Interview mit Siemens-Chef„Die AfD schadet unseren Exportinteressen“

Lesezeit 11 Minuten
Joe_Kaeser_Siemens

Joe Kaeser ist seit August 2013 Konzernchef von SIEMENS. (Archivbild)

  • Joe Kaeser ist seit 13 Jahren Konzernchef von SIEMENS.
  • Im Interview spricht er über mehr Verantwortung der Unternehmen bei der Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter.
  • Ein wichtiges Thema ist für ihn auch die AfD, die ihm einen „Schauer über den Rücken jagt.“

Herr Kaeser, die große Koalition hat sich auf staatliche Leistungen für eine Grundrente für Niedrigverdiener geeinigt. Warum kümmern sich die Unternehmen nicht mehr darum, dass Beschäftigten nach 35 Arbeitsjahren Altersarmut erspart bleibt? Ist der Mindestlohn von weniger als zehn Euro pro Stunde zu niedrig? 

Kaeser: Wer ein natürliches Verhältnis zu Moral und Würde hat, dem leuchtet ein, dass Menschen nach einem langen Arbeitsleben ein würdiges Auskommen im Alter haben sollen. Ein pauschaler Mindestlohn garantiert aber noch keine Absicherung. In München reichen vielleicht auch nicht 14 Euro pro Stunde, weil die Stadt sehr teuer ist. In manchen Regionen könnten dagegen zehn oder zwölf Euro ganz ordentlich sein.

Was müssen die Arbeitgeber dann ändern, damit ihre Mitarbeiter für die Rente vorsorgen können?

Kaeser: Der Generationsvertrag ist wegen der demografischen Entwicklung nicht mehr in Takt. Die gesetzliche Rente wird wegen der Alterung der Gesellschaft eine riesige Herausforderung werden. Wir müssen zu Zeiten der Erwerbstätigkeit neue Wege in der Vermögensbildung geben.

Welche?

Kaeser:  Bis 70 Jahre arbeiten – das wird keine Partei freiwillig beschließen. Die Rente kürzen - ist genauso problematisch für Politiker, die wiedergewählt werden wollen. Also müssen die Unternehmen eine neue Verantwortung übernehmen - und auch die Mitarbeiter sollten ihren Beitrag leisten.

Wie?

Kaeser: Ganz wichtig ist: Wir müssen die Beschäftigten mehr am Erfolg des Unternehmens beteiligen. Bei börsennotierten Unternehmen geht das mit Aktien. Bei uns haben 300.000 von 385.000 Beschäftigten Siemens-Aktien. Nach drei Jahren Haltezeit der Aktien bekommen sie eine Aktie gratis. Das ist attraktiv. Die Vermögensbildung muss investiver werden. Die Betriebsrenten müssen ausgebaut werden. 

Verpflichtend?

Kaeser: Die Mitarbeiter haben die freie Wahl, wo sie hingehen wollen. Ich würde das dem Wettbewerb überlassen. Der Gesetzgeber muss dann aber dafür sorgen, dass solche investiven Leistungen – also etwa die Gewinne aus Aktien – nicht der normalen Einkommenssteuer unterliegen. Menschen, die Aktien für die Altersvorsorge halten, können doch bei Kursgewinnen nicht so besteuert werden wie ein Hochfrequenzhändler am Aktienmarkt. Würde man spekulative Vermögensgewinne stärker besteuern, hätte man auch eine Gegenfinanzierung. Dann wird es eine runde Sache.

Was machen die Arbeitnehmer, die nicht in einem börsennotierten Unternehmen arbeiten, also keine firmeneigenen Aktien kaufen können und auch keine 50 Euro im Monat übrig haben, um fürs Alter zu sparen?

Kaeser:  Ich verstehe diese Argumentation. Es gibt Menschen, die haben am 20. eines Monats kaum noch genug zum Leben. Es könnte ein Freibetrag vom Bruttolohn abgeführt werden, den der Arbeitgeber für den Mitarbeiter in einen Vermögensfonds für die Altersvorsorge abführt. Das wäre ein indirekter Zugang zum Unternehmensgewinn. Aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich kein Rentenexperte bin. Die Politik sollte die Vorleistung erbringen und dann schauen wir es uns gerne an.

Der Konzern Siemens hat weltweit 380.000 Mitarbeiter, davon 20.000 in NRW: 600 Mitarbeiter in Düsseldorf, 4700 im Energy-Werk Mülheim und 2400 im Werk Duisburg, 2000 im Krefelder Zugwerk, 400 im Prüfcenter Wegberg.

