gewöhnen sich vielleicht auch daran. Aber sie verlieren völlig das Gefühl dafür, was privat ist. Wie sollen diese Kinder lernen, später keine Nacktbilder von Mitschülern zu verschicken? Vor allem bei den älteren Kindern frage ich mich: Wie ist das für deren Freundschaften? Man weiß ja nicht nur viel über die Kinder, sondern auch über ihre Eltern und privaten Räume. Eine Influencerin kriegt zum Beispiel regelmäßig Weinkrämpfe vor der Kamera. Das finde ich für das Kind ganz schwierig.

Was müsste in Ihren Augen passieren?

Gut wäre, wenn die Forderungen aus unserem Rechtsgutachten umgesetzt werden würden. Dann dürften Kinder unter sieben Jahren nicht mehr auf kommerziellen Accounts stattfinden. Wenn sie älter sind, sollten sie mitentscheiden dürfen. Und auch die Firmen, die daran verdienen, wie Youtube und Instagram, sollten Verantwortung übernehmen.

Es gibt ja schon gesetzlichen Schutz – wieso reicht der nicht?

Die Gesetze werden nicht konkret genug umgesetzt oder sind zu schwammig. Beim Kunsturhebergesetz etwa müssen Kinder theoretisch einwilligen, praktisch sind sie noch zu klein dafür. Also können sie erst klagen, wenn sie älter sind. Das passiert auch – aber dann ist es schon zu spät.

Aber wäre es nicht schade, wenn Kinder gar nicht mehr in sozialen Netzwerken vorkommen? Sie gehören ja zum Leben dazu.

Ich will ja auch nicht den Berufsstand Family-Influencerinnen abschaffen. Man kann zum Beispiel Ausflugs-Tipps zeigen, oder Kinder können ab einem bestimmten Alter mitspielen und man macht es anonymer. Aber warum muss man immer die privaten Details haben?

Was raten Sie Eltern, die gern mal Fotos von ihren Kindern posten?

Ich würde es nicht auf Social Media machen und ich würde keine Kinderbilder in den Whatsapp-Status stellen. Wenn man es unbedingt machen will, sollte man die Kinder darauf unkenntlich machen. Und keine Bade- oder halbnackten Bilder! Außerdem würde ich empfehlen, die Kinder so früh wie möglich zu fragen.

Also zeigt man als stolze Eltern die Fotos seiner Kinder lieber nur im Fotobuch?

Ja, genau. Oder eben in einer privaten Chatgruppe. Und auch da würde ich darum bitten, die Bilder nicht weiterzuleiten.