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Rundschau-DebatteWas bleibt noch übrig vom 1,5-Grad-Ziel?

4 min
Belem: Sonia Guajajara (M), Ministerin für indigene Völker in Brasilien, nimmt an einem Marsch indigener Gemeinschaften unter dem Motto „Wir sind die Antwort“ teil. Der Protest findet parallel zur Weltklimakonferenz COP30 statt.

Belem: Sonia Guajajara (M), Ministerin für indigene Völker in Brasilien, nimmt an einem Marsch indigener Gemeinschaften unter dem Motto „Wir sind die Antwort“ teil. Der Protest findet parallel zur Weltklimakonferenz COP30 statt.

Zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen steht eines der ambitioniertesten Klimaziele der Vereinten Nationen auf der Kippe. Dennoch mahnen Forscher: Jedes Zehntelgrad zählt.

Vor zehn Jahren vereinbarte die internationale Gemeinschaft im Pariser Klimaabkommen, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Mittlerweile ist klar, dass dies nicht gelungen ist. Sinnlos werden die internationalen Klimaverhandlungen wie derzeit im brasilianischen Belém dadurch allerdings nicht. Ein Überblick:

Woher kommt die umfassende 1,5-Grad-Vorgabe eigentlich?

Im Pariser Abkommen von 2015 ist das Ziel formuliert, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad zu begrenzen. 2018 legte der Weltklimarat IPCC zum 1,5-Grad-Ziel einen 400-seitigen Bericht vor, der deutlich machte, wie verheerend sich eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad auf die Umwelt und die Menschen auswirken würde.

Dahinter stehen wissenschaftliche Prognosen, bei welcher Erwärmung für die Umwelt und das Klima wichtige Systeme wie das Eis an den Polkappen, Gletscher und Regenwälder zusammenbrechen.

Der 1,5-Grad-Grenzwert setzte sich in den internationalen Klimaverhandlungen daher immer mehr durch. In seinem umfassenden Sachstandsbericht von 2021 ging der IPCC allerdings bereits davon aus, dass die bedeutsame Marke bereits um das Jahr 2030 erreicht wird – also zehn Jahre früher als noch 2018 prognostiziert.

In den internationalen Klimaverhandlungen setzte sich in der Folge die Formulierung durch, dass das 1,5-Grad-Ziel „in Reichweite“ gehalten werden müsse.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) veröffentlichte im Juli ein wegweisendes Gutachten, wonach die Staaten rechtlich verpflichtet sind, gegen den Klimawandel vorzugehen. Demnach müssen sie Maßnahmen ergreifen, die mit dem 1,5-Grad-Ziel im Einklang sind.

Wo stehen wir mittlerweile und wie sehen die aktuellen Prognosen aus?

In seiner Rede zum Auftakt des Klimagipfels in Belém vor gut einer Woche stellte UN-Generalsekretär António Guterres fest: „Wir sind dabei gescheitert, die Erderwärmung auf unter 1,5 Grad zu begrenzen.“ Guterres stützt sich dabei auf die Befunde der Wissenschaft. Laut Weltmeteorologieorganisation (WMO) wurde 2024, dem global heißesten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, eine mittlere Erderwärmung von 1,55 Grad gemessen.

Um ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels sicher festzustellen, muss der Wert Klimawissenschaftlern zufolge über mehrere Jahre überschritten werden, da Ausreißer bei den Jahresdurchschnittstemperaturen etwa unter dem Einfluss des Klimaphänomens El Niño durchaus vorkommen.

Angesichts der Entwicklungen in den vergangenen Jahren gehen Klimawissenschaftler heute aber von einem dauerhaften Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze aus.

So ergab der vorige Woche veröffentlichte Jahresbericht der Organisation Global Carbon Budget, dass die Menschheit insgesamt nur noch 170 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen dürfe, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Bei Treibhausgas-Emissionen wie zur Zeit ist dieses Kontingent aber schon in vier Jahren aufgebraucht.

Der Emissions Gap Report des UN-Umweltprogramms von Anfang November ergab, dass die Welt selbst bei Einhaltung aller gegenwärtigen nationalen Klimaschutzzusagen auf eine Erwärmung von 2,3 bis 2,5 Grad bis zum Jahr 2100 zusteuere. Angesichts der hapernden Umsetzung der Klimaziele sei eher mit 2,8 Grad zu rechnen.

Welchen Sinn haben die Klimaverhandlungen jetzt noch?

Dass das Pariser Klimaabkommen mit seiner ehrgeizigen Zielvorgabe nicht wirkungslos war, verdeutlicht die Tatsache, dass die Erde vor der wegweisenden Vereinbarung auf eine Erwärmung um rund vier Grad zugesteuert war.

Dass die Grenze nun praktisch überschritten ist, bedeutet nicht, dass Klimaschutzmaßnahmen ihren Sinn verloren haben. Einfach gesagt sind die Folgen der Erderwärmung schlimmer, je höher sie ausfällt. Dabei kommt es auf jedes Zehntelgrad an, wie sowohl Umweltorganisationen als auch Klimaforscherinnen wie Friederike Otto vom Londoner Imperial College betonen.

In den Klimaverhandlungen ist nun immer wieder vom „Overshoot“, also dem Überschreiten der 1,5-Grad-Vorgabe, die Rede und wie dieser zumindest so gering wie möglich gehalten werden kann. „Wir müssen unser Versagen eingestehen“, sagte dazu der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, im September bei der UNO in New York. „Aber wir müssen nicht weiter versagen.“

Dem PIK-Professor zufolge könnte es 50 bis 70 Jahre dauern, bis die Menschheit mit den ab jetzt ergriffenen Klimaschutzmaßnahmen die globale Durchschnittstemperatur wieder auf höchstens 1,5 Grad über dem industriellen Niveau drückt. „Das bedeutet mit hundertprozentiger Sicherheit, dass wie wir eine sehr harte Zeit haben werden, bevor es möglicherweise besser wird“, sagte Rockström Anfang des Monats.

Laut Germanwatch-Chef Christoph Bals wird in den Klimaverhandlungen mittlerweile eine 1,7-Grad-Grenze „als nächster Anker“ diskutiert, bevor am Ende des Jahrhunderts die 1,5-Grad-Grenze wieder eingehalten werden könne. (afp)