Opfer in den USA sprichtMilde Strafe für Vergewaltiger empört Hunderttausende

Eine Justitia mit verbundenen Augen (Symbolbild)
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Washington – In der Fernsehserie "Sex and the City" hätte Anwältin Miranda Hobbes mit jemandem wie Brock Turner wahrscheinlich kurzen Prozess gemacht. Im echten Leben bleibt der Hollywood-Schauspielerin Cynthia Nixon nur das mahnende Wort, um den ehemaligen Vorzeigeschwimmer der kalifornischen Elite-Universität Stanford an den Pranger zu stellen. Dazu lieh sich Nixon jetzt in einem Internetvideo die erschütternden Worte eines 23-jährigen Vergewaltigungsopfers, die seit Tagen in Amerika die Wogen der Empörung über ein seltsam mildes Gerichtsurteil höher schlagen lassen.
"Mein Schaden ist innerlich, unsichtbar, ich trage das mit mir herum. Du hast meinen Wert weggenommen, meine Privatsphäre, meine Energie, meine Zeit, meine Sicherheit, meine Intimität, mein Vertrauen, meine eigene Stimme, bis heute." Adressat dieser Sätze ist Brock Turner. Der aus einem kleinen Kaff in Ohio stammende Student hatte sein betrunkenes und willenloses Opfer Anfang 2015 nach einer Studentenverbindungsparty auf dem Campus der Hochschule in Palo Alto bei San Francisco hinter einer Mülltonne sexuell missbraucht. Zwei Kommilitonen erwischten ihn und hinderten ihn an der Flucht. Es kam zum Prozess, in dem Richter Aaron Persky so urteilte: Statt der nach dem Gesetz möglichen 14 Jahre Haft bekam Turner, den die Staatsanwaltschaft für sechs Jahre wegsperren lassen wollte, sechs Monate.
Persilschein für Nachahmer
Frauenverbände sehen darin einen Persilschein für Nachahmungstäter. Der Brief, den die missbrauchte junge Frau, deren Name bisher geheim gehalten wird, im Gerichtssaal verlas, löste eine beispiellose Wutwelle aus. Auch weil der Vater des Täters um ein mildes Urteil für seinen Sohn, dem alle "Lebensträume" geplatzt seien, geradezu bettelte. Eine Haftstrafe, befand Vater Turner, sei doch "ein hoher Preis für eine 20-Minuten-Aktion". Vom Opfer kein Wort. Von Reue schon gar nicht.
In einer Online-Petition fordern inzwischen fast 600 000 Unterzeichner eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Richter Persky bekommt Morddrohungen. So weit, so schlimm. Aber, man muss es leider so sagen, auch so gewöhnlich an vielen US-Universitäten.
Das Muster ist bekannt: Nach Partys in den Häusern studentischer Verbindungen werden junge Männer, die zum ersten Mal aus den Fängen ihrer Elternhäuser entkommen sind, unter heftigem Alkoholeinfluss rabiat und übergriffig. Die meist weiblichen Opfer verschweigen aus Scham, Angst vor demütigenden Polizeiverhören, Gruppendruck oder Sorge vor Repressalien die Vergewaltigung. Nur selten kommt ein Fall ans Licht. Noch seltener wird hart durchgegriffen und verurteilt.
Initiative ins Leben gerufen
Das Problem hat inzwischen epidemische Ausmaße. Die "Association of American Universities" (AAU) hat 2015 anonyme Fragebögen von über 150 000 Studierenden an rund 30 Hochschulen auswerten lassen. Sprachlos machendes Resultat: 13,5 Prozent der jungen Frauen werden während ihres Studiums mindestens einmal zum Sex genötigt, obwohl sie bedingt durch Alkohol oder Drogen unzurechnungsfähig sind.
Die Ergebnisse waren so erschütternd, dass Präsident Barack Obama und Vizepräsident Joe Biden eine Initiative ins Leben riefen. Opfer sollten damit ermutigt werden, sich zu wehren und Übergriffe zu melden. Uni-Leitungen sind gehalten, nicht länger die Augen zu verschließen und überführte Täter zu exmatrikulieren; auch dann, wenn es sich um für das Prestige der Uni wichtige Sportstars handelt.
Ob es im Fall Brock Turner erneut zum Prozess kommt, wie es die demokratische Senatorin Barbara Boxer vehement fordert, ist noch ungewiss. Stanford hatte den Studenten kurz nach Bekanntwerden der Vergewaltigung rausgeschmissen. Die ehemalige Olympia-Hoffnung gehört auch nicht mehr zur Schwimmriege. Bis zu seinem Lebensende wird der junge Mann in den Akten der Behörden als Sextäter geführt. Zeitungskommentatoren wiesen darauf hin, dass es zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine zu große Lücke gibt. In Kalifornien gilt seit 2014 per Gesetz ("Yes means Yes"), dass Sex auch unter Studenten ausdrücklich konsensual sein muss.