„Ich höre jetzt auf mich“Gespräch über Selbstaufgabe in der Ehe und den Neuanfang

Auch Paare in der Lebensmitte trennen sich. Das kann für beide ein Glücksfall sein.
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Marie Matisek hat sich nach 20 Jahren Ehe von ihrem Mann getrennt und ein Buch darüber geschrieben. Über ihren Neuanfang als selbstbestimmt lebende Frau – mit Sohn, Hund und Katze – sprach sie mit Autorin Christina Rinkl.
Frau Matisek, wie überlebt man eine Trennung?
Och, ganz gut eigentlich. Meine Trennung ist ja jetzt zwei Jahre her. Und rückblickend war das ein guter und notwendiger Schritt, von dem wir alle profitiert haben. Mein Mann und ich sind nach wie vor sehr eng miteinander. Wir verstehen uns heute wie beste Freunde und das ist schön. Aber die unmittelbare Zeit nach der Trennung war natürlich furchtbar.
Sie sagen immer noch „mein Mann“, nicht „mein Ex“.
Ja, natürlich. Wir sind ja immer noch verheiratet und haben momentan auch nicht vor, uns scheiden zu lassen.
Ihr Mann hatte drei Jahre lang eine Affäre. Warum haben Sie nichts gemerkt?
Tja. Im Nachhinein sehe ich natürlich ein, dass ich es hätte merken können. Es gab Anzeichen. Er hatte plötzlich einen Code in seinem Handy und hat auch andauernd da rein geguckt. Ich wollte es einfach nicht sehen. Dass mein Mann fremd gehen könnte, das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Wir waren so viele Jahre so glücklich miteinander und ich selber habe überhaupt nicht ans Fremdgehen gedacht. Ja, man hätte es merken können. Drei Jahre sind eine lange Zeit und er hat sich während der Affäre auch charakterlich verändert. Er war ziemlich unausgeglichen.
In Ihrem sehr persönlichen Buch beschreiben Sie sich und Ihren Mann als das perfekte Paar. Charakter, Werte, Einstellungen, alles hat jahrelang wunderbar gepasst. Warum hat es denn trotzdem nicht geklappt?
Wir haben uns in 20 Jahren Ehe in eine Ausweglosigkeit hineinmanövriert. Die Mehrfachbelastung von Job, Kinder, Haus und Haushalt hat uns das Genick gebrochen. Ich sehe das auch bei ganz vielen Beziehungen im Freundeskreis: Der Erwerbsdruck lastet immens auf den Paaren. Und unsere Generation ist zusätzlich eine, die es auch noch perfekt mit den Kindern machen will. Auch ich wollte die perfekte Mutter, perfekte Köchin und dazu noch die beste Hundemutter sein. Irgendwann schafft man das alles nicht mehr. Ich war ausgebrannt. Ich habe mich in mich selbst zurückgezogen, während mein Mann einen Ansprechpartner gebraucht hätte. Ich hatte aber damals das Gefühl, mich um ihn nicht auch noch kümmern zu können. Es war einfach zu viel.
Sie schreiben: „Ich habe mich völlig aufsaugen lassen von dem Glück, das in der Aufgabe lag, Kinder großzuziehen und parallel dazu zu arbeiten. Ich selbst, mit meinen Bedürfnissen, verschwand. Mein Bedürfnis war doch, dass alle glücklich sind.“
Genau das war der Knackpunkt. Ich habe es letztes Jahr Weihnachten wieder gesehen, als wir als Familie zu viert zusammen gefeiert haben. Ich bin sofort in mein altes Muster gefallen, habe gekocht und mich gekümmert. Danach war ich erschöpft, habe aber wieder alle anderen dafür verantwortlich gemacht. Das ist falsch, das weiß ich jetzt. Heute schützt mich meine Trennung vor mir selbst.
Das Buch
Marie Matisek, „Frau gönnt sich ja sonst nichts – Wie sich die Trennung von meinem Mann unverhofft als Glücksfall erwies“, KnaurVerlag, 12,99 Euro
Wie meinen Sie mit Selbstschutz?
Ich sorge dafür, dass ich mich jetzt nicht mehr selbst aufgebe. Ich achte jetzt viel mehr auf meine Bedürfnisse. Ich lebe inzwischen sehr gerne alleine, treffe jetzt auch hin und wieder Männer. Aber zusammenziehen mit einem Mann? Momentan ist das für mich unvorstellbar.
Aber es ist doch nicht einfach, den Alltag immer alleine zu stemmen.
Das stimmt. Manchmal denke ich: Mann, warum ist hier gerade keiner, der mal schnell das Regal anbringen kann? Aber das muss ja nicht für die Ewigkeit so bleiben. Ich versuche es positiv zu sehen. Ich habe 20 Jahre Familiengewusel gehabt und finde, dass ich die Ruhe jetzt einfach mal genießen darf.
„Kinder, Arbeit, Haushalt, Haustiere, die Steuer: Mit der Zeit bin ich immer dicker, grauer und müder geworden. Zum Schluss war ich eine Frau, die ich selbst nicht mehr mochte.“ Sind Sie heute eine andere Frau?
