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80 Jahre KriegsendeSo gehen Kölner Schulen mit dem Gedenken an den Zweiten Weltkrieg um

Lesezeit 4 Minuten
Schülerinnen laufen über eine Kriegsgräberstätte.

Kriegsgräbergedenkstätte Ysselsteyn

Der Zweite Weltkrieg kann Schülerinnen und Schülern nahegebracht werden. Vor allem mit Besuchen von Gedenkstätten.

Längst nicht alle Schülerinnen und Schüler, die Geschichtslehrerin Christina Schreck unterrichtet, haben ihre familiären Wurzeln in Deutschland. Wenn die 39-jährige Lehrerin in der Oberstufe an der Kaiserin-Augusta-Schule den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus thematisiert, ist das für den Teil der Klasse mit Internationaler Familiengeschichte weiter weg als für jene, deren Vorfahren leibhaftiger Teil dieser Geschichte waren. Wie also thematisieren Lehrkräfte in Köln, wo rund 40 Prozent der Bürgerschaft Wurzeln im Ausland haben, die deutsche Geschichte?

Christina Schreck ist sich bewusst, dass die Geschichte, die sie unterrichtet, „europazentriert“ ist. Um das ein wenig aufzulösen, ermutigt sie Schülerinnen und Schüler, auch andere Perspektiven einzunehmen. Schul-Projekte wie „Decolonizie Cologne“, wo Spuren des Erbes als Kolonialmacht offengelegt wurden, bieten Raum für solche Perspektiven. Beim jährlichen Fest der Kulturen stellen alle etwas aus ihrer Kultur vor.

Fahrten zu Gedenkstätten „haben einen besonderen Wert“

Zum Leben in Deutschland gehöre jedoch auch persönliche Einordnung. „Da stellt sich für jeden die Frage: Wie ordne ich mich da ein?“, findet die Lehrerin. Und zur Einordnung gehört unweigerlich die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Erinnerungskultur hält Schreck für unabdingbar wichtig in einer Demokratie.

Schülerinnen und Schüler zwischen Kreuzen

Die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn

„Erinnerungskultur ist ein Weg, ein Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zu sehen“, ist die Überzeugung der Geschichtslehrerin. Erinnerungskultur werfe immer ein Licht auf das, was aus der Vergangenheit heute noch die Gegenwart beeinflusst.

Bei Besuchen historischer Orte – NS-Dok, Berlin, Konzentrationslager, Kreisau/Krzyzowa, Kriegsgräberstätten – konkretisiert sich für die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die deutsche Geschichte. Eine Erfahrung, die auch Béatrice Smolka und Felix Bjerke, Geschichtslehrkräfte am Genoveva-Gymnasium, gemacht haben. In der Stufe 9 besuchen alle Schülerinnen und Schüler das NS-Dokumentationszentrum Köln und einen Workshop.

Eine Frau reinigt ein Kreuz.

Geschichtslehrerin Béatrice Smolka auf der Kriegsgräbergedenkstätte Ysselsteyn

Zusammen mit Schülerinnen und Schülern aus dem Apostelngymnasium und dem Dreikönigsgymnasium finden in der Oberstufe Fahrten zu Gedenkstätten statt. Finanziert werden sie kostendeckend mit Mitteln des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds. „Gedenkstätten haben einen besonderen Wert“, sagt Bjerke, der die Umsetzung des Titels „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ koordiniert.

Die gemeinsame physische Erfahrung an einer Gedenkstätte zusammen mit auch unbekannten Gleichaltrigen setze individuelle Prozesse und Zugänge zur Geschichte in Gang, erläutert Bjerke. Im vergangenen Jahr führte die Gedenkstättenfahrt die Schülerinnen und Schüler auf den größten deutschen Soldatenfriedhof außerhalb Deutschlands in Ysselsteyn in den Niederlanden.  

Interesse der 15- bis 18-Jährigen an Geschichte ist „riesig“

„Die Lerngruppe erforschte Einzelschicksale, um sich der Frage der individuellen Schuld und Verantwortung nähern zu können, diskutierte über die Bedeutung für die Hinterbliebenen, die Nachwelt, die Sinnhaftigkeit solcher auch kontrovers gesehenen Orte“, berichtet Béatrice Smolka. Körperliche Arbeit gehörte auch zum dreitägigen Programm in Ysselsteyn. „Am zweiten Tag wurden Gräber geputzt, wobei sich schon das eine oder andere Gespräch darüber ergab, wer da wohl liegen mag.“

Persönliche Zugänge lassen Geschichte greifbarer werden. Die nationalen Wurzeln werden dann unerheblich. Und wer zuhause nachfragen kann, der tut das in der Regel auch. „Lebende Zeitzeugen gibt es nur noch wenige“, bedauert Schreck.

Viele Grabkreuze.

Die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn: Fast 32.000 Menschen sind hier bestattet.

Das Interesse am Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg ist nach der Erfahrung der Geschichtslehrkräfte bei den Schülerinnen und Schülern ausgeprägt. Um den Wahrheiten in der Familie auf die Spur zu kommen, sei der Abstand jetzt groß genug. Die jungen Menschen trauten sich, zuhause Fragen zu stellen. „Dieses Narrativ, dass wir in Deutschland haben, dass die allermeisten im Widerstand waren, das ist etwas, was ich schon problematisiere“, sagt Schreck. „Und ich spreche natürlich auch darüber, was unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist, dass nämlich ein Deckmantel des Schweigens darübergelegt worden ist und dass unglaublich viele Unterlagen vernichtet worden sind.“

Ein Vielzahl von Kreuzen

Kriegsgräbergedenkstätte Ysselsteyn

Die aktuellen politischen Entwicklungen – das Erstarken von rechtem und populistischem Gedankengut, die Angriffe auf die Demokratie – beschäftigten, so Schreck, viele Schülerinnen und Schüler. Das liege auch daran, dass sie viele Parallelen sehen zwischen den Verhältnissen und der Rhetorik, die zur Machtübernahme durch Hitler führten und den aktuellen politischen Entwicklungen. „Da ist das Interesse riesig“, stellt Geschichtslehrerin Schreck mit Blick auf die 15- bis 18-Jährigen fest.

Sie höre, dass die Schülerinnen und Schüler besorgt seien – um sich oder um Freunde, die einen Migrationshintergrund haben oder queer sind. „Die sagen, wir haben Angst.“ Geschichtsbewusstsein könne Antworten liefern, ist Christina Schreck überzeugt: „Ich glaube, es gibt wenig bessere Möglichkeiten, zukünftige Fehler zu verhindern."


Inklusive Erinnerungskultur

Das Buch „Ehrensache - Kämpfen gegen Judenhass “von Burak Yilmaz beschreibt, wie der Pädagoge mit muslimischen Teenagern Fahrten nach Auschwitz unternimmt und welche Reaktionen dies bei den Jugendlichen auslöst.

Yilmaz, 1987 als Sohn türkisch-kurdischer Eltern in Duisburg geboren, wurde für sein vielfältiges Engagement gegen Antisemitismus und für eine inklusive Erinnerungskultur mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.