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Alkohol in SchwangerschaftNümbrechterin schreibt ein Buch über ihre verstorbene Pflegetochter

Lesezeit 4 Minuten
Aufnahme von Juli 2006: Marianne Schwan hält ihre knapp zwei Jahre alte Pflegetochter Edna auf dem Arm.

Aufnahme von Juli 2006: Marianne Schwan mit ihrer knapp zwei Jahre alten Pflegetochter Edna.

Über Edna und ihre Arbeit als Mutter von mehreren behinderten Pflegekindern möchte Marianne Schwan ein Buch schreiben – und über FASD aufklären.

Wenn Marianne Schwan von ihrer Pflegetochter Edna spricht, wird sie emotional. Im Dezember 2023 ist die damals 19-Jährige, die schwer behindert war, unerwartet gestorben. Über Edna und die Arbeit als Mutter von mehreren behinderten Pflegekindern möchte Marianne Schwan, die in der Nümbrechter Ortschaft Niederstaffelbach auf einem ehemaligen Bauernhof wohnt, nun ein Buch schreiben – auch, um aufzuklären.

Denn ihre verstorbene Pflegetochter war seit der Geburt geistig und körperlich eingeschränkt – infolge des Alkoholkonsums ihrer Mutter in der Schwangerschaft, sagt Schwan. Es ist ein Thema, über das Marianne Schwan, die Edna mit ihrer damaligen Partnerin im Alter von fünf Monaten als Pflegekind zu sich holte, sprechen möchte. Die Gefahren, die durch das Trinken in der Schwangerschaft entstehen, seien in der Gesellschaft nicht präsent genug, findet die 69-Jährige – auch mit Blick ins Oberbergische.

Mit den Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft konfrontiert

„Ich erinnere mich an eine Feier. Ich saß mit meinem schwerbehinderten Kind am Tisch, als eine sichtbar schwangere Frau Alkohol trinken wollte – aus Appetit oder vielleicht auch einfach aus Geselligkeit. Ich habe ihr sofort das Glas aus der Hand genommen und den Alkohol weggeschüttet“, erzählt die Nümbrechterin. Dass sie so reagierte, hing vor allem damit zusammen, dass sie selbst täglich mit den Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft konfrontiert war – dafür musste sie ihre Pflegetochter nur anschauen.

Edna war im Alter von fünf Monaten im Kinderherzzentrum Sankt Augustin erstmals am Herzen operiert worden. „Als sie zu uns kam, war sie auf einen Herzmonitor und Sauerstoff angewiesen und musste per Sonde ernährt werden“, erzählt Schwan, die gelernte Betriebswirtin ist und zunächst als selbstständige Steuerberaterin arbeitete. Als sie den Hof in Niederstaffelbach kaufte, schulte sie auf Erzieherin um und studierte neben der Selbstständigkeit Heil- und Sonderpädagogik. „Ich wollte gerne etwas mit Kindern machen“, sagt sie.

Ich erinnere mich an eine Feier. Ich saß mit meinem schwerbehinderten Kind am Tisch, als eine sichtbar schwangere Frau Alkohol trinken wollte.
Marianne Schwan, Pflegemutter aus Nümbrecht

Als es mit eigenen Kindern nicht klappen wollte, bewarben sich Marianne Schwan und ihre damalige Partnerin für Pflegekinder. „Wir haben angegeben, dass wir auch ein behindertes Kind aufnehmen würden.“ Dass das   gar nicht möglich war, wusste Schwan nicht: „Der Pflegekinderdienst in Gummersbach hat keine Kinder mit Behinderung in Familien vermittelt. Diese Kinder kamen in Heime.“ Erst als sich Frauke Zottmann-Neumeister, Sachgebietsleiterin für Sonderpädagogische Pflegestellen der Diakonie Düsseldorf, Jahre später dafür einsetzte, habe sich dies geändert.

Marianne Schwan besuchte Seminare und bildete sich fort. 2001 kam das erste Dauerpflegekind zur Familie nach Nümbrecht, dann eine weitere Tochter und 2004 schließlich Pflegetochter Edna mit FASD (siehe Kasten) – über die genannte Sondervermittlungsstelle in Düsseldorf. Später nahm die Familie noch ein viertes Pflegekind auf. „Natürlich war ich am Anfang unsicher, ob wir das alles schaffen. Aber am Ende sind alle bei uns erwachsen geworden“, sagt Schwan. Der Kontakt hält bis heute. Unterstützung erhielt sie unter anderem im Haus früher Hilfen in Oberbantenberg.

Der Umgang zu den Eltern sei nicht immer leicht gewesen – insbesondere dann, wenn die Kinder durch das Jugendamt mit Gerichtsbeschluss aus der Familie genommen wurden. In Bezug auf das Trinken in der Schwangerschaft habe sie die Mütter aber nie veruteilt. „Alkoholismus ist eine Krankheit“, weiß Schwan, ergänzt aber: „Leider wird die Gefahr, die Alkohol in der Schwangerschaft für Ungeborene darstellen kann, nicht immer ernstgenommen. Und das passiert in allen Gesellschaftsschichten. Ich kenne auch gebildete Frauen, die in ihrer Schwangerschaft getrunken haben – ob aus Unvernunft, Unwissenheit oder sozialem Druck, nicht dazuzugehören, wenn man nicht trinkt. Dabei können auch wenige Schlucke schlimme Folgen haben.“

Als Mitglied im Verein FASD Deutschland setzt sich Marianne Schwan für mehr Aufklärung ein. „In Arztpraxen sollten Infobroschüren zu dem Thema ausliegen“, sagt die Nümbrechterin. Und sie wünscht sich: „Die Gefahr von Alkohol in der Schwangerschaft muss auf Flaschen deutlicher gekennzeichnet werden, wie bei Zigaretten. Bei Feiern sollte eine Auswahl an alkoholfreien Getränke selbstverständlich sein. Und es wäre natürlich schön, wenn sich Familienmitglieder und Freunde solidarisch zeigen würden.“


Was ist FASD?

Die Abkürzung FASD steht für „Fetal Alcohol Spectrum Disorder“, übersetzt „Fetale Alkoholspektrumstörungen“. Darunter werden alkoholbedingte Einflüsse auf die Entwicklung von Embryos und Föten zusammengefasst. Betroffen sind Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben.

Die Beeinträchtigungen können in ihrer Schwere unterschiedlich ausfallen sowie sichtbar oder unsichtbar sein. Dazu zählen beispielsweise Minderwuchs, Untergewicht, Mikrozephalie (kleiner Kopf), Gesichtsveränderungen, geistige und motorische Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensstörungen, Intelligenzminderung, organische Schäden und Skelettfehlbildungen.

Laut dem Verein FASD Deutschland und Berichten in der Ärztezeitung liegt die Geburtenrate für Kinder mit FASD in Deutschland bei 177 je 10.000 Kinder. Dabei sind nicht nur suchtbelastete Familien, sondern alle Gesellschaftsschichten betroffen. Bereits kleine Mengen Alkohol in der Schwangerschaft können laut dem Verein zu einer Schädigung der Ungeborenen führen. Je nach Entwicklungsstadium des Kindes im Mutterleib sind unterschiedliche Zell- und Organbereiche betroffen.