Ja. Ich höre auch körperlich mehr auf meine Bedürfnisse, gehe zum Beispiel öfter zur Kosmetik. Ich bin freier und jünger geworden. So fühle ich mich zumindest.
Wie fühlt es sich an, mit 50 nochmal ganz neu durchzustarten?
Es fühlt sich gut an, ich bin abenteuerlustig geworden. Ich habe plötzlich das Bedürfnis nach großen Reisen, was ich früher nicht hatte. Ich habe mir öfter überlegt: Was ist, wenn ich 100 werde? Dann habe ich jetzt erst die Hälfte meines Lebens hinter mir. Ich habe gerade große Lust, nach neuen Wegen zu gucken. Das ist natürlich aber nur möglich, da meine Kinder groß sind. Mit kleineren Kindern ginge das nicht.
Aber Ihre große Reise nach Bali hat Ihnen nicht wirklich geholfen...
Ja, das war auch eine interessante Erfahrung (lacht). Als ich dann dort war, habe ich gemerkt, dass ich diese Yoga-Woche auch hier in Bayern oder an der Nordseeküste hätte machen können. Damals wollte ich mir etwas gönnen, zu meinem 50. Geburtstag, aber es war einfach nicht das Richtige. Bali ist sicher toll, aber dort liegt auch unglaublich viel Müll, darauf war ich nicht eingestellt. In nächster Zeit plane ich mit dem Rucksack durch Kambodscha zu reisen. Ich erwarte jetzt aber auch nicht mehr dieses Heil vom Reisen à la „Eat, pray, love“ wie im Film mit Julia Roberts. Wenn man realistisch da rangeht, ist das viel besser.
Wie klappt der Neuanfang denn besser?
Ich habe entrümpelt, bin erst mal ganz viel Ballast losgeworden. Sowohl materiell, als auch emotional. Wir haben alle Sachen, die wir nicht mehr brauchen, gespendet. Und ich habe mich verkleinert, Downsizing nennt man das ja jetzt. Ich bin mit meinem Sohn raus aus dem Haus in eine kleinere Wohnung gezogen. Das war eine unglaubliche Befreiung. Und ich bin nicht alleine damit. Viele Frauen schreiben mir, dass es bei ihnen nach ihrer Trennung genauso war – und sie sich gut fühlen.
Sie selbst beschreiben Ihre Trennung als unverhofften Glücksfall.
Ja, so war es für mich. Natürlich war die Zeit danach hart, aber man darf einfach nicht denken, dass die Welt jetzt komplett untergeht. Das wäre ein Fehler. Denn da ist doch noch genug Welt da, die meine ist. Die ich ausbauen und genießen kann.
Sie scheinen Ihr neues Leben wirklich zu genießen.
Ja, weil ich plötzlich viel mehr Zeit habe. Es ist unglaublich, wie viel Zeit plötzlich frei wird, wenn man keine ganze Familie mehr zu versorgen hat. Früher bin ich immer nach der Arbeit in größter Hektik einkaufen gegangen, das fällt jetzt alles weg. Es ist ein riesiger Luxus, die Zeit zu füllen mit Dingen und Menschen, die einem gut tun. So kann man es auch sehen. Meine Trennung war nicht nur negativ. Auch, wenn unsere 20 gemeinsamen Jahre großartig waren. Es hilft, anzunehmen, was nicht veränderlich ist.
Sie schreiben „Ich habe den Fehler gemacht, meinen Mann so lange zu bemuttern und zu bevormunden, dass er zu einer anderen übergelaufen ist.“ Wütend sind Sie trotzdem nicht auf ihn. Friedlich auseinander gehen ist also mehr als nur ein Mythos?
Wir haben es geschafft. Wir hatten auch keinen Kampf ums Geld. Das ist ja auch alles Einstellungssache. Manchmal ist Nachgeben einfach die bessere Wahl, finde ich. Das friedliche Auseinandergehen klappt aber wahrscheinlich nicht, wenn die Beziehung vorher schon schlecht war. Ich bin auch überzeugt, dass mein Mann uns nicht weh tun wollte mit seiner Affäre. Er hat nur die denkbar schlechteste Form gefunden, mit unserer Ehekrise umzugehen. Es klappt einfach nicht zu denken: Ich gehe fremd, es wird schon nichts passieren. Aber viele Männer denken in der Tat so.
Was raten Sie anderen in Trennung?
Nach vorne zu schauen. Dinge zu tun, die einem gut tun, mit Menschen, die einem gut tun. Und vor allem den Hass und den Groll loswerden, denn das alles schadet einem nur selber. Immer wenn ich jemand anderem weh tun will, tue ich mir vor allem selbst weh. Und die Kinder leiden auch, das sehe ich im Bekanntenkreis.
Hass und Groll entstehen durch die verletzten Gefühle.
Ja, aber die kann ich lernen umzuleiten. Jeder kann daran arbeiten, die Aufmerksamkeit auf die positiven Aspekte seines Lebens zu lenken. Ich zum Beispiel habe zwei gesunde Kinder, ein Dach über dem Kopf und kann von meinem Schreiben leben. Und die Sonne scheint heute auch noch. Besser geht es doch nicht.