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Neue GenerationMafia-Chefs in Italien werden immer jünger

Lesezeit 3 Minuten
Während Salvino Sorrentino im römischen Gefängnis Rebibbia (Foto) sitzt, führt Sohn Vincenzo die „Geschäfte“ – mit 22.

Während Salvino Sorrentino im römischen Gefängnis Rebibbia (Foto) sitzt, führt Sohn Vincenzo die „Geschäfte“ – mit 22.

Bei einer Razzia ist der wohl bislang jüngste Clanboss Vincenzo Sorrentino ins Netz gegangen. Doch er ist längst kein Einzelfall.

Hört man von der Cosa Nostra, so denkt man an altehrwürdige Paten, die den Clan lenken und alle Geschäfte steuern, Streitigkeiten schlichten und jenen Familien Vergünstigungen zukommen lassen, deren Männer gerade eine Haftstrafe absitzen. Doch die Gesichter der heutigen Clans sehen anders aus. Diese Feststellung machten auch die Beamten der Antimafiaeinheit und der Guardia di Finanza bei einer Razzia im Villaggio Santa Rosalia, einem östlichen Viertel des sizilianischen Hauptortes Palermo. Unter den 26 Verhafteten dieser Nacht war auch der wohl bislang jüngste Clanboss Vincenzo Sorrentino.

Gerade einmal 22 Jahre alt ist der Sohn Salvino Sorrentinos, des örtlichen Capomafia, der längst einen längeren Aufenthalt im römischen Gefängnis Rebibbia verbüßt. Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge führte der Sohn die „Geschäfte“ weiter, die Vater Salvino von seiner Zelle aus in Auftrag gab.

Viele Absprachen sollen dabei über Videochats verlaufen sein, wie jetzt bekannt wurde. Dass die dafür benötigte Ausrüstung in die Zelle geschmuggelt wurde, vermag niemanden verwundern, der die lokalen Verhältnisse kennt. „Im Knast bekommst du alles, was du draußen auch haben kannst, nur besser und zuverlässiger“, verriet einst ein Insasse eines Hochsicherheitsgefängnisses.

War schon Vater Sorrentino kein Unbekannter in den „Familien“, so wollte es der Sohn nun nicht nur nach-, sondern auch besser machen. Ein Trend, wie er in den Strukturen nicht nur der Camorra – so beschrieben in Roberto Savianos „Der Clan der Kinder“ – beobachtet wird.

Im Knast bekommst du alles, was du draußen auch haben kannst, nur besser und zuverlässiger.
Insasse eines italienischen Hochsicherheitsgefängnisses

Sorrentino senior galt als rechte Hand Settimo Mineos, der wiederum die Nachfolge des verstorbenen Toto Riina als Boss der Bosse angetreten hatte. Sorrentino junior hingegen erfüllt nicht nur die Aufträge der Alten, sondern erweitert seine Aktivitäten um eigene „Geschäftsfelder“. Dazu gehört vor allem der intensive Handel mit modernen Drogen wie Ecstasy, Meth und diverse Amphetamine, die vor allem unter Jugendlichen und Kindern vertrieben werden sollen.

Als die Finanzpolizisten das letzte Mal zugriffen, konnten sie neben dem Drogenhandel Clanaktivitäten in fünf weiteren Geschäftsfeldern nachweisen: im Restaurantbetrieb, Einzelhandel, Warentransport auf der Straße, Tiefbau und Erdbewegung (damit verbunden illegale Müllentsorgung) sowie der klassischen Schutzgelderpressung. Waren und Gelder im Wert von fünf Millionen Euro wurde bei der Razzia beschlagnahmt.

Jung-Boss Sorrentino ist kein Einzelfall

Weitere Recherchen brachten zutage, dass Vincenzo Sorrentino bereits seit geraumer Zeit die Geschicke des Clans im Auftrag des Vaters leitet.

Selbst als der Mafia-Spross 2020 mit Covid infiziert war, konnte er sich dank gefälschter Negativatteste frei in Palermo bewegen. Gegen den die Atteste ausstellenden Arzt Angelo Falletta wird derzeit wegen Fälschung und Unterschlagung medizinischer Unterlagen ermittelt. Doch Jung-Boss Sorrentino ist keineswegs ein Einzelfall in den Reihen der Cosa Nostra. Auch der 1995 geborene Alessandro Miceli, Neffe des Clanchefs Giovanni Cancemi, sowie der acht Jahre ältere Leonardo Marino wurden als Nachwuchs-Capos von den Sicherheitskräften zumindest vorübergehend festgenommen. Der Glaube, dass nach dem Tod Toto Riinas und Bernardo Provenzanos und der jüngst erfolgten Festnahme eines der am längsten untergetauchten Bosse, Matteo Messina Denaro, die Mafia geschwächt sei, täuscht. Nicht nur die immer noch flüchtigen Attilio Cubedduund Pasquale Bonavota werden   als äußerst gefährlich beschrieben. Auch die junge Generation drängt an die Spitze des organisierten Verbrechens.