Der Chef Joe Kaeser (geboren 1957 im niederbayerischen Arnbruck als Josef Käser) ist seit 1980 bei Siemens. Der Betriebswirt war von 2006 bis 2013 Finanzvorstand, seit August 2013 ist er Konzernchef.  

Es gibt noch eine andere Währung für Mitarbeiter: Die Identifikation mit dem Unternehmen. Was müssen Konzernchefs tun, damit ihre Beschäftigten das Beste geben?

Kaeser:  Gute Frage. Ich glaube, dass sind ganz einfache Dinge. Zum Beispiel: Nähe zeigen, ein Ohr haben für die Themen, die die Mitarbeiter beschäftigen. Sie müssen in ihre Produktionshallen gehen, mit den Mitarbeitern sprechen. Über ihre Leidenschaften. Fußball zum Beispiel. Und natürlich sollten Sie sie vor Ungerechtigkeiten schützen. Jeder, der morgens aufsteht und zur Arbeit geht, kann Fehler machen. Die Unternehmensleitung genauso wie die Mitarbeiter.

Wenn man einen Unternehmensskandal ins Verhältnis dazu setzt, dass eine Mitarbeiterin drei Maultaschen, die sonst weggeworfen worden wären, an sich genommen hat und dafür entlassen werden soll, ist das ein Unding. So geht man mit Menschen nicht um. Und Konzernchefs müssen auch nicht überall mit dem Privatjet hinfliegen.

Haben Sie persönlich noch Bodenhaftung?

Kaeser: Da müssen Sie andere fragen. Das Bewusstsein, dass das ein erstrebenswerter Zustand ist, das ist jedenfalls da.

Die übliche Frage lautet ja, wissen Sie noch, was das Pfund Butter kostet?

Kaeser:  Ab 1,79 Euro.

Sie sind nah an den Präsidenten der USA und Chinas. Manche sagen, zu nah. Donald Trump haben sie auf Twitter kritisiert, aber sind Sie zu nett zu China?

Kaeser: Wenn man Kritik äußert, muss die Motivation sein, ein Verhalten zu ändern. Das kann man in unterschiedlicher Lautstärke machen. Ich hatte einen Tweet abgesetzt, dass es mich betrübt, wenn das wichtigste politische Amt der Welt das Gesicht von Rassismus und Ausgrenzung wird. Aber auch in den Gesprächen mit China machen wir klar, was unsere Werte sind. Die Kulturen sind nur unterschiedlich. Wir müssen der chinesischen Regierung keinen Tweet schreiben, dort versteht man Kritik auch ohne offene Briefe.

Das sieht man in Hongkong anders, hier will China Freiheit und Demokratie beschneiden.

Kaeser: In unseren Gesprächen haben wir deutlich gemacht, dass es wichtig ist, eine friedliche Lösung zu finden und die Volksrepublik zu seiner Verpflichtung stehen muss: „Zwei Systeme, ein Land“. Menschen dürfen nicht ausgegrenzt oder verfolgt werden, weil sie ihre Meinung friedlich kundtun.

China unterdrückt auch die Uiguren, Menschenrechtsorganisationen berichten über Lager und Zwangsarbeit. Darf da ein westlicher Konzern überhaupt Geschäfte machen?

Kaeser: Siemens hat in der Uiguren-Region Xinjiang kein Werk, wir haben dort nur ein eher kleines Büro mit ein paar wenigen Mitarbeitern und haben einem Kunden Automatisierungstechnik für die Fertigung geliefert. Aber ich will auch klar sagen: Wir würden niemals Zwangsarbeiter beschäftigen, und niemals mit Internierungslagern kooperieren. Es gibt Dinge, die macht man nicht.

Was machen Sie denn, wenn Donald Trump Siemens im Handelskrieg vor die Wahl stellt – Geschäfte mit China oder den USA?

Kaeser: Die Welt ist eine bessere geworden, seit Globalisierung und Freihandel Millionen Menschen aus der Armut geholt haben. Nun aber geht es um die Frage, wer als Wirtschaftsmacht die Nr. 1 wird - und letztlich auch einmal die militärische Nr. 1. Der derzeitige Handelskrieg ist also eher das Symptom, aber nicht die Ursache.

Meine Einschätzung: China ist auf dem besten Weg, die USA als führende Wirtschaftsmacht abzulösen. Das ergibt sich allein aus der Größe des chinesischen Binnenmarktes mit seinen 1,4 Milliarden Konsumenten. Und als Nummer 1 die Nummer 2 zu werden, mag niemand gerne.

