Rundschau-Debatte des TagesEntsteht ein neues Machtzentrum?

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Auf dem durch das brasilianische Präsidentenamt zur Verfügung gestellten Bild sind Teilnehmer des Gipfels der Brics-Gruppe zu sehen.

Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien, Ägypten und Äthiopien werden der Gruppe zum 1. Januar 2024 beitreten.

Mit neuen Mitgliedern aus dem Nahen Osten wollen die Brics-Staaten ihrer Gruppe zu mehr internationalem Gewicht verhelfen. Doch in ihren Haltungen zu den USA und dem Westen allgemein sind die Akteure längst nicht einer Meinung.

Auf ihrem Gipfel haben die Brics-Staaten sechs neue Mitglieder in ihren Kreis aufgenommen. Vor allem durch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gewinnt die Staatengruppe politisches Gewicht. Werden sie nun einen stärkeren Gegenpol zum Westen bilden?

Die Staatengruppe Brics erweitert sich um sechs neue Mitglieder – und vier davon kommen aus dem Nahen Osten. Die wirtschaftlich stärksten von ihnen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), wollen sich im neuen Ost-West-Konflikt zwischen USA und Europa auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite geopolitisch absichern.

Was bedeuten die neuen Mitglieder für die Staatengruppe?

Die fünf bisherigen Brics-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – wollen den Verband mit der Erweiterung zum wichtigsten Forum des Globalen Südens machen. Zu ihren Zielen gehört die Abwendung vom US-Dollar als Leitwährung für den internationalen Handel. China und Russland betrachten die Organisation als Möglichkeit, ihren weltpolitischen Einfluss zu Lasten der USA auszubauen: Die Beitrittskandidaten Argentinien, Saudi-Arabien, VAE, Ägypten und Äthiopien sind Verbündete der USA; nur der Iran ist ohnehin schon ein politischer Gegner der Amerikaner. Brics gewinnt mit den großen Ölproduzenten Saudi-Arabien, VAE und Iran sowie Ägypten als bevölkerungsreichstem arabischem Land und Wächterin über den Suez-Kanal an geopolitischer Macht.

Welche Ziele verfolgen

die Staaten mit dem Beitritt? Für Saudi-Arabien und die VAE geht es nicht darum, die USA als Hauptpartner durch China und Russland zu ersetzen, sagt Sebastian Sons, Experte für die Golf-Region an der Denkfabrik Carpo in Bonn. Saudi-Arabien betrachte die mögliche Mitgliedschaft bei Brics als „Option, sich in einer multipolaren Weltordnung zu positionieren“. Brics sei zudem eine weitere Plattform für Riad, um mit dem langjährigen Rivalen Iran ins Gespräch zu kommen; seit dem Frühjahr läuft ein von China vermittelter Annäherungsprozess zwischen Saudis und Iranern. „Für Saudi-Arabiens taktische Annäherung an Iran ist ein Brics-Beitritt mit Sicherheit ein wichtiger Schritt“, sagte Sons unserer Redaktion.

Die Ölmonarchie werde möglicherweise auch die Mitgliedschaft in der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit anstreben, einem Zusammenschluss asiatischer Staaten unter Führung von China und Russland, meint Sons. Der Iran ist kürzlich beigetreten. Riad wolle sich als „Sprecher des Globalen Südens“ positionieren und engere Beziehungen zu Indien, Brasilien und Südafrika pflegen. „Das bedeutet aber nicht, dass man sich zwingend vom Westen weiter abwendet. Sondern es bedeutet eher, dass man versucht, diesen Pendelkurs weiter zu führen: eine Hinwendung zum Osten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Beziehungen zum Westen.“

Die VAE wollten sich wirtschaftlich breiter aufstellen und würden von ähnlichen Motiven angetrieben wie Saudi-Arabien, sagt Sons. „Man versucht, in beiden Lagern zu spielen, und will nicht mehr als Erfüllungsgehilfe des Westens wahrgenommen werden. Insofern ist der mögliche Beitritt zu Brics für Saudi-Arabien wie die Emirate ein Signal an den Westen.“ Beide Länder strebten eine unabhängigere Außenpolitik an und wollten „definitiv enger mit China zusammenarbeiten“.

Wie sehen die Beziehungen zu China aus?

China ist der Hauptabnehmer für Öl aus Saudi-Arabien und engagiert sich mit Großprojekten auch in anderen Nahost-Ländern; so sind chinesische Firmen führend am Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt in Ägypten beteiligt. Aus saudischer Sicht liegen die Vorteile einer engen Zusammenarbeit mit Beijing auf der Hand: Das „Wall Street Journal“ meldet, Saudi-Arabien wolle sich von einem chinesischen Staatsunternehmen das erste Atomkraftwerk des Landes bauen lassen – die USA zögern dagegen mit der Lieferung von Atomtechnologie an Riad, weil sie befürchten, dass Saudi-Arabien das Know-How benutzen könnte, um eine Atombombe zu bauen. Allerdings geht Saudi-Arabien bei der Umgestaltung seiner Außenpolitik behutsam vor. So fiel auf, dass die Regierung in Riad das Angebot der Brics-Mitgliedschaft nicht sofort annahm, sondern ankündigte, die Details zu prüfen, um anschließend eine „angemessene Entscheidung“ zu treffen.

Was erhofft sich der Iran von dem Beitritt?

Präsident Ebrahim Raisi nahm am Brics-Gipfel in Johannesburg teil und warb öffentlich für die Umstellung des Handels unter den Brics-Mitgliedern vom US-Dollar auf die jeweiligen Landeswährungen. Raisis stellvertretender Stabschef Mohammad Jamshidi schrieb auf Twitter, der bevorstehende Beitritt der Islamischen Republik sei ein „strategischer Sieg“ für die iranische Außenpolitik. Das Mullah-Regime ist wegen seines Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und braucht dringend neue Handelspartner. Ob die Brics-Mitgliedschaft für den Iran ein Durchbruch sein wird, ist aber ungewiss. Wie das Nahost-Nachrichtenportal Amwaj.com meldete, meiden viele Banken aus den bisherigen Brics-Staaten die Zusammenarbeit mit dem Iran, weil sie befürchten, in den Sog der Sanktionen zu geraten. Ein iranischer Regierungsvertreter ließ sich von Amwaj.com mit den Worten zitieren, der Brics-Beitritt sei symbolisch wichtig, werde für den Iran finanziell aber wenig bringen.


Sorge um Menschenrechte

Das Hilfswerk Misereor sieht die angekündigte Erweiterung des BRICS-Staatenbundes skeptisch. „Wir beobachten mit Sorge, dass unter den Ländern, die sich nun für einen Beitritt im BRICS-Bündnis interessieren, ausgerechnet solche mit eingeschränkten Demokratien beziehungsweise Theokratien sind“, sagte die Misereor-Abteilungsleiterin für Politik und Globale Zukunftsfragen, Kathrin Schroeder. „Es ist zu befürchten, dass durch eine engere Zusammenarbeit von Regierungen aus solchen Staaten die Akzeptanz für die Achtung, Schutz und Gewährleistung der Menschenrechte noch stärker unter Druck geraten“, gab Misereor-Vertreterin Schroeder zu bedenken. Auch könnten gemeinsame Anstrengungen zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele in den Hintergrund rücken. „Schwierig wird es, wenn Zusammenschlüsse Blockbildungen vorantreiben und den Multilateralismus weiter schwächen würden“. (kna)

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