Staatsanwaltschaft prüft neue Erkenntnisse zum Unfallhergang – Straßenverkehrsbehörde beruft kurzfristig Unfallkommission ein.
Vier Teenager starben16-Jähriger soll vor Todeskurve noch überholt haben

Vor der Unfallkurve, an der seit Samstag viele Menschen Blumen und Kerzen abgelegt haben, soll der 16-jährige Unfallfahrer noch ein Motorrad überholt haben.
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Was geschah in den Sekunden, bevor am Samstagmorgen gegen 4.30 Uhr der mit fünf jungen Menschen besetzte rote Toyota Auris von der Dürschtalstraße gegen einen Baum schleuderte? Diese Frage beschäftigt die Ermittler, seitdem am frühen Samstagmorgen bei dem schweren Unfall im Dürschtal bei Kürten-Dürscheid vier jungen Menschen im Alter von 14 bis 19 Jahren ums Leben kamen.
„Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass es vor dem Unfall einen Überholvorgang gegeben hat“, erläutert der Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft, Sinan Șengöz, am Dienstag auf Nachfrage der Redaktion neue Erkenntnisse.

Bevor der Toyota am Samstagfrüh (16.8.) von der Dürschtalstraße abkam, soll der 16-jährige Fahrer noch ein Motorrad überholt haben.
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Demnach soll der erst 16 Jahre alte Fahrer des Unfallautos vor der langgezogenen Linkskurve, in der der elterliche Wagen nach rechts von der Fahrbahn abkam und ungebremst gegen einen Baum prallte, ein Motorrad überholt haben. Offenbar gibt es diesbezüglich Zeugenaussagen.
Es gebe „Erkenntnisse“ dazu, dass der 16-Jährige ein Motorrad überholt habe, sagt Șengöz. „Im Detail“ will er sich dazu aus Ermittlungsgründen noch nicht äußern. Auch nicht, ob es sich bei dem Überholvorgang in der Nacht gegebenenfalls um ein Kräftemessen hinterm Steuer gehandelt haben könnte.
Die Mobiltelefondaten des 16-Jährigen werden ebenso wie die Daten des Fahrzeugs noch ausgewertet. Wir warten auch noch auf die Ergebnisse der Blutprobe.
„Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft: Neben den Mobiltelefondaten des 16-Jährigen würden auch die Daten des Fahrzeugs ausgewertet, das ebenfalls beschlagnahmt wurde. Bei dem Wagen handelt es sich nach Informationen der Redaktion um ein Hybrid-Fahrzeug sowohl mit Verbrenner- als auch mit beschleunigungsstarkem Elektromotor. Wie schnell der Wagen zum Zeitpunkt des Unfalls war, sei noch Gegenstand der Ermittlungen, sagt Șengöz.
Medienmeldungen über eine Feier, von der die fünf Teenager zu der nächtlichen Fahrt aufgebrochen sein sollen, bestätigte der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht. Weder zum Startpunkt der Fahrt noch zum geplanten Ziel wollte sich der Sprecher der Staatsanwaltschaft zum aktuellen Zeitpunkt äußern. Die Dürschtalstraße, auf der sich der tödliche Unfall ereignete, führt in Richtung Overath, wo ein 19-jähriger Mitfahrer zu Hause war.
Gegen den 16-jährigen wird unter anderem wegen fahrlässiger Tötung ermittelt
Ob bei der Fahrt Alkohol oder Drogen eine Rolle gespielt haben? „Wir warten noch auf die Ergebnisse der Blutprobe“, so Sinan Șengöz. Bis diese vorlägen, könne es aber auch noch einige Zeit dauern. Auch das sogenannte „Nachtatgeschehen“ sei noch Teil der Ermittlungen. Demnach hat sich der schwer verletzte, offenbar unter Schock stehende Fahrer zunächst von der Unfallstelle mehrere hundert Meter fortbewegt, bevor er von der Polizei aufgegriffen wurde.

Vom Unfallauto erfasst wurden auch diese Warntafeln in der Unfallkurve.
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Gegen den 16-jährigen Bergisch Gladbacher, der am Steuer des Wagens saß, werde wegen fahrlässiger Tötung, Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahren ohne Fahrerlaubnis ermittelt, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft: „Alle diese Tatvorwürfe werden derzeit geprüft“, sagt Sinan Șengöz.
Der Fahrer wird erstmal damit leben lernen müssen, was passiert ist.
In Untersuchungshaft sitzt der Unfallfahrer deshalb aber nicht. Derzeit bestünden keine Hinweise auf eine mögliche Fluchtgefahr. Außerdem habe der 16-Jährige ein familiäres Umfeld und einen festen Wohnsitz. „Da besteht überhaupt keine Notwendigkeit, den 16-Jährigen in Untersuchungshaft zu nehmen.“
Wenn Anklage gegen ihn erhoben werden sollte, würde sein Fall nach dem Jugendstrafrecht behandelt. Das habe vor allem einen Erziehungsansatz, erläutert Sinan Șengöz. Geld- oder Freiheitsstrafen, wie sie im Erwachsenenstrafrecht üblich seien, gebe es da so nicht. Ob dem Jugendlichen verwehrt werden könne, zu einem späteren Zeitpunkt einen Führerschein zu machen? „Eine etwaige Fahrerlaubnissperre müsste durch ein Gericht festgelegt werden“, so Sinan Șengöz.
Straßenverkehrsbehörde beruft umgehend Unfallkommission ein
„Der Fahrer wird erstmal damit leben lernen müssen, was passiert ist“, sagt ein junger Mann, der mit frischen Blumen zur Unfallstelle gekommen ist. „Schrecklich, was passiert ist, ich habe sie gekannt“, sagt er. Weiter möchte er sich nicht äußern.
Auch im Kreishaus des Rheinisch-Bergischen Kreises sind Mitarbeitende geschockt. „Fürchterlich, da fehlen einem die Worte“, sagt Pressesprecherin Birgit Bär. Auf Anfrage der Redaktion erklärt sie, dass die Straßenverkehrsbehörde unverzüglich die gemeinsame Verkehrsunfallkommission mit dem Straßenbaulastträger, in diesem Fall dem Landesbetrieb Straßen NRW, sowie der Polizei kontaktiert hat. „Es soll ein kurzfristiger Termin vereinbart werden.“ Bei diesem solle dann auch erörtert werden, ob die Schutzmaßnahmen auf der Dürschtalstraße erhöht werden müssten.
Wie berichtet fehlen an der Unfallstelle ebenso wie an anderen Stellen entlang der Landstraße seit mehreren Jahren Teile der Schutzplanken, weil diese nach der letzten Sanierung 2021 aufgrund von Leitungen im Boden nicht hatten erstellt werden können. Die Straßenverkehrsbehörde hatte deshalb vor mehr als zwei Jahren Tempo 50 auf der gesamten Strecke angeordnet. „Bislang war die Straße auch kein Unfallbrennpunkt“, sagt Kreissprecherin Bär. Ob die Einstufung nach dem tödlichen Unfall von Samstag zu ändern sei (siehe „Bisher kein Unfallbrennpunkt“), werde bei dem Termin der Unfallkommission ermittelt.
„Ob Leitplanke oder nicht“, sagt ein Trauernder mit mutlosem Blick: „Die vier jungen Leute macht das auch nicht wieder lebendig.“