Bahn-Vorstand Manuel Rehkopf„Wir sind aggressiver geworden“
Frankfurt – Wir sitzen in einem ICE-Wagen, den es so noch nicht gegeben hat. Hostessen verteilen kostenlos iPads, auf denen Filme wie „Ziemlich beste Freunde“ oder „Skyfall“ abgespeichert sind. Oder Hörbücher. Es gibt Kuscheldecken und Popcorn, Smoothies, Malbücher für Kinder, Gesellschaftsspiele. Keine Frage, die Fahrt im ICE 1025 von Hamburg über Köln nach Frankfurt dürfte kurzweilig werden. Mit an Bord im sogenannten Erlebniswagen: der für das Marketing verantwortliche Fernverkehrsvorstand Manuel Rehkopf.
Filme, Popcorn, Kuscheldecken. Sind das die Mittel, mit denen die Bahn dem Fernbus Marktanteile abnehmen will?
Manuel Rehkopf: Natürlich nicht. Da gehört deutlich mehr dazu. Wir haben ja angekündigt, dass wir bis 2030 das Angebot im Fernverkehr um 25 Prozent ausbauen werden. Wir wollen 50 Millionen mehr Fahrgäste pro Jahr in die ICE und IC holen. Das ist ein ehrgeiziges Ziel.
Seit mehr als einem Jahr rauscht Ihnen die Fernbus-Branche davon. Warum reagiert die Bahn erst jetzt?
Rehkopf: Wir haben das Tempo unterschätzt, mit dem der Fernbus-Markt wächst. Wir dachten, wir hätten mehr Zeit, um darauf zu reagieren. Jetzt stellen wir uns dem Wettbewerb. Wir sind aggressiver geworden. Unter anderem mit den Sparpreis-Tickets ab 19 Euro. Wenn wir den Bahnstreik mal ausklammern, wachsen wir nach der Durststrecke 2014 in diesem Jahr bereits wieder. Es kann sich aber nicht alles nur um den Preis drehen.
Was will die Bahn anders machen?
Rehkopf: Wir wollen bei unseren Kunden dafür werben, dass sie nicht nur ein Ticket kaufen, um von A nach B transportiert zu werden. Sondern, dass sie im Zug Zeit bekommen, die sie sehr individuell nutzen können. Unsere Botschaft lautet: „Diese Zeit gehört Dir.“ Deshalb haben wir diese Kampagne gestartet. Wir versuchen, dem Reisenden Dinge zu ermöglichen, die er auch gern unternähme, wenn er gerade nicht in einem unserer Züge säße.
Wie soll das gehen? Der eine will telefonieren, der nächste arbeiten, der Dritte Ruhe haben? Und trifft in einem überfüllten Großraumwagen auf einen Kegelclub.
Rehkopf: So perfekt wie für Mitreisende im eigenen Auto wird uns das niemals gelingen. Aber deshalb werden wir künftig versuchen, die Kunden schon bei der Buchung besser zu sortieren. In der 1. Klasse ist die Reservierung ja bereits kostenlos, in der 2. Klasse wird das auch kommen. Bei Familien haben wir das schon einmal getestet. Sie haben ja meistens doppelten Stress. Die Kinder wollen beschäftigt werden und dann müssen die Eltern noch darauf achten, dass die Mitreisenden nicht gestört werden. Das kann man besser regeln. Wie mit der unsichtbaren Hand eines guten Gastgebers.
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Ganz schön ehrgeizig. Dabei wären die meisten Bahnfahrer schon mit einem stabilen Mobilfunknetz und WLAN im Zug zufrieden.
Rehkopf: Das wird in Kürze kommen. Und da reden wir bei der ICE-Flotte nicht über mehrere Jahre, sondern über 2016. Was die Unterhaltung angeht, werden wir noch im Herbst unser sogenanntes ICE-Portal einführen. Es hat bisher vor allem Lesefunktionen und bietet Fahrplan-Informationen. Im nächsten Schritt wird es Filme und Hörbücher geben. Dabei nutzen wir immer die WLAN-Architektur in den Zügen. Für das Herunterladen benötigt man deshalb keine Online-Verbindung. Beim Telefonieren ist doch das größte Ärgernis, dass alle im Wagen mitbekommen, wie jemand verzweifelt und immer lauter „Hallo, hallo“ ruft, obwohl die Leitung längst zusammengebrochen ist. Durch den Einbau neuer Mobilfunk-Repeater werden wir diese Verbindungsabbrüche deutlich reduzieren.
Werden wir uns am Ende gar über Verspätungen freuen, weil wir dann länger im Zug verweilen dürfen?
Rehkopf: Vor Spott ist man bei der Bahn nie gefeit. Aber mal ernsthaft: Es geht um die Qualität der Zeit, die man in unseren Zügen verbringt. Da haben wir unser Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn wir das ernst nehmen – und das wollen wir – müssen wir intelligente Lösungen finden. Bei den Fahrkartenkontrollen, bei den Durchsagen im Zug. Wir müssen dem Kunden den Stress nehmen, ob er seinen Anschluss erreicht oder nicht. Er sollte möglichst wenig gestört werden. Weil ihm die Zeit gehört. Das ist ein hoher Anspruch und setzt einen Bewusstseinswandel bei unseren Mitarbeitern voraus.
Das alles soll helfen im Kampf um die Kundschaft?
Rehkopf: Ja. Die Fernverkehrsoffensive bedeutet ja auch, dass wir langfristig mit dem IC zurück in die Fläche gehen und das Netz um 30 Millionen Reisekilometer erweitern. Wir haben in den letzten sechs Jahren eine ziemliche Durststrecke hinter uns. Sowohl bei neuen Fahrzeugen als auch bei der Infrastruktur. Wenn die neue Strecke zwischen Berlin und München fertig ist, sparen wir dort zwei Stunden Fahrzeit. Das wird unseren Marktanteil von derzeit 15 Prozent deutlich erhöhen. Zwischen Berlin und Frankfurt/Main liegen wir inzwischen bei 40 Prozent. Kürzere Reisezeiten sind immer noch der einfachste Weg, neue Kunden zu gewinnen.
Das Gespräch führte Peter Berger.