Die Geschichten von damals bieten Stoff für TV-Serien. Rachel Silberstein war die mitunter gefürchtete Grand Dame des Hauses.
Im heutigen Peters BrauhausDas „Chez Alex“ in Köln war eines der elegantesten Restaurants der Republik

Rachel Silberstein ist im Chez Alex die mitunter gefürchtete Grand Dame. Links im Bild Maitre Johannes Kokjé.
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Vor rund 40 Jahren war Köln bekannt für seine Restaurantszene. Man reiste in die Stadt am Rhein, weil man hier besonders gut essen konnte. In der Serie „Goldene Zeiten“ erinnert unser Autor Johannes J. Arens an die großen Häuser der Vergangenheit.
„Das Restaurant ist ein Traum in Stoffen und Farben, in Samt und Licht“, heißt es „Römers Restaurant Report“ aus dem Jahr 1992. „Es atmet die Stimmung eines schweren Parfums, hat etwas von den französischen Boudoirs der Jahrhundertwende, etwas von einem noblen Herrenclub und einem Schuß Orient-Express.“
Das klingt nach Paris, nach Biarritz oder Cannes. Aber die markante Markise über dem Eingang hängt in der Mühlengasse 1-2. Dort wo heute Himmel un Ääd oder Decke Bunne met Speck auf den Tisch kommen, befand sich von 1978 bis 1993 eines der elegantesten Restaurants der Republik.
„Chez Alex“: Geschichten für TV-Serien
Die Erinnerungen von Köchen und Auszubildenden, von Gastrokritikern und Gästen an das „Chez Alex – La Maison du Champagne“ klingen wie Drehbücher zu TV-Serien von Helmut Dietl. Man fühlt sich an Monaco-Franzl oder Kir Royal erinnert. Nur wird eben nicht die Münchner Schickeria gedreht, sondern in der Kölner Altstadt.
Die räumliche Aufteilung ist so großzügig, dass man sich darin verlieren kann. Die Gäste werden nach dem Abnehmen der Garderobe im Vestibül zunächst an die eindrucksvolle Bar gebracht. Dort werden Aperitif und Speisekarte gereicht, erst dann geht es weiter in die Speiseräume. „Es gab drei Salons“, erinnert sich Mike Tebert, der von 1986 bis 1988 seine Ausbildung zum Koch im „Chez Alex“ absolvierte, „einen roten, einen grünen und einen blauen.“

Der Namensgeber: Der 1981 verstorbene Alex Silberstein stand mit hoher Kochmütze in der Küche.
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1978 beziehen der namensgebende Alex Silberstein und seine Frau Rachel die Räume im historischen Brügelmannhaus. Einige Jahre zuvor hatten sie einen Steinwurf entfernt das Lokal „Zur kleinen Reblaus“ übernommen. Jetzt soll es mondän werden. Er steht mit hoher Kochmütze in der Küche, sie kümmerte sich in eleganter Abendkleidung um den Service. Das Paar trennte sich bald im Privaten, das Restaurant betreiben sie jedoch weiterhin gemeinsam. Auch als Alex Silberstein 1981 an einem Herzinfarkt stirbt, bleibt der Laden geöffnet.
Rachel Silberstein ist eine eindrucksvolle Gastgeberin. In jeder Hinsicht. „Madame war eine Erscheinung“, erinnert sich Mike Tebert. „Wie sie da so an der Bar saß, in ihren hohen Lederstiefeln und ihrer toupierten Frisur, da fehlte nur noch die Peitsche. Das stand wohl mal im Gault Millau.“ Aber auch ohne diese hat sie Personal, Gäste und Kritiker im Griff. Alle nennen sie Madame.
