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Projekt der Aidshilfe KölnWarum am Heumarkt 76 Grablichter stehen

Lesezeit 3 Minuten
Vor dem Eingang zum Café Bach an der Haltestelle Heumarkt stehen 76 Grablichter.

Vor dem Eingang zum Café Bach an der Haltestelle Heumarkt wurden 76 Grablichter sowie eine Infotafel platziert.

Im letzten Jahr sind im Regierungsbezirk Köln 76 Menschen in Verbindung mit dem Konsum illegalisierter Drogen verstorben. Am Freitag wurde an sie erinnert.

„Männlich, Köln, Grünanlage“, „Weiblich, Köln, Wohnung“ - auf einigen Kerzen steht das Geschlecht und der Ort, an dem die Drogenkonsumentinnen und -konsumenten gestorben sind. 76 Grablichter an der KVB-Haltestelle Heumarkt, direkt vor der Kölner Aidshilfe, erinnern am Freitag an die 76 Drogentoten im Regierungsbezirk Köln im vergangenen Jahr. „Hinter jedem Todesfall steht ein ganzes Leben, eine ganze Geschichte, das darf man nicht vergessen“, sagt Torben Beimann von der Kölner Aidshilfe. Es gebe eine Familie und Menschen, die sich Sorgen gemacht haben, und jetzt um den Verlust trauern. Auch für die Angehörigen ist heute ein Tag des Erinnerns.

Der internationale Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende findet jedes Jahr am 21. Juli statt. 1990 Drogentote gab es 2022 in Deutschland, im Kölner Stadtgebiet waren es 69, die entweder an einer Überdosis, den Folgen des Langzeitgebrauchs, durch Suizid oder einen Unfall gestorben sind. Im Durchschnitt sind die Verstorbenen 44 Jahre alt. „Wir wollen auf die Zahl aufmerksam machen“, sagt Beimann. An interessierte Passanten wurden zudem 76 Rosen verteilt.

Bedarf bei der „Chemsex“-Beratung

Die Aidshilfe unterstützt konsumierende Menschen mit vielfältigen Angeboten, von der Beratung oder betreutes Wohnen, über einen kostenlosen Spritzentausch und die Befüllung von sechs Spritzenautomaten in Köln, bis zur Begleitung von Substitutionstherapien. Aktuell bestehe großer Bedarf im Bereich der „Chemsex“-Beratung, sagt Beimann. Der Gebrauch von Drogen vor oder während des Geschlechtsverkehrs zwischen Männern stelle eine große gesundheitliche Bedrohung dar. „Wir haben inzwischen eine Förderung für diesen Bereich bekommen und vermitteln auch Therapieplätze.“

Zugänge zu lebensrettenden Maßnahmen werden laut Aidshilfe erheblich erschwert durch die Illegalisierung des Konsums. „Bei uns wird niemand in die Abstinenz gedrängt“, so Beimann. Wichtig sei die Auseinandersetzung mit dem Konsum und eine Selbstbestimmtheit bei der Einnahme von Drogen. „Wir fordern für Köln ein so genanntes ‚Drug Checking‘“, sagt Beimann. Bei dieser kostenlosen Substanzanalyse, die es in Deutschland bisher nur in Berlin gibt, können Konsumentinnen und Konsumenten ihre Substanz auf Verunreinigungen prüfen und so eine informierte Entscheidung treffen. Eines der wichtigsten Projekte sei auch die Fahrradwerkstatt 180 Grad in Kalk, in der 15 akut Drogen konsumierende Menschen arbeiten.

Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung zu Gast in Köln

Zum Gedenktag für verstorbene Drogengebraucherinnen und Drogengebraucher besuchte auch der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, den Drogenkonsumraum und die Substitutionsambulanz des Gesundheitsamtes, um sich einen Eindruck von der Arbeit vor Ort zu verschaffen. „Das Kölner Suchthilfeangebot zeigt, wie niedrigschwellige und schnelle Hilfen direkt bei Menschen mit problematischem Drogenkonsum – auch und insbesondere im öffentlichen Raum – ankommen können. Das ist Suchthilfe, wie ich sie mir wünsche: Sie entstigmatisiert und verbessert zugleich die Konsumbedingungen für die Betroffenen. Deshalb müssen wir ­– wie am Freitag in Köln – offen und ehrlich über Drogenkonsum, über wirksame Prävention und bessere Suchthilfe sprechen“, sagt Burkhard Blienert.


Gedenktag am 21. Juli

Der Gedenktag findet am 21. Juli statt, weil an diesem Tag im Jahr 1994 ein junger Drogenkonsument namens Ingo Marten verstarb. Seiner Mutter Karin gelang es mit großem persönlichen Einsatz und mit Unterstützung der Stadt Gladbeck, die damals erste Gedenkstätte für verstorbene Drogenabhängige in Deutschland einzurichten. Seitdem wird dort jedes Jahr am Todestag aller Menschen gedacht, die durch den Konsum illegaler Drogen gestorben sind. Mittlerweile nehmen mehr als 90 Städte daran teil.

Die Zahl der bundesweiten Drogentoten erreichte 2021 mit 1.826 Menschen den höchsten Stand seit 20 Jahren. In Köln waren es 2021 laut Polizeistatistik insgesamt 73 Drogentote, im vergangenen Jahr 69.