Mit den Linken hat auf Bundesebene noch vor einem Jahr keiner gerechnet, jetzt liefern sie sich ein Umfrage-Rennen mit den Grünen. Die Parteivorsitzenden wollen auf unterschiedlichen Wegen mehr Wähler gewinnen.
Rundschau-Debatte des TagesIst Links das neue Grün?

Steht in bundesweiten Umfragen derzeit bei rund zehn Prozent: Die Linke.
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Im Bundestag hat die Linke zuletzt einen Dämpfer eingesteckt. Ihre Fraktionschefin Heidi Reichinnek fiel bei der Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste durch, weil die Union die Kandidatin zu radikal fand und nicht wählte. In Umfragen hingegen erlebt die Linke mit Thesen vom demokratischen Sozialismus und Klassenkampf einen Höhenflug. Mit zehn bis elf Prozent liegt sie praktisch gleichauf mit den Grünen. Im Wettkampf
Tatsächlich konkurrieren Linke und Grüne inzwischen um Platz eins in der Opposition jenseits der AfD. Für die Linke, die vor Monaten noch mit Umfragewerten von zwei bis drei Prozent in der Todeszone lag, ist das eine irre Wende – für die Grünen, die einst mit Werten über 20 Prozent das Kanzleramt in den Blick nahmen, ist es ein beachtlicher Niedergang. Verschiebt sich da etwas im Parteiengefüge? Könnte die Linke auf Dauer die Grünen übertrumpfen? Linken-Chefin Ines Schwerdtner ist davon überzeugt. Studien bescheinigten ihrer Partei ein Wählerpotenzial von 15 bis 20 Prozent, sagt sie. „Ich glaube, dass bundesweit mehr drin ist als zehn Prozent.“
Ausgelaugt und ratlos nach der Ampel
Grünen-Chef Felix Banaszak hingegen will die Linke hinter sich lassen. „Die Grünen haben das Potenzial, die führende Kraft der linken Mitte zu werden, das ist unser Ziel und Anspruch“, glaubt er. „Das hieße nicht nur, dass wir Wahlergebnisse vor Linken und SPD erzielen. Wir wollen die Partei sein, die dem progressiven Milieu Orientierung gibt.“
Nach dem Ampel-Schaden allerdings wirken die Grünen ausgelaugt und ratlos. Ist das von Dauer? „Das hängt vor allem von den Grünen selbst ab“, sagt der Meinungsforscher Peter Matuschek vom Institut Forsa. Die Grünen hätten bei der Europawahl 2019 mit 20,5 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielt, weil ihr Führungsduo Robert Habeck und Annalena Baerbock damals überzeugt habe und sie für Menschen in der politischen Mitte wählbar gewesen seien. Diese Neuwähler hätten sich aber wieder enttäuscht abgewandt, sodass die Partei auf ihre Kernwählerschaft zurückgefallen sei.

: Heidi Reichinnek, Fraktionsvorsitzende von Die Linke im Bundestag
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Heute habe die Linke ein überzeugenderes Personal und ein klares Profil. Deren Umfragewerte seien bemerkenswert. Aber Matuschek meint auch: „Die Linke besetzt weiter eine Nische im politischen Spektrum.“ Ihre Positionen seien dezidiert links und ihr Potenzial damit wohl endlich.
Holt die Systemfrage die Wähler ab?
