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Rundschau-Debatte des TagesWas passiert, wenn Kinder zu Tätern werden?

Lesezeit 3 Minuten
Berlin: Polizisten stehen vor einer Schule im Berliner Bezirk Spandau, an der es am Vormittag einen möglichen Messerangriff auf einen Schüler gab.

Berlin: Polizisten stehen vor einer Schule im Berliner Bezirk Spandau, an der es am Vormittag einen möglichen Messerangriff auf einen Schüler gab.

Die Zahl der Kinder, die Gewalttaten begehen, steigt nicht nur gefühlt an. Strafrechtlich belangt werden können sie aber nicht, falls sie unter 14 Jahren alt sind. Was geschieht in solchen Fällen?

Zwei Gewalttaten unter Kindern an einem Tag: In Berlin soll am Donnerstag ein 13-Jähriger einen Mitschüler mit einem Stich in den Oberkörper schwer verletzt haben. In Remscheid soll ein 11-jähriger Tatverdächtiger einem 13-Jährigen zweimal mit einem Küchenmesser ins Bein gestochen haben. Vor Gericht kommen werden die Jungen deshalb aber nicht – juristisch betrachtet sind sie noch Kinder. Strafrechtliche Konsequenzen wird ihr Verhalten also nicht haben.

Ab wann können Kinder strafrechtlich belangt werden?

In Deutschland gelten Kinder unter 14 Jahren als nicht strafmündig. Es wird davon ausgegangen, dass sie die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken. Deshalb werden Kinder selbst bei einem Tötungsdelikt nicht strafrechtlich verfolgt, sie können nicht vor Gericht gestellt und nicht verurteilt werden.

Heißt das, dass die Polizei gegen Kinder nicht ermittelt?

Nein. Zwar wird kein formelles Strafverfahren eingeleitet, die Polizei ermittelt jedoch in solchen Fällen ganz normal weiter. Das heißt, Zeugen werden wie sonst üblich befragt und Spuren gesichert, um zu klären, was genau passiert ist - und ob möglicherweise ältere, strafmündige Menschen an der Tat beteiligt waren. Dazu darf das Kind zur Dienststelle mitgenommen und befragt werden. Auch eine Durchsuchung ist möglich. Am Ende der Ermittlungen steht allerdings nicht eine Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft dazu, ob beispielsweise Anklage bei Gericht erhoben wird. Das Verfahren wird eingestellt.

Dann gibt es für die Täter keinerlei Konsequenzen?

Doch. Das zuständige Jugendamt wird in solchen Fällen einbezogen oder auch der sozial-psychiatrische Dienst. Die Polizei kann Empfehlungen aussprechen, welche Maßnahmen aus ihrer Sicht sinnvoll erscheinen. Über Konsequenzen muss dann aber das Jugendamt entscheiden. Bei Straftaten in der Schule ist auch die Schulverwaltung gefragt.

Welche Maßnahmen sind denn rechtlich möglich?

Das hängt stark vom Einzelfall ab. Es geht dabei nicht um Strafe, sondern um Unterstützung. Vielleicht braucht das Kind eine psychiatrische Behandlung, unter Umständen in einer geschlossenen Einrichtung. Denkbar ist, dass die Eltern Hilfe bei der Erziehung bekommen. Das Kind kann auch eine Zeit lang in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht werden. Für eine Trennung von den Eltern gegen deren Willen sind die rechtlichen Hürden jedoch recht hoch.

Kommt es häufig vor, dass Kinder zu Tätern werden?

Nach Zahlen aus Berlin steigt die Zahl von Kindern, die wegen Straftaten auffallen. Im Jahr 2023 wurden von der Polizei 5200 Jungen und Mädchen als mutmaßliche Täter erfasst, wie aus einer Antwort des Senats auf eine AfD-Anfrage hervorgeht. Konkret waren es 3550 Jungen und 1650 Mädchen, die jünger als 14 Jahre alt waren.

Die höchsten Zahlen gab es bei den 12- und 13-Jährigen. Aber auch bei den Elfjährigen wurden rund 750 mutmaßliche Täter registriert, bei den Zehnjährigen waren es noch knapp 500. Meist ging es um Körperverletzungen, aber auch Raub, Messerangriffe und sexuelle Nötigung kamen vor.

Bundesweit für Entsetzen sorgte vor zwei Jahren der brutale Tod einer Zwölfjährigen in Freudenberg im Siegerland, deren Leiche viele Messerstiche aufwies. Zwei Kinder, Mädchen im Alter von damals 12 und 13 Jahren, gestanden die Bluttat.

Wie halten es andere Länder mit der Strafmündigkeit?

In mehr als der Hälfte der EU-Staaten beginnt die Strafmündigkeit mit 14 oder 15 Jahren, in Portugal erst ab 16 Jahren. In Polen ist man ab 17 strafmündig, für ausgewählte Straftaten wie Mord oder Entführung können aber auch 15-Jährige bestraft werden. In den Niederlanden liegt die Altersgrenze dagegen bei 12 Jahren. In der Schweiz sind Kinder schon ab dem 10. Geburtstag strafmündig. In den USA ist die Regelung von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Auch in Deutschland wird immer wieder über die Altersgrenze diskutiert. In der Regel geht es um Forderungen, die Strafmündigkeit auf 12 Jahre abzusenken (s. Kasten links). (dpa)