Rewe in Köln ist VorreiterWie das „Pick & Go“-Modell im Supermarkt funktioniert

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Rewe pick an go ccr

Unter der Decke hängen Kameras, die den Einkauf verfolgen.

Köln – Zugegeben, etwas seltsam ist es schon: Man schlendert durch den Supermarkt und lässt die Ware aus dem Regal direkt in die eigene Tasche wandern. Hat man alles, was man braucht, spaziert man wieder nach draußen, ohne Halt an der Kasse zu machen. Der Gedanke an Ladendiebstahl schießt einem unweigerlich durch den Kopf. Doch weit gefehlt. Denn geht es nach Rewe, ist das die Zukunft.

„Pick & Go“ heißt das Konzept, das die Handelskette zurzeit in Köln testet und das es so bislang noch nirgends in Deutschland gibt. Es bedeutet: einzukaufen, ohne dass es einen Bezahlvorgang an der Kasse gibt. Kein lästiges Schlangestehen, kein mühsames Beladen des Förderbandes, und auch die leidige Suche nach dem Geldbeutel entfällt. Einfach einpacken und schon sind die Sachen gekauft. Der Zahlvorgang erfolgt digital und unsichtbar.

Auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Supermarkt

Anzusehen ist das dem Rewe-Markt in der Zeppelinstraße unweit des Neumarkts auf dem ersten Blick nicht. Das bekannte rote Logo leuchtet über der Schiebetür, innen die üblichen Regale, gefüllt mit Produkten. Vorne links das frische Obst und Gemüse, gegenüber die Backwaren, etwas weiter hinten das Kühlregal. Milch, Joghurt, Aufstrich – alles so, wie man es kennt.

Der Rewe-Markt in der Zeppelinstraße sieht von außen ganz gewöhnlich aus. 

Der Rewe-Markt in der Zeppelinstraße sieht von außen ganz gewöhnlich aus. 

Auf dem zweiten Blick jedoch ist vieles anders. Datenschutzhinweise und eine moderne Eingangsschranke mit QR-Scanner fallen beim Betreten auf, ebenso wie die Decke, an der man beim genaueren Hinsehen zahlreiche Kameras entdeckt. 200 Stück, für jeden Quadratmeter eine. Sie überwachen jede Ecke des Ladens, analysieren jeden Handgriff des Kunden.

Vor dem Eintritt in den Supermarkt muss man die „Rewe Pick & Go“-App auf dem Smartphone öffnen, mit der man sich an der Eingangsschranke per QR-Code anmeldet. In der App hinterlegt sind Name, Anschrift sowie Kreditkartendaten. Sobald der personalisierte Code gescannt ist, leuchtet die Schranke grün und schwingt auf, ein bisschen wie am Flughafen-Gate. „Damit ist alle Magie getan“, verkündet Projektleiterin Anika Vooes. „Sie können jetzt einkaufen gehen, das Handy wird nicht mehr gebraucht.“

Gewichtssensoren merken, wenn Produkte entnommen wurden

Von nun an wird jede der Bewegungen erfasst. Die Deckenkameras orten den Kunden im Laden und verfolgen dessen Laufwege. Die Artikel, die dabei in der Einkaufstasche landen, werden automatisch registriert und dem virtuellen Einkaufswagen hinzugefügt. Dabei helfen smarte Regale, die mithilfe von Gewichtssensoren merken, wenn ein Produkt oder mehrere entnommen oder wieder zurückgestellt werden. Im Markt hat dazu jeder Artikel seinen festen Platz im Regal, unterteilt durch klare Trenner. Sobald ein Produkt entnommen wird, analysiert eine Software die Daten und ordnet dem jeweiligen Kunden den richtigen Warenkorb zu. Auf diese Weise lassen sich Obst und Gemüse, aber auch der frisch gebrühte Kaffee oder das Mittagessen von der Theke erfassen.

Die Einkäufe sieht der Kunde dann in seiner App.

Die Einkäufe sieht der Kunde dann in seiner App.

„Die Kunden sind auf den Bildaufnahmen nicht persönlich erkennbar“, versichert Vooes. „Das System erkennt nur Skelettmerkmale und dass eine Hand ins Regal greift.“ Möglich macht das eine Kombination aus Computer-Vision und dem „Internet of Things“. Rewe arbeitet hier mit dem Unternehmen Trigo Vision zusammen. „Sobald die Kunden den Markt wieder verlassen, wird die Rechnung angestoßen, die dann automatisch in der App erscheint“, erklärt Vooes. Auch Reklamationen seien darüber möglich.

Deutschland holt bei Innovation auf

„Früher galt der deutsche Handel immer als eher zurückhaltend bezüglich Innovationen“, sagt Ulrich Spaan, Mitglied der Geschäftsleitung beim Handelsforschungsinstitut EHI. „Andere Märkte wie Großbritannien galten als Vorreiter – was auch mit Unterschieden im Verbraucherverhalten zu begründen war.“ In den letzten Jahren sei dieser Abstand aber zunehmend geringer geworden, wenn auch die großen asiatischen Märkte wie Japan, Korea und auch China technologisch noch immer einige Jahre voraus seien.