„Chez Alex“ in Köln: Perfektion auch nach dem Tod des Namensgebers
Leicht hat sie es nicht. „Es verdient Anerkennung, dass ihr Haus seit Alex' Tod nicht nur nicht in Talfahrt ging, sondern im Gegenteil vielleicht noch um eine Spur perfekter geführt wird“, schreibt Gastrokritiker HPO Breuer 1982 in „Bessers Gourmet Brief“. „Dazu gehören eine gewaltige Portion Arbeitswille, Selbstbeherrschung und Fleiß.“
Aber die Perfektion geht nicht nur auf ihre Rechnung. An ihrer Seite steht Johannes Kokjé, der seit 1977 für die Silbersteins arbeitet. „Einer der aufmerksamsten, bemühtesten und kundigsten Maîtres d'hôtel, den ich seit langem erlebt habe“, befindet der Rezensent der Zeitschrift „essen & trinken“ im August 1980. Der aus dem friesischen Leeuwarden stammende Niederländer hält den Laden mit seiner besonnenen und freundlichen Art zusammen und wird 1980 mit der Auszeichnung „Maître d'Hotel des Jahres“ geehrt.

Früherer Azubi: Mike Tebert vor dem Peters Brauhaus, in dem das „Chez Alex“ bis 1993 beheimatet war.
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„Er war spätestens um elf Uhr da“, erinnert sich Tebert, „um drei oder vier Uhr nachts ging er nach Hause. Und am nächsten Morgen stand er wieder im Laden. Ich habe nie wieder jemand getroffen, der so professionell gearbeitet hat.“
Für die Küche hingegen ist nach dem Tod ihres Mannes Rachel Silberstein selbst zuständig. Obwohl sie keine gelernte Köchin ist. „Aber sie hatte Geschmack und Ahnung“, sagt Christoph Paul, der 1985 im Alter von 21 Jahren aus der „Traube“ in Grevenbroich in die Kölner Altstadt wechselt und schnell Küchenchef wird. „Sie legte zum Beispiel immer großen Wert auf eine ausgewogene Säure im Essen. Die musste schön eingebunden sein. Das habe ich letztlich von ihr übernommen. Die berühmte Himbeeressig-Soße habe ich vorletzte Woche noch im Menü gehabt.“

Früherer Küchenchef: Christoph Paul mit der alten Speisekarte des „Chez Alex“. Heute betreibt Paul sein eigenes Restaurant auf der Brüsseler Straße.
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Das Champagnerhaus hat mittags und abends geöffnet, aber richtig voll wird es vor allem während der Messezeiten. „Dann wurde die Karte umgeschrieben und die Preise angepasst“, erinnert sich Paul. „Wie man das in den 80er Jahren so gemacht hat.“
Gekocht wird klassisch französisch. Zu den Signature Dishes, auch wenn es das Wort damals noch nicht gibt, gehören etwa Lachs-Tartar oder Gänsestopfleber auf gratinierten Apfelscheiben. Außerdem gibt es jeden Tag einen beeindruckenden Dessertwagen – mit Soufflé Glacé, Parfait Grand Marnier und gefüllten Profiteroles.
Rachel Silberstein legt Wert auf Qualität. Weil sie keinen Führerschein hat, fährt sie einmal im Monat mit dem Taxi zum Einkaufen nach Brüssel. „Sie schwor auf das Kalbfleisch aus Belgien“, erzählt Paul, „weil es heller war.“
Das gibt es nicht nur für die Gäste, sondern auch für Puppele, den stets anwesender Yorkshire-Terrier der Chefin. Um den hat sich auch das Personal zu kümmern. „Puppele hatte immer so ein brillantenbesetztes Schleifchen auf dem Kopf“, erzählt Tebert. „Wir Lehrlinge mussten für den Hund im Kaufhof Kalbsleberwurst kaufen gehen. Oder es gab durchgebratenes Kalbsfilet. Puppele mochte es nicht so blutig.“
Hund verrichtete Geschäft auf der Damentoilette
