„Es war wie ein Rausch“„Mr. Cum-Ex“ Hanno Berger legt Teilgeständnis In Bonn ab

Hanno Berger (M), Angeklagter und Rechtsanwalt
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- In Bonn legt der frühere Pate des milliardenschweren Betrugs mit Aktien ein Teilgeständnis ab.
- In Hamburg weist derweil Olaf Scholz alle Vorwürfe zurück, Einfluss zugunsten einer in den Skandal verwickelten Bank genommen zu haben.
Es dauerte lange, bis sich Hanno Berger zu einer Einlassung vor Gericht durchrang. Der Rechtsanwalt gilt als der „Pate“ der Cum-Ex-Geschäfte, jenen dubiosen Aktiendeals, durch die dem Staat über Jahre ein Milliardenschaden entstanden ist. Seit Anfang April ist der 71-Jährige vor der 12. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts wegen Betrugs und Steuerhinterziehung in drei Fällen zwischen 2007 und 2013 angeklagt und hatte bisher geschwiegen. Selbst zu seiner Person sagte er nichts, geschweige denn zur Sache. Doch am Montag nun legte er ein Teilgeständnis ab.
Vorausgegangen war am 2. August ein Gespräch der Kammer mit Bergers Anwälten Richard Beyer und Martin Kretschmer sowie Vertretern der Staatsanwaltschaft, bei dem es unter anderem darum ging, auf die Vernehmung von Zeugen zu verzichten, sollte sich Berger einlassen. Auch von einer Entschuldigung für die Taten soll die Rede gewesen sein. Der 71-Jährige wusste von der Unterredung und hielt sich für Rückfragen in der Vorführzelle im Keller des Bonner Landgerichts bereit. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler fertigte über das Gespräch einen Aktenvermerk an, den er bei der vorherigen Verhandlung am vergangenen Montag vortrug.
Berger seit Februar in Kölner U-Haft
Berger sitzt seit Februar in Köln in Untersuchungshaft; parallel zum Bonner Verfahren läuft gegen ihn ein Cum-Ex- Prozess vor dem Landgericht Wiesbaden. Dafür wird der Jurist jedes Mal vom Klingelpütz zur Strafanstalt Frankfurt/Main transportiert; er ließ gestern anklingen, wie schädlich das für seine Gesundheit sei. Möglicherweise haben all diese Umstände ihn bewogen, ein wenig reinen Tisch zu machen und eine knapp zweistündige Erklärung abzugeben.

Der Steueranwalt Hanno Berger
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So erzählte Hanno Berger zu Beginn auch von seinem Lebensweg: Geboren am 13. November 1950, wuchs er in einem Pfarrhaus in Frankfurt auf, besuchte ein humanistisches Gymnasium, lernte Geige auf dem Konservatorium und kann nach eigenen Angaben Violinkonzerte von Mozart und Bach spielen. Er studierte Jura und wurde 1980 mit einer Doktorarbeit über Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Banken promoviert. Die Geldhäuser sollten später sein Ding werden.
In der hessischen Finanzverwaltung wurde er bald zum Leiter der Betriebsprüfung von Banken am Börsenplatz Frankfurt. Zwischendurch hielt der Regierungsdirektor Vorträge vor Wirtschaftsvertretern. Schnell sprach sich seine Expertise in diesen Kreisen herum, so dass ihn ein Banker Mitte der 90er-Jahre fragte: „Herr Berger, warum machen Sie das?“ Es folgte ein lukratives Angebot über ein Gehalt von mehreren hunderttausend Mark plus Auto, das er, so räumte er gestern ein, nicht ablehnen wollte.
Hanno Berger wurde ein Meister der „Steuergestaltung“
1996 verließ er den Staatsdienst, und „dann ging’s halt bergauf“, sagte der Ex-Beamte, der nach Besoldungsgruppe A15 bezahlt worden war und nach dem Wechsel in die freie Wirtschaft anfangs gut 300000 Mark einstrich. Er heuerte bei mehreren Anwaltskanzleien an und machte sich 2010 selbstständig, erst mit sieben Mitarbeitern, später mit 145 in einem Büro über vier Etagen im Skyper-Wolkenkratzer in Frankfurt.
Die gut betuchten Klienten hätten ihm immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Wie kriege ich mein Einkommen steuerfrei?“ Hanno Berger wurde ein Meister der „Steuergestaltung“, wie er seine Tätigkeit nannte. Er müsse seine Mandanten auf Lücken im Steuerrecht aufmerksam machen. Ob der Mandant sie nutze, sei ihm überlassen, sei dessen „Moral“, schilderte der 71-Jährige dem Gericht. Darauf Kammervorsitzender Zickler: „Um Fragen der Moral geht es hier nicht, sondern um Fragen des Gesetzes.“
Gegen das Gesetz hat „Dr. Cum-Ex“ möglicherweise verstoßen. Er gilt als Initiator der sogenannten Dividendenstripping-Transaktionen, bei denen Investoren um den Stichtag der Dividendenausschüttung Aktien zwischen mehreren Beteiligten hin und her schoben. Bei einigen Aktien bestand der Anspruch auf Ausschüttung (mit, lateinisch „cum“), bei anderen nicht (ohne, „ex“). Die Finanzämter waren durch das Geschiebe so verwirrt, dass sie den Investoren Kapitalertragssteuern erstatteten, die sie nie gezahlt hatten. Der Staat wurde so um Milliarden betrogen – allein die Taten, die Berger vorgeworfen werden, sollen einen Schaden von 278 Millionen Euro verursacht haben.