Da geht Grünen-Chef Banaszak gerne mit. „Ein Großteil der ökologisch orientierten Menschen stellt nicht die Systemfrage“, sagt er. „Die Linke will erst den Kapitalismus überwinden, bevor ökologischer Fortschritt erreicht werden kann. Wir sagen: Ökologischer Fortschritt ist innerhalb der marktwirtschaftlichen Ordnung möglich und wirtschaftlich umsetzbar, mit sozialem Ausgleich.“
Dass viele Menschen die Grünen als abgehobenen Akademiker-Verein wahrnehmen, ist angekommen. Zwischen 2018 und 2022, also unter der Führung von Baerbock und Habeck, hätten die Menschen zwei Dinge mit den Grünen verbunden, sagt Banaszak. „Inhaltliche Klarheit und eine einladende, alltagsnahe Art. Beides hat sich in der Ampel-Zeit ins Gegenteil verkehrt. Ohne alles genauso zu machen wie 2018: Da müssen wir wieder hin.“
Bei den Grünen sehen es viele inzwischen als schweren Fehler, dass Habeck als Kanzlerkandidat Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) für seine gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD zur Migration zwar kritisierte, aber keinen Abstand nahm von Schwarz-Grün. Man habe „zu wenig Ansprüche an mögliche Koalitionspartner gestellt“, sagt Banaszak.
Eine Frage des Milieus
Linken-Chefin Schwerdtner sieht das ähnlich: „Auf Schwarz-Grün zu zielen, war ein strategischer Fehler.“ Grünen-Stimmen seien bei der Linken gelandet. An einigen Orten habe die Linke längst die Meinungsführerschaft im linken Lager. „In Berlin liegen wir in einer aktuellen Umfrage bei 19 Prozent.“
Zugleich sei die Linke die einzige Partei, die Menschen aus wirklich armen Verhältnissen anspreche. „Die SPD und Grüne erreichen die prekären Milieus nicht“, zeigt sich Schwerdtner sicher. Was Banaszak nicht so stehen lassen würde. In Sachen Sozialpolitik sei die Linke eine Black Box: „Will man Wähler aus grünen Hochburgen anziehen oder Arbeiter mobilisieren? Das ist offen.“
Konzentration auf reale Unterschiede
Die Linke profiliert sich im Kampf gegen hohe Mieten und teure Lebensmittel. Aber sie scheint auch den Zeitgeist zu treffen. „Mit ihrer antikapitalistischen Haltung kann die Linke punkten in einer Zeit, in der Leute wie US-Präsident Donald Trump das System in Verruf bringen“, sagt Politikwissenschaftler Michael Wehner von der Universität Freiburg. „Und es gibt ja reale große Unterschiede bei Einkommen und Vermögen in unserem Land.“
Zudem hat die SED–Nachfolgepartei mit Fraktionschefin Reichinnek eine profilierte junge Frontfrau – während bei den vier Grünen an der Partei- und Fraktionsspitze keiner besonders heraussticht. „Starke Persönlichkeiten werden in der Politik ein immer wichtigerer Faktor“, sagt Wehner. „Heidi Reichinnek kann mit einem Coolness-Faktor punkten wie derzeit kein Grüner. Ihre idealistisch-populistischen Lösungen verfangen bei jungen Leuten.“ Die Linke zieht auch Scharen junger Leute als Mitglieder an – binnen weniger Monate hat sie sich auf rund 115.000 Menschen verdoppelt. Bei den Grünen steigt der Altersschnitt.
Trotzdem bleibt die Frage nach der Perspektive. Die Grünen lassen keinen Zweifel: Sie wollen wieder wachsen und mitregieren. Die Linke äußert sich weniger klar, was sie mit ihrer neuen Stärke eigentlich anfangen will. „Wir gehen nur dann in eine Regierung, wenn wir für die Leute damit wirklich etwas verändern können“, sagt Schwerdtner. Aber mit wem wäre das möglich?
Die Union hält eine Zusammenarbeit mit der Linken immer noch für unvereinbar. Eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün ist nicht in Sicht angesichts der Schwäche von SPD und Grünen. „Unsere politische Aufgabe sollte sein, das Feld Mitte links zu vergrößern, eben im Verhältnis zum Feld von Mitte rechts“, findet Schwerdtner. Vorerst bleibt Linken und Grünen wohl nur, in der Opposition die Grenzen von Konkurrenz und Schnittmengen auszutesten. (dpa)