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Patienten-BroschüreSo ist Sex mit künstlichen Gelenken möglich

Lesezeit 3 Minuten

Prof. Dr. Joachim Schmidt ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt Endoprothetik an der Orthoparc-Privatklinik in Köln. Marie-Anne Schlolaut hat mit ihm gesprochen.

Sie haben eine Patienten-Broschüre kreiert, in der in Bildern erklärt wird, welche sexuellen Praktiken mit künstlichem Hüft- oder Kniegelenk möglich sind. Ist die Nachfrage so groß?

Zwei Dinge spielen eine Rolle. Die Patienten werden immer jünger. 40- und 50-Jährige nehmen körperliche Einschränkungen in Hüfte und Knien nicht mehr als gegeben hin, sondern lassen sich behandeln. Und zum anderen wissen wir, dass noch 20 Prozent der über 60-Jährigen regelmäßige Sexualkontakte haben.

Sie sind Chirurg. Fällt es Ihnen leicht, mit Patienten darüber zu reden.

Nein, für mich ist das echt ein Angang. Ich habe 30 Berufsjahre als Chirurg, und es fällt mir nicht leicht. Ich erkläre jedem gern, dass er noch Tennis spielen oder Ski fahren kann, aber sexuelle Kontakte zu thematisieren, ist schwer für mich.

Deshalb die Broschüre?

Ja, jeder Patient kann sie mitnehmen. Aber nicht bei jedem Patientengespräch werden wir automatisch die sexuellen Praktiken thematisieren. Das fände ich ziemlich indiskret.

Sind Sie und Ihre Klinik mit diesen Anleitungen Vorreiter?

Das will ich nicht behaupten, aber mir ist noch nicht zu Ohren gekommen, dass es das anderweitig geben könnte. Ich weiß aber, dass die Holländer uns auf dem Gebiet voraus sind.

Inwiefern?

Ich habe Rita Harmsen, die zu unserem Symposium kommt, zufällig in Baden-Baden auf einem Kongress kennengelernt. Sie arbeitet wissenschaftlich im Klinik-Management und hat das Problem erkannt, dass Informationsbedarf bei Patienten besteht. Sie recherchierte, fand aber kaum brauchbares Material. Sie ging dem Thema zusammen mit den Universitäten in Amsterdam und Leiden nach.

Die Piktogramme und Darstellungen stammen von ihr?

Nein. Die haben wir machen lassen.

Wovor haben Patienten denn Angst, wenn sie fragen, was noch geht und was nicht?

Gut die Hälfte der Patienten hat Angst, dass bei Sexualkontakten die Hüfte rausspringt.

Das heißt?

Dass der Hüftkopf aus der Pfanne springt.

Hört sich schmerzhaft an. . .

Ist es. Wem das passiert, der muss sofort ins Krankenhaus. Unter Narkose muss die Hüfte wieder eingerenkt werden.

Haben die Patienten Recht mit ihren Befürchtungen in puncto Sex?

Nein, dank der heutigen Operationstechniken liegt dieses Risiko bei unter einem Prozent. Wenn es passieren sollte, liegt meist ein Fehler des Operateurs zugrunde.

Welche Beschwerden machen denn künstliche Kniegelenke im Sexualleben?

So gut wie keine. An einem künstlichen Kniegelenk kann man fast nichts kaputt machen. Es tut höchstens mal weh oder schwillt an.

Woher weiß man um die kleinen und großen Risiken während des Geschlechtsverkehrs?

In der Schweiz hat man mit den Universitäten in Genf und Lugano eine Studie gemacht und anhand von Modellen geprüft, welche Risiken mit welchen Bewegungen verbunden sind.

Wie lange muss ich nach einer Operation sexuell abstinent bleiben?

Beim Kniegelenk sollte man sich die ersten drei Monate nach dem Eingriff eher nicht hinknien, ansonsten ist vieles möglich. Das neue Hüftgelenk braucht ebenfalls mindestens vier Wochen Ruhe. Ausschlaggebend ist, dass ich mich sicher fühle bei den Bewegungen.

Werden mehr Männer oder mehr Frauen an der Hüfte operiert?

Fast halbe halbe. Es gibt eine Untersuchung, dass 20 Prozent der Patienten mit einem neuen Hüft- oder Kniegelenk, egal ob Mann oder Frau, ein aktives Sexualleben haben.

Und das klappt auch ohne Broschüre?

Ja, manchmal staune ich schon. Bei uns war ein russischer Patient, der hatte ein Buch, in dem mit Piktogrammen verdeutlicht wurde, welche Sexualpraktiken mit neuen Hüft- und Kniegelenken möglich sind. Er hatte es in Russland gekauft und sagte, es sei sündhaft teuer gewesen.