Die Chancen, dass sich solche Konzepte nun auch in Deutschland etablieren, stehen gut. „Das Einkaufsverhalten der Verbraucher ist zunehmend digital geprägt, die Affinität bezüglich der Nutzung des Smartphones hat in den vergangenen Jahren in sämtlichen Lebensbereichen stark zugenommen“, sagt Spaan. „Somit liegt es nahe, dass das Smartphone auch beim Checkout-Prozess im stationären Einkauf an Bedeutung gewinnt.“

Für klassische Handelsunternehmen wird es darauf ankommen, ob sich automatisierte Stores à la „Pick & Go“ auch flächendeckend wirtschaftlich betreiben lassen. „Dies wiederum hängt mit der Akzeptanz auf Verbraucherseite zusammen“, sagt Spaan. „Ich persönlich gehe aber schon davon aus, dass sich mittelfristig zumindest teilautomatisierte Stores im Lebensmittelhandel etablieren werden.“ (ccr)

Beim Testeinkauf entgeht den Computer-Augen fast nichts: Das System erkennt die richtige Sorte Schokoladenkekse, obwohl sie dreimal gewechselt wurde. Auch die Zahl der Bananen stimmt, ebenso wie der Mango-Maracuja-Smoothie. Nur der Joghurt fehlt nach mehrmaligem Hin-und-Hertauschen am Ende auf der Rechnung. „Wir sind noch nicht perfekt, deswegen testen wir ja auch noch“, betont die Projektleiterin. „So wissen wir zum Beispiel auch noch nicht, was an Karneval passieren wird, wenn hier Hunderte von Menschen in Kostümen einkaufen wollen. Aber wir arbeiten daran.“

Auch Edeka, Tegut und Co. testen neue Konzepte

Einkaufen ohne Kassen – wie das geht, hat Pionier Amazon vorgemacht: Mit dem Format „Amazon Go“ hat der weltgrößte Online-Händler Anfang 2018 neue Maßstäbe und den stationären Handel unter Druck gesetzt. Der kassenlose Supermarkt elektrisiert seither die Branche und revolutioniert den Handel. Mittlerweile beschäftigen sich immer mehr Handelskonzerne auch in Deutschland mit alternativen Einkaufskonzepten.

An einem ähnlichen Modell wie Rewes „Pick & Go“ arbeitet beispielsweise die Schwarz-Gruppe – unter anderem verantwortlich für Lidl und Kaufland. Bei den beiden Einkaufsmodellen „shop.box“ und „collect.box“ handelt es sich allerdings um reine Forschungsprojekte auf einem Bildungscampus in Heilbronn, die für Kunden nicht zugänglich sind, wie es heißt.

Konkurrent Edeka testet im baden-württembergischen Renningen einen automatisierten Mini-Supermarkt namens „E 24/7“. Kunden können dort via App oder über den Automaten vor Ort aus gut 300 Produkten auswählen. Robotertechnik sorgt dann dafür, dass die gewünschte Ware in einem dafür vorgesehen Ausgabefach bereitgestellt wird. Ohne Verkaufspersonal kommt auch „Teo“ von der Supermarktkette Tegut aus: Rund um die Uhr bekommen Kunden per EC-Karte oder über einen QR-Code Zugang zu dem Laden. Vier Stück gibt es davon bereits im Großraum Fulda. Weitere sind in Planung.

Personaleinsparungen sind angeblich kein Thema

Der Rewe-Markt in der Kölner Zeppelinstraße setzt auf ein hybrides Modell, bei dem das klassische Einkaufen mit Bezahlen an der Kasse weiterhin möglich ist. „Kunden können so langsam an die neue Technologie herangeführt werden“, sagt Projektleiterin Vooes. Personaleinsparungen seien deswegen kein Thema, schließlich brauche auch der hybride Markt Mitarbeiter vor Ort. „Durch die frei werdenden Kassenzeiten verschieben sich die Tätigkeiten nur etwas.“

Die größte Skepsis auf Kundenseite kommt jedoch meist beim Thema Datenerfassung auf. Wie viele Daten werden erfasst? Was passiert damit? Vooes verweist auf die Datenschutzgrundverordnung. „Wir erfassen über die Kameras keinerlei personalisierte Daten. Außerdem werden diese Daten nach dem Einkauf wieder gelöscht.“

Noch keine Erfahrungswerte habe man, was die Diebstahlanfälligkeit angehe. „Versuchen Personen das System auszutricksen? Oder fühlen sie sich aufgrund der vielen Technik eher überwacht und klauen deswegen weniger? Das wissen wir schlicht noch nicht“, räumt Vooes ein. Dies sei auch nicht zentral, ebenso wenig wie die Investitionskosten, zu denen sich Rewe nicht äußern will. „Die Kosten von heute sind nicht das Entscheidende. Wir sehen das hier als Forschungsaufwand und investieren in das bessere Verständnis einer neuen Technologie.“

Noch bis Spätsommer läuft bei Rewe die Testphase. Danach soll „Pick & Go“ für alle Kunden zugänglich sein. Bis dahin gilt es, das System auf Herz und Nieren zu prüfen: Läuft es auch in stärker besuchten Zeiten einwandfrei? Wie intuitiv ist der Prozess in der App? Werden alle Produkte im Markt richtig erkannt? Und überhaupt: Wie hoch ist die Akzeptanz? „Das sind für uns die erfolgsentscheidenden Komponenten“, sagt Vooes. „Und erst dann steht auch fest, ob und wann es weitere Märkte mit dem Konzept geben wird.“

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