Ford-Betriebsrat Hans Lawitzke nahm kein Blatt vor den Mund, als er auf einer SPD-Veranstaltung über die Lage im Kölner Werk sprach.
Betriebsrat redet KlartextWie es wirklich um Ford in Köln bestellt ist

Tausende Ford-Mitarbeiter forderten beim großen Streik am 14. Mai eine Zukunftsperspektive für das Kölner Werk.
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Hat Ford noch eine Zukunft? Diese Frage treibt die 11.500 Beschäftigten in Köln seit Monaten um. Am 14. Mai gab es einen großen Streik im Werk. Der Konzern will weiter Stellen streichen, die Aussichten sind düster. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Darüber hat Ford-Betriebsrat Hans Lawitzke auf einer SPD-Veranstaltung in Chorweiler vor rund 300 Menschen gesprochen – und Tacheles geredet. Ungeschminkt schilderte er die Lage aus Sicht der Betroffenen. Wir haben zugehört.
„Die Situation ist bei uns wirklich extrem schwierig. Seit sieben Jahren schrumpft der Ford-Konzern gezielt und absichtlich das Pkw-Geschäft in Europa runter. Das ist eine Abkehr von der Idee, mit der Henry Ford die Firma einmal groß gemacht hat“, betont Lawitzke. Er sagt: „Wir wollen keine Autos mehr bauen, die sich jeder leisten kann. Das heißt, die Firma will das nicht mehr. Wir Arbeitnehmer würden das schon wollen. Die Firma will das nicht mehr.“
Stattdessen setze Ford darauf, „ikonische Fahrzeuge zu verkaufen, was immer das sein mag. Wahrscheinlich die mit den schicken Namen wie Mustang und Bronco. Das sind vor allen Dingen große, teure Autos. SUVs überwiegend, die sich zumindest die Menschen, die bei uns am Band stehen, gar nicht mehr leisten können.“ Die beiden Elektroautos, die man jetzt in Köln baue, würden zwischen 40.000 und 60.000 Euro kosten, so Lawitzke.
Ford baute früher achtmal so viele Autos in Köln
Das sei viel Geld und auch der Grund, warum sie sich nicht gut verkaufen würden. Aber was jetzt bei Ford passiere, sei ohnehin „nur der letzte Akt in einem Stück, das schon eine Weile läuft. Wir haben hier in Köln nach der Bankenkrise, Eurokrise, so ab 2010 bis 2015 jedes Jahr fast 400.000 Autos gebaut, in einem Jahr sogar ein bisschen mehr. 400.000 Fiestas pro Jahr. Jetzt bauen wir Elektroautos. Wenn man die Verkaufszahlen von den ersten vier Monaten nimmt, läuft das auf etwa 50.000 Autos im Jahr raus. 50.000 statt 400.000. Das macht Stress.“

Hans Lawitzke, europäischer Ford-Betriebsrat, bei seiner Rede auf dem SPD-Parteitag in Chorweiler
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In Europa habe Ford vor gut zehn Jahren noch 15 verschiedene Pkw-Modelle auf dem Markt gehabt und etwa 1,25 Millionen Pkw verkauft pro Jahr, so Lawitzke. „Wir sind jetzt noch bei fünf Autos. Und der Focus läuft im November aus. Dann sind es noch vier. Wir haben letztes Jahr in Europa keine 400.000 Autos mehr verkauft. So viele haben wir früher allein in Köln gebaut.“
Das zeige, wie sehr das Ford-Management bei der Strategie versagt habe. „Und wir löffeln jetzt die Suppe aus.“ Es gebe „keine Ideen für neue Produkte, keine neuen Investitionen, keine Überarbeitung unserer Innovationsprozesse, gar nichts“. Das Einzige, was der Firma einfalle, sei: Kosten senken. Und das heiße in aller Regel: Menschen raus. „Das Top-Management hat seit mindestens zehn Jahren ganz wichtige Sachen völlig verpennt“, unterstreicht Lawitzke.
Ford-Betriebsrat: Produktentwicklung wird fast vollständig abgebaut
Schon 2017 habe der Betriebsrat gefordert, „dass wir dringend ein Angebot für Elektromobilität brauchen und dass die Firma da Geld reinstecken muss, das zu entwickeln. Ist nicht passiert. Deswegen konnten wir ja in Köln nicht auf eine eigene Plattform setzen, sondern mussten die VW-Plattform nutzen, was uns jetzt die Marge noch weiter kaputt macht, weil wir relativ teuer von VW einkaufen.“
Nun stelle sich die Frage: „Gibt es überhaupt eine Perspektive, wenn wir ehrlich sind? In der Produktentwicklung ist nichts zu sehen“, sagt der Gewerkschafter. Bei der letzten großen Personalabbauwelle vor zwei Jahren habe Ford sich verpflichtet, „uns Arbeit zu schaffen, Entwicklungsaufträge, Fertigungsaufträge, alles Mögliche. Die deutsche Geschäftsführung war damals in den USA und hat sich das unterschreiben lassen, aber es ist keine Arbeit gekommen.“ Stattdessen sei die nächste Welle an Stellenstreichungen eingeläutet worden.
Das Schlimmste sei, so Lawitzke, „dass gerade die Bereiche, die wir für die Zukunft brauchen, am heftigsten abgebaut werden. In der Produktentwicklung werden gerade die Softwareentwicklung, Sensorik und Assistenzsysteme fast vollständig weggestrichen. Was soll denn dann, bitte schön, noch kommen?“
Gewerkschaft will weiter für den Ford-Standort Köln kämpfen
Zudem habe Ford Anfang März die Insolvenzsicherung für die deutschen Werke aufgekündigt. „Das heißt, jetzt verhandeln wir über Abfindungen und einen Sozialtarifvertrag in einer Situation, wo die deutsche Tochter technisch völlig überschuldet ist, absehbar keine Gewinne generiert und wir quasi jedes Jahr in die USA betteln gehen müssen: Gibt es dieses Jahr noch mal Geld, um die Insolvenz zu vermeiden?“
Weil im Werk Kündigungsschutz bis 2032 gelte und dieser Vertrag unkündbar sei, verlange Ford jetzt vom Betriebsrat: „Wenn ihr mit den mickrigen Abfindungen nicht zurechtkommt, sondern mehr wollt und die Insolvenz nicht wollt, dann müsst ihr jetzt den Kündigungsschutz mit uns gemeinsam aufheben. Das ist an Dreckigkeit schwer zu überbieten, das ist totaler Vertragsbruch.“
Aber der Betriebsrat werde nicht aufgeben, kündigt der Gewerkschafter an: „Wir kämpfen gemeinsam weiter für eine Zukunft von Ford in Köln. Wir bleiben Ford.“
Zur Person
Hans Lawitzke (61) ist Sekretär des Europäischen Ford-Betriebsrats und stellvertretender Vertrauenskörperleiter der IG Metall bei den Kölner Ford-Werken. Der gebürtige Kölner arbeitet seit 1992 bei Ford. Er hat Informatik studiert und bis 2006 das Rechenzentrum von Ford Deutschland in Köln geleitet. Seitdem ist er als Betriebsrat tätig. Lawitzke ist verheiratet und wohnt in Köln-Merkenich. (fu)