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Pflege in Corona-ZeitenWas tun wenn die Hilfe aus Polen plötzlich wegbleibt?

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Um ihre Angehörigen zu Hause pflegen zu können, stellen viele Privathaushalte Pfleger aus Osteuropa ein.

Köln – Die schwerwiegende Nachricht erreichte die Brühlerin in der vergangenen Woche. Die Frau, die ihren pflegebedürftigen Vater die kommenden sechs Wochen rund um die Uhr versorgen sollte, musste absagen, weil sie nicht aus Polen ausreisen durfte. „Wir hatten den ersten Kontakt zu ihr im März, da hatte sie uns für den angefragten Zeitraum noch zugesagt und wollte mit dem Auto aus Polen zu uns nach Brühl reisen. Wir waren froh, da sonst viele Frauen mit dem Bus kommen, wo in Zeiten von Corona die Ansteckungsgefahr sehr hoch ist. Auch als die Grenzen geschlossen worden sind, haben wir gehofft, dass jemand der in der häuslichen Pflege arbeitet, noch reisen darf“, sagt die Brühlerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Versorgung klappte bislang problemlos

Ursprünglich hatte ihre Mutter den gehbehinderten Vater noch versorgt. Doch als diese 2016 an Krebs erkrankte, war dies nicht mehr möglich. „Schnell gab es die Idee, Hilfe aus Polen zu holen. Das haben wir dann auch zügig umgesetzt. Es gibt Agenturen, die Betreuungspersonen vermitteln. Viel läuft aber auch über private Netzwerke mit Freunden, Bekannten und Kollegen“, erklärt die Freiberuflerin.

Die Versorgung funktionierte bislang weitgehend problemlos. „Es gab schon einmal Fehlzeiten, wenn die Frauen aus familiären Gründen nach Hause mussten. Das hat aber noch lange meine Mutter aufgefangen, die inzwischen aber verstorben ist. Auch ich und meine Schwester haben geholfen. Mein Vater ist stark gehbehindert, geistig aber noch vollkommen fit. Er braucht aber rund um die Uhr Hilfe, wenn er zum Beispiel den Standort im Haus wechseln möchte oder auf die Toilette muss. Für uns war von vornherein absolut klar, dass unsere Eltern nicht in eine Seniorenresidenz gehen, sondern weiter in ihrem großen Haus wohnen bleiben. Das ist ihre gewohnte Umgebung, die sie nicht verlassen möchten.“

Doch dann kam kein Wechsel

In der Regel kommen die Polinnen für sechs Wochen als Betreuungspersonen in den Haushalt, dann nach kommt die Abwechslung. Die Frauen selbst reisen dann für zwei Wochen zu ihren Familien nach Polen und kommen dann wieder nach Deutschland zurück. Das hatte auch in Brühl bislang problemlos funktioniert. Am vergangenen Wochenende sollte der Wechsel stattfinden.

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„Jetzt werden meine Schwester und ich das abwechselnd übernehmen. Das ist für uns im Moment kein großes Problem. Ich habe aktuell keine Aufträge und meine Schwester ist durch die Krise in Kurzarbeit. So können wir jetzt diese Herausforderung stemmen. Wir werden mit unserem Vater kleine Spaziergänge machen, gemeinsam lesen und uns über die Lektüre austauschen. Ansonsten muss man jetzt private Ansprüche zunächst einmal zurückstellen. Viele Wochen werden wir das allerdings auch nicht durchhalten. Deshalb suchen wir jetzt eine Polin, die schon in Deutschland ist. Eine Frau, die wir gut kennen, arbeitet aktuell hier im Rheinland. Sie könnte, wenn alles klappt und sie nicht nach Polen zurückmuss, in ein paar Wochen bei uns einspringen.“

Etwa 300.000 Osteuropäer in deutschen Haushalten

Nach Schätzungen des Verbandes für häusliche Pflege und Betreuung (VHBP) arbeiten derzeit etwa 300.000 Betreuungspersonen aus Osteuropa in Haushalten in Deutschschland, wo sie Pflegebedürftige unter anderem bei der Körperpflege helfen, die Wäsche machen, kochen und die Einkäufe übernehmen. „Die Zahlen leiten wir unter anderem aus Österreich ab, wo die häusliche Pflege mit Osteuropäerinnen, anders als hierzulande, seit 13 Jahren gesetzlich geregelt ist. Dort gibt es rund 30 000 Betreuungspersonen und Deutschland ist zehnmal so groß wie Österreich“, sagt Geschäftsführer Frederic Seebohm.

Als Betreungspersonen bezeichnet er vor allem Frauen aus Osteuropa, weil diese in der Regel keine pflegerische Ausbildung haben und in den Haushalten leben.