Letzte Reise unter TageBottroper Bergwerk Prosper Haniel ist bald Geschichte

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Bergbau

Jürgen Jakubeit arbeitet unter Tage.

Bottrop – Es mutet an wie eine kleine Weltreise, wenn man Jürgen Jakubeit in seiner dunklen, lauten und schmutzigen Arbeitswelt besuchen will. Die beginnt rund 1200 Meter tief unter der Bottroper Erde auf dem Gelände der Zeche Prosper Haniel. Dort unten in einem schier endlosen Labyrinth ist der Oberhausener als Reviersteiger zuständig für den Steinkohleabbau in einem der letzten aktiven Abbaugebiete der Zeche.

Auf rund 100 Kilometern verzweigt sich das unterirdische Streckennetz insgesamt, allein Jakubeits Revier umfasst elf Kilometer. Künstliches Licht, permanenter Lärm, Hitze und Kohlestaub sind sein täglich Brot – und das seit 33 Jahren aus vollster Überzeugung. Wenn man so will, verkörpert der drahtige 49-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt den Prototyp des traditionsbewussten Bergmanns. Er ist nicht von ungefähr Bergmann in dritter Generation. Zwei Tattoos, ein Förderturm auf dem Oberarm und die heilige Barbara an der Wade sprechen Bände.

Das Zechensterben im Ruhrgebiet überstand er einem Stehaufmännchen gleich mit festem Vorsatz, in dem geliebten Job „die Rente zu erleben“. Wiederholt wechselte er den Arbeitsplatz, aber nicht den Beruf. In insgesamt drei Bergwerken fuhr er ein, seit 2006 in Prosper Haniel. Doch jetzt heißt es auch für ihn „Schicht im Schacht“. Beschlusslage der Politik ist: Bis Ende 2018 werden die letzten beiden Steinkohlezechen, die Zeche Prosper Haniel in Bottrop und die Zeche Anthrazit Ibbenbüren, ihren Betrieb einstellen.

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Sie gehören zur Essener RAG Aktiengesellschaft. Rund 2700 Kumpel müssen dann gehen, so RAG-Sprecher Christof Beike, dessen Unternehmen noch rund 4700 Mitarbeiter zählt. Fast alle träten den vorzeitigen Ruhestand an, so wie Jürgen Jakubeit, für den das ein ganz bitterer Weg wird.

Prosper Haniel

Die Zeche Prosper Haniel

Denn Jakubeits Reich heißt Revier 006 und liegt über einen Kilometer tief unter der Erde. Hier hat er das Sagen für seine Mannschaft, die aus 74 Kumpeln besteht. RAG-Sprecher Christof Beike und sein Kollege vor Ort, Reviersteiger Holger Stellmacher, reisen mit einer Gruppe Journalisten anlässlich der Schließung in die Tiefe. Doch bevor es unter Tage geht, heißt es für alle umziehen. Sicherheitsbekleidung und -ausrüstung müssen angelegt werden. Dazu zählen Schutzhelm mit Grubenlampe ebenso wie ein CO-Filter-Selbstretter. Ohrstöpsel, Sicherheitsbrille und Knieschoner sind ebenfalls Pflicht. Dann heißt es im Aufzug „Anfahren“ in das Bergwerk. Rund drei Minuten braucht der Förderkorb, bis er die Sohle erreicht hat.

„Dieselkatze“ rumpelt unter Tage

Weiter geht es in einem besonderen Gefährt: in der „Dieselkatze“, eine Art Miniaturschwebebahn. Rund 45 Minuten rumpelt die Kleinbahn über die 4,5 Kilometer lange Strecke. Dann hält die Bahn, die Fahrgäste stolpern hinter Beike und Stellmacher durch das düstere Nichts. Das Revier 006 von Jakubeit ist erreicht. Die Gruppe geht dem Lärm nach, und im Halbdunkel zeichnet sich die monströse Maschine ab, der sogenannte Hobelstreb, der die Kohle aus dem etwa 1,70 Meter dicken Kohleflöz hobelt. Hier in dem engen, etwa 1,40 Meter hohen Streb funktioniert Fortbewegung nur im Entengang oder auf Knien rutschend. Kein Vergnügen bei 30 Grad und Kohlestaub, der einem im Handumdrehen Gesicht und Hände schwärzt.

Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen bewegt Jakubeit per Elektronik die hydraulischen Schutzschilde synchron über der Abbaustelle, um so die Bergleute vor nachstürzendem Erdreich zu schützen. Für insgesamt 219 der Schutzschilde, von denen jeder der beiden Stempel 300 Bar drückt, zeichnet Jakubeit in seinem Streb verantwortlich. Insgesamt gibt es auf dem Bergwerk noch zwei Abbaubetriebe, bestückt mit Spitzentechnik „Made in Germany“. Kostenpunkt pro Schutzschild: 140 000 Euro. Wie wichtig Sicherheit ist, weiß wohl keiner besser als Jakubeit. 2005 geriet er unter einen Kohlebrocken, der ihm einen Wirbel quetschte.

Das letzte Abbaurevier der Zeche Prosper Haniel stellt bis spätestens Winter die Kohleförderung ein.

Bis dahin würden 2018 noch rund zwei Millionen Tonnen Steinkohle an Kohlekraftwerke und Kokereien geliefert, sagt Beike. Kohle sei noch genug da: Der Vorrat des Bergwerks Prosper Haniel reiche für 30 bis 40 Jahre. Trotzdem folgt nun das, was Jakubeit in der Seele wehtut: das „Ausrauben“ der Abbautechnik in der Zeche. Dazu werden die unterirdischen Anlagen zurückgebaut. Gerne hätte die RAG Anlagen verkauft, aber bislang fanden sich kaum Abnehmer: „Der Bergbau boomt weltweit nicht gerade“, berichtet der RAG-Sprecher.

Erst wenn das Bergamt sein Okay gibt, können die Schächte verschlossen werden. Das wird noch bis 2020 dauern. Rund 600 RAG-Mitarbeiter sind auch danach noch beschäftigt: mit der Regulierung von Bergschäden, der Sicherung des Altbergbaus und mit „Ewigkeitsaufgaben“, beispielsweise dem Abpumpen von salzhaltigem Grubenwasser. Das „Ausrauben“ seines Bergwerks muss Jakubeit nur ansatzweise miterleben. Am 19. Oktober geht er in den Vorruhestand. Auf dem Weg in den Feierabend lässt er durchblicken, dass er nicht so recht weiß, wie es weitergehen soll. „Du stehst immer noch bei 100 Prozent Arbeitskraft und Motivation, und plötzlich ist alles vorbei.“ Zumal er sich bis auf nächtliche Krampfattacken gesund fühlt, was in dem Job eher die Ausnahme ist. Was er tun will? „Vielleicht einen Minijob annehmen.“ Was er bestimmt tun wird: mit Ehefrau Marion verstärkt Trödelmärkte nach Bergwerksdevotionalien durchforsten.

Der Steinkohle-Ausstieg

Auf dem Höhepunkt der deutschen Steinkohleproduktion in den 1950er Jahren arbeiteten laut Michael Farrenkopf, Leiter des Montanhistorischen Dokumentationszentrums im Deutschen Bergbau-Museum Bochum, knapp 500 000 Bergleute auf über 150 Zechen im Ruhrgebiet. In den 1960er Jahren setzte der deutschen Steinkohle der internationale Wettbewerb zu. Größere Schiffe konnten preiswerte Kohle aus Australien und Amerika nach Deutschland liefern.

Der Ausstieg aus der Steinkohle ist für Farrenkopf ein deutsches Erfolgsmodell: „Dem Staat gelang es, den Ausstieg mit der Gründung des RAG-Konzerns nicht nur zu zentralisieren und zu steuern, sondern dank Subventionen auch sozialverträglich abzufedern.“ Der RAG-Konzern war 1968 zur Konsolidierung der Steinkohleförderung gegründet worden und umfasste drei Viertel aller Bergwerke. Mit Prosper Haniel in Bottrop schließt Ende 2018 das letzte Bergwerk der RAG. 

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