In der Corona-Pandemie gehörte Kölns Gesundheitsamtsleiter Dr. Johannes Nießen zu den wichtigsten Krisenmanagern der Stadt – nun endet sein Amt – und die nächste Aufgabe wartet bereit.
Kölns Amtsleiter im Interview„Wir wollten viel - Dass es zu viel war, haben wir dann gemerkt“

Büro mit Domblick: Gesundheitsamtsleiter Dr. Johannes Nießen
Copyright: Costa Belibasakis
Herr Nießen, wie viele Überstunden haben Sie während der Corona-Pandemie angesammelt?
Allein durch die Bereitschaftsdienste könnte ich jetzt drei Monate zu Hause bleiben.
Wie sind Sie mit der Belastung klargekommen?
Ich habe eine ererbte hohe gesundheitliche Resilienz. Dafür bin ich dankbar. Sonst würde man das nicht durchstehen. Aber der Job ist keiner, in dem man die Stunden zählt. Es geht um die Verantwortung, der man gerecht werden muss.
Johannes Nießen: Gemischte Gefühle zum Abschied
Mit welchen Gefühlen werden Sie Ihr Büro am Freitag verlassen?
Ich bin traurig, dass ich das Kölner Gesundheitsamt verlassen werde. Aber es war eine tolle Zeit. Mit allen, die hier arbeiten und der gesamten Stadtverwaltung, haben wir die Pandemie so gut es geht bekämpft. Auch gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzt*innen und den Kliniken. Das war ein Schulterschluss, den ich so vorher aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst nicht kannte.
Im Sommer 2019 haben Sie Ihr Amt angetreten. Wie sahen die Pläne damals aus?
Köln hat das größte Gesundheitsamt der Republik. Alles, was ich vorher in Bonn und in Hamburg erlebt habe, das hatte hier noch einmal eine größere Dimension. Öffentlicher Gesundheitsdienst vom Feinsten – das hat mich gereizt. Acht Monate lief dann ja auch alles nach Plan.

Dr. Johannes Nießen, hier im April 2020, zu Beginn der Pandemie.
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Doch dann wurden Sie über Nacht zu einem der wichtigsten Krisenmanager.
Die Nachricht der ersten stationären Corona-Patientin kam am 28. Februar 2020. Ich habe mir beim Hausmeister eine Matratze organisiert und die Nacht hier verbracht.
Wie viele Nächte im Gesundheitsamt kamen danach noch dazu?
Das war tatsächlich die einzige Nacht. Aber wir haben auch samstags und sonntags von 8 bis 22 Uhr mitgearbeitet. Wir haben Tag- und Nachtschichten geschoben und haben die Kölnerinnen und Kölner so gut wir konnten mit mehr als 1600 Mitarbeitenden in der Hochphase beraten und betreut.
Kamen Sie direkt klar mit der Rolle als Krisenmanager?
Der öffentliche Gesundheitsdienst war ein bisschen in Vergessenheit geraten. Dann auf einmal aus der hinteren Reihe nach vorne zu dürfen, war schon eine Herausforderung. Ich habe gelernt, dass es oft auf die richtigen Worte ankommt – vor allem im Umgang mit den Medien.
Gesundheitsamtsleiter: Aus dem Hintergrund an die Front
Sie haben in der Pandemie viele Dinge anders gemacht als andere Städte.
Wir haben viel neu gedacht. Das ging so weit, dass wir mit der Bundeskanzlerin über Videoschalte hier im Büro sprachen und wir erklären durften, wie wir die Digitalisierung in der Pandemiebekämpfung vorangetrieben haben.
Auf welche Innovationen sind sie besonders stolz?
Wir haben bei der Stadt Köln eine eigene Software für das digitale Kontaktmanagement entwickelt, die jetzt auch für andere Gesundheitsämter interessant wird. Am Anfang hatten wir noch Einkaufswagen voller Ordnungsverfügungen, die wir rausschicken mussten. Zwei weitere Highlights sind für mich die Impfungen für vulnerable Gruppen in den Stadtteilen und das Abwassermonitoring.
2021 wurden Sie in den Expertenrat der Bundesregierung berufen. Eine schöne Belohnung für Ihre Arbeit?
Diese Aufgabe habe ich sehr gerne gemacht. Als ich den Anruf aus dem Kanzleramt bekommen habe, dachte ich erst, jemand hätte sich verwählt. Zusammen mit Dr. Jörg Dötsch und Professor Christian Karagiannidis haben wir Köln dort gut vertreten.
Was für einen Ruf hatte Köln in diesen Kreisen?
Köln hat sich in der Pandemiebekämpfung einen sehr guten Ruf erarbeitet. Wir haben verschiedene Themen gesetzt, die auf nationaler Ebene Interesse hervorgerufen haben und zum Teil auch übernommen wurden.
Wir wollten viel. Dass es zu viel war, haben wir dann gemerkt. Dann mussten wir einen Gang zurückschalten.
Es lief aber auch nicht alles rund. In der Hochphase der Pandemie kamen Sie mit der Kontaktverfolgung nicht hinterher. Es gab viel Kritik.
Das ist nachvollziehbar. Aber die Pandemie hat uns dermaßen gefordert, dass wir überfordert waren – das ging fast allen Kommunen so. Wir haben so lange Kontakte nachverfolgt wie kaum ein anderer. Dann mussten wir zugeben, dass wir es nicht mehr schaffen, auch wenn das nicht schön war.
Auch die Virusvarianten wurden lange genau analysiert, irgendwann dann nicht mehr. Wollten Sie manchmal zu viel?
Wir wollten viel. Dass es zu viel war, haben wir dann gemerkt. Dann mussten wir einen Gang zurückschalten. In Köln haben wir sehr lange analysiert, aber das Virus hat sich sehr schnell verändert. Wir mussten dann erkennen, dass man seine Ansprüche manchmal auch regulieren und andere Lösungen finden muss.