Doch während das Tier mit Liebe überschüttet wird und für das kleine Geschäft auf die Damentoilette gebracht wird, ist das Verhältnis von Madame zu anderen Menschen kompliziert. „Die Chefin, Madame Silberstein, ist ohne Zweifel eine Persönlichkeit, und ich neige dazu, ihr ihre kleinen Marotten jederzeit zu verzeihen“, heißt es bei Kritiker Joachim Römer. Auch Christoph Paul erinnert sich an die schwierigen Seiten seiner Arbeitgeberin. „Sie war eine Grande Dame und hat kein Blatt vor den Mund genommen. Sie war auch gefürchtet.“ Manchmal muss er abends mit ihr essen gehen. Dann wird der Hund unter den Arm genommen und es geht in andere Restaurants. „Wenn es ihr dann nicht geschmeckt hat, dann hat sie das lautstark kundgetan.“
Auch mit den eigenen Kunden geht Rachel Silberstein mitunter ruppig um. Mal greift sie ins Besteck, um zu zeigen, wie man ein Gericht korrekt verzehrt, mal lässt sie Gäste, die ihr nicht passen, einfach vor die Tür setzen. „Die mussten nichts zahlen“, erinnert sich Paul, „Ihr war es auch egal, dass die gerade eine Flasche Petrus für 500 Mark getrunken hatten.“
Aber bei allen (im Nachhinein) unterhaltsamen Anekdoten – der Betrieb schreibt keine schwarzen Zahlen. Als Anfang der 1990er Jahre der Finanzier den Geldhahn zudreht, ist es vorbei mit La Maison du Champagne am Rhein. Im Dezember 1993 schließt das „Chez Alex“. Dem Vernehmen nach geht Rachel Silberstein nach Antwerpen, wo ihre Schwester einen Schönheitssalon betreibt. Dort verliert sich ihre Spur.
Der Maitre ist da schon lange weitergezogen und hat sich mit einem eigenen Restaurant selbstständig gemacht. Auch sein „Ambiance am Dom“ gilt als sichere Bank für Feinschmecker, wie man die heutigen „Foodies“ damals noch nannte. Zunächst im Hotel Europa am Dom, dann geht es hinüber ins Untergeschoss des Excelsior Ernst und zuletzt ins ehemaligen „Poele d'Or“ in der Komödienstraße. 2020 verstirbt Johannes Kokjé an den Folgen einer Krebserkrankung.
Kaum Bilder aus dieser Zeit
Es gibt kaum Bilder aus dieser Zeit. Eine Handvoll Fotografien von den Silbersteins und ihrem Team, sehr wenig vom Interieur, gar nichts von den servierten Speisen. Kein Foto von der eindrucksvollen Bar und auch keins vom Dessertwagen. In Zeiten vor Instagram und TikTok fotografiert man nicht im Restaurant. Es bleibt die Erinnerung.
Im ganzen Rheinland findet sich nichts vergleichbar Elegantes“, urteilte HPO Breuer vor 43 Jahren, „wobei man noch einmal ausdrücklich bemerken sollte, dass die gefährliche Schwelle zwischen Luxus und unerträglicher Überladenheit in keinem der großzügigen Räume übertreten wird.“
1994 eröffnet Peters Brauhaus in der Mühlengasse. Teile der vielgepriesenen Einrichtung finden ihren Weg ins Belgische Viertel – ein Raum des Hallmackenreuther am Brüsseler Platz wird damals mit Möbeln aus dem Roten Salon ausgestattet. Der berühmte Plüsch von einst ist endgültig zur Parodie vergangener Zeiten geworden.
Aus der Karte
(Preise in DM)
Les Entrées (Vorspeisen)Salat vom bretonischen Hummer, 2 Pers. 32,-Warme Gänseleber auf karamellisiertem Apfel 54,-Les Poissons (Fisch)Lachs in Limonenmousseline 45,-Blanquette vom Zander in Rieslingsauce und grünem Spargel 42,-Les Viandes (Fleisch)Kalbskotelett mit Krebsen und Paprikasoße 48,-Entenfilet in Himbeeressigsauce 46,-Dessert vom Wagen 22,50
ChampagnerMoët et Chandon Brut 80,-Deutsche WeineTrittenheimer Apotheke, Riesling, 1985 30,-Schloss Johannisberg, Riesling Gelblack, 1986 49,50Französische WeineChablis 1er Cru, Domaine Long-Depaquit, 1984 89,50Château Petrus, 1976 740,-