Rundschau-Debatte des TagesHaben wir wirklich nicht genug Lehrer?

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Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bei einer Pressekonferenz

Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern fordert mehr Geld für Lehrer.

Wenn es um Probleme an Schulen geht, wird oft auf den Lehrermangel verwiesen. Die Gewerkschaft GEW fordert mehr Geld für Lehrer. Doch lässt sich damit das Problem lösen?

Unterrichtsausfall, überforderte Lehrer: Das Bildungssystem bleibt eine Dauerbaustelle. Im Gespräch mit Stefanie Witte spricht die GEW-Vorsitzende Maike Finnern über den Lehrermangel und beantwortet die Frage: Warum arbeiten überhaupt so viele Lehrerinnen in Teilzeit?

Frau Finnern, die Zahl der Schüler ist seit Jahren rückläufig, die Zahl der Lehrer steigt. Warum reden wir trotzdem von einem Lehrermangel?

Fakt ist: Bundesweit können Zehntausende Stellen nicht mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden. Unterricht fällt massenhaft aus und wird oft fachfremd gehalten. Die Situation vor 20 Jahren lässt sich mit der heutigen nicht vergleichen. Die Herausforderungen sind stark gewachsen. Schulen beschäftigen sich heute viel stärker mit Inklusion und Integration. Lernen ist individueller geworden, der Ganztag muss gemeistert werden. Insofern haben wir definitiv einen Lehrermangel. Die Aufgaben haben sich verändert und das Personal heute reicht dafür nicht aus.

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst wollte dem Lehrermangel pragmatisch begegnen und konkrete, kurzfristige Entscheidungen treffen. Nun ist sie zurückgetreten. Ist die kurzfristige Bekämpfung des Lehrermangels aussichtslos?

Es braucht mehr Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinweg und sicherlich auch Mut, Ideen umzusetzen, die bisher keine Chance hatten. Ein Beispiel ist der Bereich der Seiten- und Quereinsteiger. Die muss man begleiten und qualifizieren. Das kostet Geld. Nur die Arbeitszeit zu erhöhen oder Teilzeit zu verbieten, funktioniert nicht. Die Realität ist ja, dass Menschen in Teilzeit arbeiten, weil sie Vollzeit nicht mehr schaffen können. Wenn ich denen mehr zumute, werden sie ausfallen. So behebt man den Lehrkräftemangel nicht.

Liegt es wirklich an Überforderung? Häufig lässt sich beobachten, dass eine Lehrerin in Teilzeit geht, um sich um ihre Kinder zu kümmern.

Es gibt unterschiedliche Gründe für Teilzeit. Einer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben inzwischen viele junge Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten. Häufig sind das Frauen und in den Schulen ist der Frauenanteil am Lehrkörper größer. Damit ist die Teilzeitquote auch eine andere als in männlich geprägten Berufen.

Gleichzeitig werben Sie für eine höhere Bezahlung von Lehrkräften. Wie fair ist es, von Menschen mit wenig Einkommen zu verlangen, dass ihre Steuern noch stärker in sowieso schon hohe Lehrergehälter fließen sollen?

Wir erwarten das nicht von Menschen, die wenig verdienen. Meine Empfehlung ist, unser Steuersystem zu verändern. Wir brauchen ein höheres Steueraufkommen. Der Staat muss dort mehr Steuern einnehmen, wo Geld sitzt – auch über Vermögensabgaben oder eine höhere Erbschaftsteuer – und unten entlasten. Wir wollen eine bessere Bezahlung der Grundschul- und einiger Sekundarstufe-I-Lehrkräfte, weil als Grundsatz gelten muss: Die Arbeit an den Schulen ist zwar unterschiedlich, aber an allen Schulen gleich viel wert. Die Arbeit an den Grundschulen etwa ist pädagogisch höchst anspruchsvoll und muss daher genauso bezahlt werden wie alle anderen Lehrämter.

Warum ist es so schwer, den Lehrkräftebedarf vorherzusagen? Kinder werden geboren und bis sie in die Schule gehen, könnte man einen Lehrer ausbilden. Was ist das Problem?

Viele Bundesländer führen keine ehrlichen Statistiken, sie machen finanzpolitisch motivierte Setzungen. Es wurde lange Zeit nicht seriös erhoben, wie viele Kinder und Jugendliche in den Schulen zu erwarten sind. Nachdem das offensichtlich so aber nicht funktioniert, ändert sich das nun. Renommierte Wissenschaftler wie Professor Klaus Klemm und wir haben schon vor 15 Jahren gewarnt, dass wir sehenden Auges auf einen Lehrkräftemangel zusteuern. Aber die Politik hat das Thema immer auf die lange Bank geschoben und nicht genug Lehrkräfte qualifiziert.

Um dem Problem jetzt zu begegnen, wollen Sie den NC fürs Lehramtsstudium abschaffen. Ist es nicht gerade im Bildungsbereich wichtig, Experten zu haben, die intellektuell stark sind?

Klar. Aber die müssen ja kein Abitur mit 1,1 haben. Der NC sagt nur etwas darüber aus, dass man zu wenig Studienplätze anbietet. Er steuert den Zugang zur Universität, wenn das Angebot knapp ist.

Wobei es ja Unterschiede zwischen 1,1 und gar keinem NC gibt – man könnte ja auch einen Mittelweg gehen und zum Beispiel auf 3,0 gehen.

Wer anfängt zu studieren, hat auf jeden Fall ein Abitur, also eine allgemeine Hochschulreife. Der NC ist ein reines Sortierungsmerkmal. Eigentlich müsste man andere Kriterien anwenden. Das fachliche Wissen für die Schule kann sich jeder aneignen – wer die allgemeine Hochschulreife hat, bekommt das hin. Aber es braucht auch noch andere Skills, etwa eine hohe Motivation, mit Kindern und Jugendlichen das Lernen zu lernen, die der NC nicht abbilden kann.

Wer nach dem Studium in der Schule ankommt, erlebt häufig einen Realitätsschock. Schulen sind häufig kleine Behörden, die sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Müsste da nicht verschlankt werden?

Schule insgesamt ist ein Lebensraum, der nicht nur aus dem Unterricht bestimmter Fächer besteht. Natürlich ist viel Bürokratie im System. Da kann man entlasten. Schulverwaltungsassistenten können zum Beispiel helfen. Die Frage ist, woher sie kommen. Größere Schulen bekommen das Geld dafür häufiger aus bestimmten Töpfen. Kleinere Grundschulen eher weniger. Aber vielleicht kann man auch noch mal über eine Ausbildung nachdenken, die Studium und Referendariat besser miteinander verzahnt. Man kann auch den Einstieg erleichtern, indem man junge Lehrkräfte nicht sofort mit einer hohen Zahl Unterrichtsstunden konfrontiert, die sie ohne Begleitung einer erfahrenen Lehrkraft halten müssen. Gerade junge, engagierte Lehrkräfte brennen sonst schnell aus.

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