Dr. Johannes Nießen im Januar 2021 mit dem Corona-Impfstoff
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Anfang 2022 verabreichten Impfteams rund 2000 Dosen abgelaufenen Impfstoff. Wie bewerten Sie die Impfpanne heute?
Das war sehr misslich. Das passiert einmal und hoffentlich nicht wieder. Wir haben es ja dann auch nach außen getragen und mussten die Wahrheit auf den Tisch legen. Und alle Betroffenen haben ein neues Impfangebot bekommen.
Gab es ansonsten Dinge, die nicht gut gelaufen sind?
Die Umsetzung der Schutzmaßnahmen würde ich mir beim nächsten Mal noch koordinierter wünschen. Wenn am Freitagabend von der Landesregierung eine Verordnung kam, die am Samstag schon galt, war das vom Tempo nicht zu halten.
Johannes Nießen: Mahner bis zum Schluss
Auch als kaum jemand mehr über Schutzmaßnahmen geredet hat, gehörten sie zu den Warnern. Vor dem Elften Elften haben Sie etwa das Feiern mit Maske empfohlen. Wird man da nicht irgendwann müde?
Vorsicht hat noch nie geschadet. Lieber einmal zu vorsichtig als einmal unvorsichtig. Der Elfte Elfte war eine besondere Situation. Es war das erste Karnevalsfest ohne Maske, wir hatten hohe Inzidenzen. Ich verstehe aber auch, dass die Menschen nach drei Jahren Pandemie müde sind. Aber unser Job ist ja nicht, müde zu sein, sondern auch weiter darauf hinzuweisen, dass die Gefahr nicht aus der Welt ist.
Tragen Sie noch manchmal Maske?
Ich fahre viel Bahn. Wenn jemand in meiner Nähe anfängt zu husten, ziehe ich mir eine Maske an.
Halten Sie es für möglich, dass das Coronavirus noch einmal richtig zuschlägt?
Momentan sieht es nicht so aus. Sollte es noch einmal eine ganz andere Variante geben, sind wir mit dem, was wir erlebt haben, gut aufgestellt.
Was waren die wichtigsten Nicht-Corona-Themen in Ihrer Amtszeit?
Das Gesundheitsamt ist nicht nur ein Corona-Amt. Der Klimaschutz und der Hitzeaktionsplan ist ein großes Thema. Wir haben in diesem Sommer das Hitzetelefon installiert. Damit haben wir viele Ältere erreicht, denen wir Hitzetipps geben konnten. Auch auf der Schildergasse haben wir viele Menschen angesprochen, Trinkflaschen und Fächer verteilt. Ebenso haben wir die Versorgung von Suchtkranken erweitert mit dem Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt und den Anonymen Krankenschein auf den Weg gebracht, damit wir uns um Menschen ohne Krankenversicherung kümmern können.
Gesundheitsamt ist nicht nur Corona-Amt
Ihre Arbeit war stark von äußeren Einflüssen geprägt. Hätten Sie sich gewünscht, noch mehr eigene Themen setzen zu können?
So gut es ging, haben wir das getan. Wir gehen wieder in die Schulen und versuchen, Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen Hilfe anzubieten. Durch Corona hat sich da vieles aufgestaut. Für Ältere Menschen haben wir den Aktionstag „fit & mobil im Alter“ im Gürzenich veranstaltet, gemeinsam mit der Volkshochschule haben wir die Kölner Gesundheitsgespräche installiert.
Was werden die größten Herausforderungen für Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin?
Köln ist eine Großstadt, aber anders als in Berlin, wo es zwölf Gesundheitsämter gibt, gibt es hier nur eins. 450 Mitarbeiter wollen verstehen, in welche Richtung es geht. Transparenz ist also wichtig, genauso wie Freundlichkeit. Eine gute Zusammenarbeit mit der ganzen Stadtverwaltung und den freien Trägern ist ebenfalls nötig, um die öffentliche Gesundheit positiv zu beeinflussen. Und wenn man die Ergebnisse dann auch noch NRW- und bundesweit hinaustragen kann, dann hat man seinen Job gut verstanden.
Zur Person
Johannes Nießen (66) übernahm im Sommer 2019 die Leitung des Kölner Gesundheitsamts. Zuvor leitete der gebürtige Leverkusener ab 1995 zuerst das Gesundheitsamt in Hamburg-Eimsbüttel und ab 2002 das Gesundheitsamt im Bezirk Altona. Hier koordinierte er ab 2015 auch die medizinische Flüchtlingsversorgung der Stadt. Ende 2021
Ursprünglich hatte Nießen angekündigt, im Frühjahr 2024 in Ruhestand zu gehen. Doch ein Anruf aus dem Bundesgesundheitsamt änderte seine Pläne. Nießen soll die Transformation der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit als Projektleiter begleiten. Diese Transformation ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben, Nießens Aufgabe soll mit Ende der aktuellen Legislaturperiode 2025 abgeschlossen sein. Eine spannende Tätigkeit, die er sehr gerne übernehme, findet Nießen.
Ab der kommenden Woche übernimmt die stellvertretende Gesundheitsamtsleiterin, Dr. Sybille Scharkus, die kommissarische Führung am Neumarkt. Ein Nachfolger für Nießen ist noch nicht gefunden. Das Verfahren läuft, einen geplanten Zeitpunkt für die Neubesetzung teilt die Stadt nicht mit.