Rundschau-Debatte des TagesIst die Demokratie ein Auslaufmodell?

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Das Wort „Demokratie“ wird in einem Duden mit einem gelben Textmarker markiert.

Ein Mann markiert im Duden das Wort „Demokratie“.

Gerade unter den aufstrebenden Staaten der Welt sind Autokratien auf dem Vormarsch – von China und Indien bis nach Osteuropa. Länder wie Brasilien oder Polen zeigten jedoch, dass eine Trendumkehr möglich sei, so eine neue Studie.

Ein Rückgang der Demokratien unter den Entwicklungs- und Schwellenländern hat auch Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklung, Ungleichheit und Armut. Der „Transformationsindex“ der Bertelsmann Stiftung kommt mit Blick auf 137 Staaten von Algerien bis zur Zentralafrikanischen Republik zu dem Schluss: „Zu keinem Zeitpunkt wurden in den vergangenen 20 Jahren so wenige Staaten demokratisch regiert wie heute.“

Die Untersuchung ergab, dass nur noch 63 Demokratien mit einer Bevölkerung von insgesamt rund drei Milliarden Menschen inzwischen 74 Autokratien mit etwa vier Milliarden Menschen gegenüberstehen. Zugleich attestierten die Autoren vielen Staaten ökonomische Ungleichheit und eine verfehlte Wirtschaftspolitik. In 83 der 137 Länder herrsche eine massive soziale Ausgrenzung.

Wie stark stehen die Demokratien weltweit unter Druck?

Die ausgewerteten Gutachten und Daten haben bei Demokratiequalität, Regierungsleistungen und Wirtschaftsentwicklung „neue Tiefststände“ ergeben. Ein knappes Drittel aller untersuchten 137 Länder habe nur äußerst geringe politische Beteiligungsmöglichkeiten – ein Negativrekord seit Beginn der Untersuchungen vor 20 Jahren. Allein in den vergangenen zwei Jahren waren laut der Studie in 25 Ländern die Wahlen weniger frei und fair. In 32 Staaten sei die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit weniger geachtet und in 39 Ländern die Meinungs- und Pressefreiheit stärker eingeschränkt worden.

„In einer steigenden Zahl von Ländern sind es die Gegner demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen, die an den Schaltstellen der Macht sitzen“, heißt es in der Studie. Die Regierungen in der großen Mehrheit der untersuchten Länder sehen sich demnach „nicht als Treiber gesamtgesellschaftlicher Entwicklung, sondern als Vertreter von Partikularinteressen in einem bewusst unfair gestalteten Wirtschaftssystem“.

Ihre Bemühungen seien nicht selten darauf ausgerichtet, ein korruptes System zu erhalten, das keinen freien und fairen wirtschaftlichen Wettbewerb erlaube. „Machtkonzentration oder Machterhalt einer kleinen Elite hat häufig Vorrang gegenüber der Ausgestaltung einer offeneren und inklusiveren Wirtschaftsordnung.“ Das habe negative Folgen für das Ausmaß von Ungleichheit und Armut.

Demokratiequalität und gute Regierungsführung seien eng miteinander verwoben, heißt es in der Studie. 45 desorganisierte und korrupte Regime von Kambodscha über Simbabwe bis Venezuela, die fast alle autokratisch regiert werden, bildeten die Schlusslichter auf der Skala des effizienten Regierens. Effizient geführte Autokratien blieben die Ausnahme.

Wer gehört zu den Autokratien und den „Hardliner-Autokratien“?

In den 74 autokratischen Ländern lasse eine autoritäre Führung politische Beteiligung nur sehr begrenzt oder gar nicht zu, betont die Studie. Repression, Machtkonzentration, Ausschaltung verbliebener Kontrollinstanzen und Entscheidungen in engen Führungszirkeln seien kennzeichnend. Zu den 25 „moderaten“ Autokratien zählen die Türkei, Algerien, der Irak, Uganda, Nigeria oder auch Jordanien und Singapur mit laut Stiftung autoritärer Herrschaft. Zudem auch Tunesien, Benin oder El Salvador, die 2022 noch als Demokratien eingestuft worden waren.

Hinzu kommen 49 „Hardliner-Autokratien“. Zu denen gehört der Analyse zufolge auch Russland, wo sich Kremlchef Wladimir Putin gerade nach einer als Farce kritisierten Präsidentenwahl erneut zum Sieger erklärt hat. Und zur Volksrepublik China schreiben die Studienautoren: „Das chinesische Regime mutiert unter Xi Jinping in zunehmendem Maße von einer Einparteienherrschaft zu einer absolutistischen Monokratie.“ Ähnlich sei es mit Regimes in Putsch-Staaten wie Burkina Faso, Mali und Myanmar. Und in arabischen Staaten wie Ägypten, Sudan oder Syrien habe die Repression höchste Ausmaße erreicht, werde jegliche politische Opposition im Keim erstickt. Ähnlich drastisch sei die Lage auch in Afghanistan, Nicaragua, Tadschikistan, im Iran oder im Tschad.

Wer zählt zu den 63 „gefestigten“ oder „defekten“ Demokratien“?

Auch in als „defekt“ oder „stark defekt“ eingestuften Demokratien schrumpfen Freiräume für politische Beteiligung. In diesen Staaten ist laut Untersuchung unter anderem die Fairness von Wahlen beeinträchtigt – etwa in Ungarn –, werden kritische Medien drangsaliert – Beispiel Indien – oder wird die Tätigkeit regierungskritischer Organisationen behindert – so wie in Serbien. In die Gruppe der Demokratien mit Defekten ordnet die Analyse zum Beispiel auch Albanien, Rumänien, die Ukraine oder Südafrika ein.

Zugleich gebe es jedoch auch gefestigte Demokratien, die dem Druck standhielten. Die Regierungsführung in baltischen Staaten, aber auch in Taiwan, Südkorea, Costa Rica, Chile und Uruguay sorge nicht nur für gute Ergebnisse im Bildungs- und Gesundheitssystem sowie beim Lebensstandard, sondern auch für die Stärkung der Demokratie, hieß es.

Wie können sich Demokratien davor schützen, zur Autokratie zu werden?

Eine wichtige Bastion zur Verteidigung von Demokratie ist laut Stiftung die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft. Beispiele wie jüngst in Polen gäben Grund zur Hoffnung – dort hatte die Bevölkerung autoritäre Kräfte abgewählt. Auch in Brasilien, Kenia und Sambia habe gesellschaftlicher Druck im Zusammenspiel mit Wahlbehörden korrekte Wahlen gewährleistet. In einigen Ländern Ostmittel- und Südosteuropas wie in Moldau, Nordmazedonien, Slowenien und Tschechien, aber auch in lateinamerikanischen Staaten wie  Guatemala und Honduras hätten relativ freie Wahlen eine Wende eingeläutet.

Widerstand gegen autoritäre Tendenzen sei erfolgreich, wenn sich der Druck der Straße mit der institutionalisierten Kontrolle von ungezügelter Regierungsmacht verbinde, erklärte die Bertelsmann Stiftung. Der Ausbau und Schutz dieser Kräfte und Institutionen sei das beste Mittel, um Demokratie zu stärken. Und um deren Erosion entgegenzuwirken, brauche es Kontrollinstanzen wie Justiz, Parlament oder Medien. (dpa/mit epd)

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