Was also würde Siemens tun?

Kaeser: Die USA ist unser umsatzstärkster Markt mit mehr als 18 Milliarden Euro. Das wichtigste Wachstumsland ist China. In Amerika entscheidet der Kunde, ob er Produkte anderer Ländern kauft. Wenn er nicht zu heimischen Waren greift, sind sie wahrscheinlich nicht seine erste Wahl. Also wäre die Therapie: Nicht die Zölle erhöhen, sondern die eigene Wirtschaft mit Innovation, Technologie und Ausbildung wettbewerbsfähiger machen. Es wäre schade, wenn sich die Welt zwischen China und den USA entscheiden müsste. Das wäre für die Weltwirtschaft mit ihren internationalen Lieferketten ein fundamentaler Rückschlag. Uns bliebe auf Sicht nur die Lokalisierung. Das wäre für den Standort Deutschland eine herbe Zäsur mit gravierenden Folgen.

Was hieße das für Deutschland?

Kaeser: Deutschland wäre der große Verlierer, denn viele deutsche Unternehmen sind stark abhängig vom Export. Könnten sie ihre Produkte nicht mehr in die USA oder nach China verkaufen, wäre das eine ernste Lage. Bei Siemens arbeitet etwa ein Drittel unserer Belegschaft in Deutschland. Wir erwirtschaften aber nur knapp zehn Prozent unserer Umsätze hierzulande.

Das Ausland schaut mit Sorge auf Deutschland wegen des Erstarkens der AfD. Wie sehen Sie deren Erfolge im Osten?

Kaeser: Die AfD ist eine demokratisch zugelassene Partei, und wir müssen damit umgehen, dass Menschen sie wählen. Ich wähle die AfD nicht und werde sie auch nie wählen. In der Partei sind rechtsnationale Elemente, das jagt mir Schauer über den Rücken. Man muss mit sachlicher Aufklärung gegenhalten. Das versuche ich immer wieder.

Wie das?

Kaeser: Ein Beispiel: Als wir unser Werk in Görlitz schließen wollten, hatten wir zu einer Versammlung Vertreter aller Parteien eingeladen - außer der AfD. Als das kritisiert wurde, habe ich klar gemacht: Von den 90 Turbinen, die in Görlitz zuletzt gebaut wurden, wurde nur eine einzige nach Deutschland verkauft. Das heißt, etwa 90% der Arbeitsplätze in Görlitz hängen vom Export ab. Eine Partei, die Deutschland abschotten will und andere Kulturen ausgrenzt, schadet unserem Ansehen und unseren Exportinteressen in der Welt und gefährdet damit Arbeitsplätze in unserem Land. Deshalb ist aus meiner Sicht die beste Alternative für Deutschland unsere Exportkraft und eine faire Offenheit gegenüber der ganzen Welt. 

Das Werk in Görlitz haben Sie am Ende trotzdem nicht geschlossen …

Kaeser: Betriebswirtschaftlich war das sauber durchgerechnet: Das Werk hätte geschlossen werden müssen, aber Betriebswirtschaft ist nicht alles. Das haben wir erkannt und deshalb bleiben wir in Görlitz. Aber eines ist auch klar: das Werk muss sich mittelfristig selbst tragen. 

Auch in den NRW-Werken hat die Siemens-Belegschaft große Sorgen. Sie wollen die Energiesparte als Siemens Energy abspalten, die in Mülheim Turbinen und in Duisburg Generatoren herstellt.

Kaeser: In jeder Arbeits-Stunde macht Siemens etwa 50 Millionen Euro Umsatz und gibt über 380000 Menschen Arbeit. Mein Ziel ist es, dass dieser riesige Konzern auch in der nächsten Generation noch erfolgreich sein kann. In allen unseren Geschäftsfeldern vollziehen sich transformatorische Veränderungen, zum Beispiel durch die Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz. Deshalb müssen wir uns verändern. Wer nur den Status quo sichern will, wird nicht überleben. Der große Erfolg aus der Verselbständigung unserer Gesundheitstechnik Siemens Healthineers beweist, dass der Weg richtig ist.