Am Montag räumte er ein, ab 2009 mit bedingtem Vorsatz gehandelt zu haben. Damals hatte das Bundesfinanzministerium in einem Brief Bedenken gegen seine Art der Steuergestaltung deutlich gemacht. „Man hätte sagen können, entweder wir stoppen das oder wir müssen anders vorgehen“, erklärte Berger in seiner Einlassung. Er hielt aber an seiner bewährten Methode fest. Sein Verteidiger Beyer präzisierte später auf Nachfrage, vor dem Jahr 2009 habe es bei seinem Mandanten keinen Vorsatz gegeben.
Irgendwann, so erzählte es Hanno Berger gestern, habe ihm ein ehemaliger Richter des Bundesfinanzgerichtshofs gesagt: „Mit der Steuergestaltung ist es vorbei.“ Doch er hörte nicht auf: „Es war wie ein Rausch“, der ihn zum mehrfachen Millionär machte. Im November 2012 war der „Rausch“ vorbei, als die Staatsanwaltschaft seine Kanzlei und seine Privaträume durchsuchte. Berger setzte sich am gleichen Tag in die Schweiz ab und wurde nach einem vom Landgericht Bonn erlassenen Haftbefehl – erst zehn Jahre später – im Februar 2022 ausgeliefert.
Die Wirtschaftsstrafkammer machte gestern allerdings deutlich, dass ihr das Teilgeständnis des Angeklagten nicht reicht. Der Vorsitzende Richter Zickler versprach dem früheren Steuerjongleur: „Wir kennen die Akten und werden Nachfragen stellen.“ Der Prozess ist bis Oktober terminiert.
Bargeldfund: Neuer Ärger für Scholz
Die Steueraffäre um die Hamburger Warburg Bank droht sich zu einem Politskandal auszuwachsen, bei dem auch Kanzler Olaf Scholz (Bild links) immer mehr unter Druck gerät. In der kommenden Woche will der SPD-Politiker erneut vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss zum „Cum-Ex“-Skandal aussagen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte.
Oppositionspolitiker fordern: Scholz müsse auch Stellung nehmen zum Fund hoher Bargeldsummen bei einem seiner SPD-Genossen. Denn aus den Ermittlungsakten, die den Ausschussmitgliedern vorliegen, geht nach Angaben des Linken-Obmanns Norbert Hackbusch hervor, dass in einem Schließfach des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (Bild rechts) mehr als 200000 Euro gefunden wurden. Nach Angaben der zuständigen Kölner Staatsanwaltschaft wurden „keine etwaig aufgefundenen Bargeldbeträge“ sichergestellt. Das gehe generell nur bei konkretem Verdacht, dass Geld aus einer Straftat stamme. Fest steht: Illegal ist es nicht, so viel Bargeld zu horten. Aber Beobachter der Hamburger Steueraffäre halten den Fall Kahrs zumindest für dubios.
Scholz selbst habe von einer möglichen größeren Bargeld-Summe bei Kahrs nichts gewusst, betonte sein Sprecher. Trotzdem wird sich der Kanzler noch einmal um seine Hamburger Vergangenheit kümmern müssen. Denn der Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft versucht zu klären, ob es in der Zeit von Scholz als Erstem Bürgermeister der Hansestadt eine politische Einflussnahme auf Steuerentscheidungen gab. Kurz nach Treffen von Scholz und dem Miteigentümer der Warburg Bank, Christian Olearius, verzichtete die Finanzverwaltung zunächst auf Steuerrückforderungen in zweistelliger Millionenhöhe. Später musste die Bank aufgrund eines Gerichtsbeschlusses doch mehr als 176 Millionen Euro zu Unrecht erstatteter Steuern zurückzahlen.
Die Warburg Bank war in den sogenannten „Cum-Ex“-Skandal verwickelt. Bei seiner ersten Vernehmung vor dem Ausschuss im April 2021 bestritt Scholz jede politische Einflussnahme in dem Fall. An die Gespräche mit den Gesellschaftern der Bank konnte er sich aber nicht mehr erinnern. Gegen Kahrs wird wegen des Verdachts der Begünstigung ermittelt.
Zwar sei mit dem neuesten Geldfund noch kein Bezug zur Bank herzustellen, sagte Linken-Obmann Hackbusch. Aus den Tagebüchern von Olearius und Befragungen im Ausschuss wisse man aber, „dass Herr Kahrs sehr viele Aktivitäten in Zusammenhang mit Herrn Olearius getätigt hat, in Kenntnis der Tatsache, dass gegen diesen bereits wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung ermittelt wurde“.
Kahrs galt als Bundestagsabgeordneter in Berlin als versierter Strippenzieher. Nachdem er im Rennen um das Amt des Wehrbeauftragten gescheitert war, legte der Sprecher der konservativeren SPD-Strömung Seeheimer Kreis sämtliche politischen Ämter nieder. Kahrs war laut Olearius“ Tagebüchern auch derjenige, der die Treffen des Bankers mit Scholz anbahnte. Der Bargeldfund lasse dieses Engagement in neuem Licht erscheinen, sagte Hackbusch. „Warum sollte man sonst solche Aktivitäten unternommen haben zugunsten eines damals schon bekannten Steuerräubers?“ (dpa)