US-GerichtsprozessDer Tod des Scharfschützen Chris Kyle

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Ging als treffsicherster Scharfschütze in die US-Militärgeschichte ein und erreichte so den Status eines Nationalhelden: "American Sniper" Chris Kyle, der zum Gewaltopfer wurde.

Ging als treffsicherster Scharfschütze in die US-Militärgeschichte ein und erreichte so den Status eines Nationalhelden: "American Sniper" Chris Kyle, der zum Gewaltopfer wurde.

Dallas – Wo Hollywood-Regisseur Clint Eastwood in "American Sniper" auf der Leinwand aufhört, verschämt mit einer Fußnote kurz vor dem Abspann, fing Alan Nash, Bezirksstaatsanwalt von Erath County, gestern im echten Leben an. Nach der Auswahl der Geschworenen begann im texanischen Stephensville ein Mordprozess, in dem Fiktion und Wirklichkeit fließend ineinander übergehen. Angeklagt ist der ehemalige Elitesoldat Eddie Ray Routh (27). Vor zwei Jahren erschoss er Chris Kyle, dessen Heldenstatus in den USA posthum täglich größer wird.

Seine filmisch verdichtete Biografie hat seit Mitte Januar 300 Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt. Der erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten könnte Bradley Cooper am 22. Februar einen Oscar für die beste Hauptrolle einbringen. Cooper ("Silver Linings") spielt Kyle - den mit über 160 Abschüssen in vier Irak-Einsätzen treffsichersten Scharfschützen in der US-Militärgeschichte. Nach seiner Armeezeit bemühte sich der Ex-Navy-Seal in seiner Freizeit um die Wiedereingliederung von Kriegsveteranen in den Alltag. Routh, ein früherer Marine, war von 2006 bis 2010 unter anderem im Irak. Er kämpfte mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), war in psychiatrischer Behandlung und wurde mit einem Mix schwerster Medikamente behandelt. Rouths Mutter arbeitete in dem Kindergarten, in den Chris Kyle seinen Nachwuchs brachte. Eines Tages bat sie den wortkargen Ex-Soldaten um Hilfe. Ihr Sohn hatte mit Selbstmord gedroht.

Was Gegnern des in Amerika allgegenwärtigen Waffenkultes absurd vorkommt, war für den tiefreligiösen Chris Kyle ein Glaubensbekenntnis: Schießen kann heilen, kann das Grauen, das ein Soldat im Gefecht auf sich geladen hat, abschütteln helfen. Am 2. Februar 2013 fuhren Kyle (38) und ein Freund, Chad Littlefield (35), mit Routh auf die "Rough Creek Shooting Range" in Glen Rose, ein beliebter Schießstand für Privatschützen 70 Meilen vor Dallas. Noch bevor der zur Entspannung gedachte Ausflug beginnen konnte, waren Kyle und Littlefield tot. Erschossen von Eddie Ray Routh mit einer Schnellfeuerpistole. Seine Seele sei in höchster Gefahr gewesen, sagte er nach kurzer Flucht der Polizei im Laufe eines wirren Geständnisses, in dem von Dämonen und höheren Mächten die Rede war. Routh erklärte sich bei der Anklageverlesung für nicht schuldig und gab seinen Anwälten Warren St. John und Tim Moore damit die Blaupause für die Verteidigung. Die Juristen werden auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. In zwei Wochen soll das Urteil fallen.

Bis dahin steht dem Land ein einzigartiger Prozess bevor, der nicht nur die oft verdrängten Langzeitschäden Hunderttausender Veteranen aus den Kriegen ins Bewusstsein rücken wird. Und können die Beteiligten im Prozess mit dem Film "American Sniper" im Kopf noch vorurteilsfrei entscheiden? Dass Eddie Ray Routh die Todesstrafe erspart bleiben soll, halten viele Texaner für zwiespältig. Die Staatsanwaltschaft will eine lebenslängliche Haftstrafe erwirken.

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