Die Mitarbeiter von Siemens Energy fühlen sich aber als Bad Bank …

Kaeser: Das sehe ich ganz anders und das ist weltweit auch nicht so. Natürlich wissen unsere Mitarbeiter, dass die Nachfrage bei den großen Gasturbinen stark zurückgegangen ist. Deswegen müssen wir Anpassungen vornehmen. Dass ist aber nur ein Teil des Energiemarktes. Die weltweite Nachfrage nach Energie steigt ständig. Und gleichzeitig müssen wir alle die CO2 Emissionen reduzieren. Das ist die Chance für Siemens Energy. Wir bieten die ganze Bandbreite an von der konventionellen Energieerzeugung über die Stromübertragung und -Verteilung bis zu den Erneuerbaren Energien. Ich war im Sommer in fast allen deutschen Werken und habe fast so etwas wie Aufbruchstimmung für die neue Marke gespürt.

Bitte konkret, was heißt das für Mülheim?

Kaeser: Mülheim ist eines der besten Werke, das wir haben. Leider haben wir in Deutschland, kaum noch Aufträge für Fossile Kraftwerke wie Kohle. Daher gibt es immer wieder strukturelle bedingte Einschnitte. Wir sagen den Mitarbeitern zu, dass es wegen der Energy-Abspaltung keinen Jobabbau geben wird. Was in der Zukunft ist, können wir nicht sagen. Am Ende bestimmen jedoch unsere Kunden über unsere Auslastung und damit auch die Jobs. 

Bleibt es beim Börsengang 2021 und Ihrer Sperrminorität?

Kaeser: Ja. Der Börsengang ist für Herbst 2021 geplant. Wir werden weniger als 50 Prozent und mehr als 25 Prozent im ersten Schritt halten. Danach wollen wir Siemens Energy Zug um Zug vollständig in die Selbstständigkeit entlassen. Wann das soweit sein wird, ist heute noch offen.

Wo kommt denn die neue Zentrale für Siemens Energy hin – wäre das nicht eine schöne Kompensation für NRW?

Kaeser: Es hat Gespräche mit Ministerpräsident Laschet gegeben, aber auch Berlin und Bayern sind interessiert. Alle drei Bundesländer sind sehr engagiert und ich habe einen transparenten und fairen Prozess zugesagt. Klar ist: Der Sitz von Siemens Energy wird in Deutschland sein, und alle drei Länder haben gute Chancen. Wir werden bis Februar entscheiden, wer das Rennen macht. Es geht um verhältnismäßig wenige Stellen im neuen Hauptquartier. Unsere Mitarbeiter sollten für Siemens Energy nicht groß umziehen müssen. Aber natürlich ist der Sitz des neuen Konzerns mit weltweit knapp 20 Milliarden Euro Umsatz und über 90.000 Mitarbeitern attraktiv für jedes Land.

Müssen Sie als Münchner Konzern nicht Bayern nehmen?

Kaeser: Nein. Außerdem sind wir kein Münchner Konzern. 

Im Zugwerk Krefeld fragen sich die Beschäftigten, wohin für sie die Reise geht. Werden Sie einen neuen Anlauf nehmen für Fusion mit Alstom, die an den EU-Kartellbehörden gescheitert ist?

Kaeser: Vorerst sehe ich dafür keine Chance. Eine solche Fusion würde weiter Sinn machen, aber wir können nicht mit dem gleichen Plan noch einmal nach Brüssel gehen, solange sich der gesetzliche Rahmen nicht ändert. Vielleicht ergibt sich später ein neues Fenster, und die EU weitet ihren Blick. Der Zugmarkt ist global und eine Fusion von Siemens Alstom gefährdet angesichts der Marktmacht von China keineswegs den Wettbewerb. 

Was machen Sie 2021, wenn Ihr Vertrag ausläuft bei Siemens? 

Kaeser:  Da wird mir schon was einfallen, keine Bange.

Lust aufs Weitermachen hätten Sie schon?

Kaeser: Ich habe den Aufsichtsrat gebeten, eine geordnete Nachfolge zu organisieren und dazu einen Vorschlag gemacht. Die vergangenen zwei Chef-Wechsel waren ziemlich ungeordnet, das kann Siemens besser. Wir sind heute sehr stark. Jetzt teilt sich der Konzern. Das ist eine starke emotionale Belastung für die Siemens-Familie und die Tradition. Aber Tradition ist in die Vergangenheit gerichtet. Man sollte ihr mit Respekt begegnen. Die Zukunft aber ist gestaltbar. Deshalb müssen wir sie verantwortlich und umsichtig gestalten. Dazu gehört neben einer tragfähigen Strategie auch ein starkes Management Team. Deshalb ist eine geordnete Führungsentwicklung unverzichtbar. 

Rundschau abonnieren