Widersprüche im neuen BuchThilo Sarrazins „Feindliche Übernahme“ im Faktencheck

Thilo Sarrazin hat sein neues Buch vorgestellt.
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Berlin – Thilo Sarrazin, früherer SPD-Finanzsenator in Berlin, löste vor acht Jahren mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ eine heftige Debatte aus. Seine Thesen waren damals ähnlich wie heute: Er sieht die muslimischen Zuwanderer als Zerstörer des freien, demokratischen und wohlhabenden Deutschlands. Die Thesen seines neusten Werks „Feindliche Übernahme“ im Faktencheck.
Der Islam ist eine Gewaltideologie in religiösem Gewand.
Es kommt auf die Lesart an. Wer die Texte buchstabengetreu auslegt, wird der Gewalt nahestehen. Jede historische Lesart stellt die Anweisungen in den geschichtlichen Zusammenhang. Denn oft sind es Antworten auf Fragen der damaligen Zeit. Die Auslegung des Korans birgt nach wie vor einen Konflikt.
Dem Islam wohnt die Gefahr inne, dass sich seine Sicht auf die Gesellschaft bei allen Muslimen durchsetzt.
Zwei Denkfehler sind dieser Behauptung zu eigen. Zum einen wird vorausgesetzt, dass der Islam keine spirituelle, sondern eine Gesetzesreligion ist, die auch das gesellschaftliche Leben der Gläubigen regelt. Zum anderen unterstellt Sarrazin, dass es nur eine Sicht des Islams gebe.
Der heute gelebte Islam ist mit westlichen Werten nicht vereinbar; Fundamentalisten sind auf dem Vormarsch.
Unter den Muslimen sind zwei Trends zu beobachten: Eine Gruppe wendet sich verstärkt den religiösen Praktiken der Religion zu. Die andere Gruppe nimmt säkulare Werte und Lebensformen an. Es existieren also Säkularisierungstendenzen wie auch im Christentum. Diese Entwicklungen sind dort am stärksten, wo der religiöse Druck und die Bevormundung am größten ist; beispielsweise im Iran.
Aus islamischen Staaten kommen keine Impulse für den Fortschritt der Menschheit.
In der Tat haben Muslime – einst Träger einer Hochkultur – führende Positionen in der Welt eingebüßt. Vor allem fehlt dem Islam eine Aufklärung, durch die hindurch das Christentum im 18. Jahrhundert seinen Weg finden musste. Allerdings gibt es Kräfte innerhalb des Islam, die genau diese Aufklärung vorantreiben. Zudem sei daran erinnert, dass die katholische Kirche bis Mitte des 20. Jahrhunderts Religionsfreiheit und andere Menschenrechte nicht anerkannte.
Frauen wurden im Abendland nie auf ihre Geschlechterrolle beschränkt.
Wäre Sarrazin Humorist, könnte man über diesen Satz lachen. Wörtlich schreibt er: „Sie durften lesen, musizieren und flirten.“ Der Begriff des Abendlandes wurde bereits in der Antike für Europa verwendet. Das Frauenwahlrecht gab es in Deutschland 1918. Bis 1958 durfte der Ehemann das Dienstverhältnis seiner Frau kündigen. Und erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe in der Bundesrepublik strafbar.
Muslime sind schuld an der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in Europa.
Sarrazin verknüpft wie in früheren Büchern die Religionszugehörigkeit mit dem Bildungsgrad. Dass Schüler mit Migrationshintergrund bei Pisa-Studien schlechter abschneiden, belegt für ihn, dass der Islam die Leute dumm macht. Das ist unzulässig und falsch. Richtig ist, dass Kinder mit Migrationshintergrund etwa an Gymnasien unterrepräsentiert sind. Das liegt aber nach Ansicht des Bildungsforschers Klaus Klemm am „sozioökonomischen Hintergrund“ der Eltern und an der Sprache. Die Religion spielt keine Rolle.
Die Einwanderung von Muslimen nach Europa muss verboten werden.
Der Titel des deutschen Trumps ist laut „New York Times“ bereits an Markus Söder vergeben, sonst wäre Sarrazin mit seinem europäischen „Muslim Ban“ ein heißer Anwärter. In Deutschland gilt das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte und in Europa das Recht auf Freizügigkeit. Beides verhindert, dass Sarrazins Traum Realität wird. Das Asylrecht sei zum Einfallstor für illegale Migration verkommen, behauptet er, was freilich ein Widerspruch in sich ist. Wem das Asylrecht gewährt wird, der ist auch nicht illegal im Land. Die Anträge werden schließlich auf Rechtmäßigkeit geprüft.