Brüsseler PlatzKölner Arzt sieht Gesundheitsrisiko für Anwohner

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Schon seit Jahren ist die Lärmbelastung am Brüsseler Platz ein großes Thema für die Anwohner.

  • Die Lärm-Gegner wollen nicht länger warten und machen nun Tempo vor Gericht.
  • Für die Übergangszeit bis zum Gerichtsurteil wurden nun Maßnahmen beantragt.
  • Bis Mitte Juni hat die Stadt nun Zeit, Stellung zu beziehen.

Köln – Die lärmgeplagten Anwohner am Brüsseler Platz wollen sich nicht mit dem langen Warten auf ein Gerichtsurteil abfinden und versuchen nun das Tempo zu erhöhen. Ihr Anwalt Wolfram Sedlak hat am 10. Mai einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) eingereicht – er begründet die Dringlichkeit mit erheblichen gesundheitlichen Risiken für einen Anwohner, wenn der Lärm zwischen 22 und 6 Uhr über den erlaubten 60 Dezibel liegt. Dabei handelt es sich laut Sedlak um die gesicherte, gesundheitsgefährdende Schwelle der Rechtsprechung.

Ein Verweilverbot am Brüsseler Platz als Option

Zu diesem Urteil kommt der Kölner Arzt Professor Dr. Thomas Kurscheid. Er beruft sich auf verschiedene Gutachten (siehe auch Info-Kasten), die einen Zusammenhang zwischen nächtlichem Lärm und gesundheitlichen Risiken sehen. „Das permanente Stresshormonfeuer führt zu Bluthochdruck und kann langfristig zu einem Schlaganfall oder Herzinfarkt führen“, sagte Kurscheid der Rundschau. Zumal, wenn der Betroffene wie in diesem Fall vorgeschädigt und etwas älter ist.

Gibt das Gericht dem Antrag statt, muss die Stadt Köln sofort für eine Übergangszeit Maßnahmen ergreifen, um die Anwohner vor dem Lärm zu schützen – bis das OVG nach dem eigentlichen Verfahren ein Urteil spricht. Bis Mitte Juni hat die Stadt Zeit, Stellung zu beziehen. Die Verwaltung konnte eine entsprechende Anfrage der Rundschau am Montag nicht beantworten. Laut einer OVG-Sprecherin gibt es keine Frist für ein Urteil, es ist also offen, wann das Gericht entscheidet.

Wie die Rundschau am 14. März berichtet hatte, hat das OVG noch nicht mal einen Termin für das ursprüngliche Verfahren angesetzt – obwohl das Verwaltungsgericht Köln schon am 17. Mai 2018 die Stadt verpflichtet hat, die Gesundheit ihrer Bürger zwischen 22 und 6 Uhr zu schützen. Richter Michael Huschens nannte seinerzeit unter anderem ein Verweilverbot für den Brüssler Platz. Wie das konkret aussehen soll, ist laut Huschens Aufgabe der Stadt.

Die ging gegen das Urteil in Berufung, um Rechtssicherheit zu erhalten, laut Stadtdirektor Stephan Keller handelt es sich dabei um einen „massiven Eingriff in die Grundrechte“. Aber wie im März gibt es auch jetzt nicht mal einen Termin für den Prozess, die Kammer ist überlastet aufgrund der Verfahren um die möglichen Diesel-Fahrverbote. Möglicherweise beginnt der Prozess nicht 2019 – die fünf Kläger fühlen sich auf die lange Bank geschoben. Unter anderem Anwohner Dieter Reichenbach sagte: „Die Justiz lässt uns und die weiteren Kläger vom Brüsseler Platz letztlich im Stich.“ Seit 2005 hat sich der Platz zum beliebten Treffpunkt entwickelt.

Wie schädlich ist Lärm?

Das Urteil des Umweltbundesamt ist eindeutig: „Die Frage ist also nicht mehr, ob Lärm krank macht, sondern in welchem Ausmaß.“ Der Zusammenhang zwischen Lärm und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt sei belegt. Nächtlicher Lärm verändert die Schlafstruktur, führt zu vermehrten Aufwachreaktionen sowie stärkerer Ausscheidung von Stresshormonen und erhöhten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Tinnitus.

Die Weltgesundheitsorganisation hat sogar empfohlen, dass nachts der Mittelungspegel die 40 Dezibel nicht überschreiten sollte, „um nachteilige Gesundheitseffekte zu vermeiden“.

45 Dezibel sind nachts am Brüsseler Platz erlaubt, 60 am Tag. Seit dem Weltjugendtag der katholischen Kirche im Jahr 2005 hat sich der Brüsseler Platz zum beliebten Treffpunkt entwickelt. Die Stadt hat viel versucht, aber nichts half: Der Aachener Weiher als Alternative, weniger Licht oder „Pst“-Plakate.

Aktuell versucht das Ordnungsamt ab 22 Uhr, dass die Menschen den Platz bis 24 Uhr verlassen – und zwar an Feiertagen, Samstagen und vor gesetzlichen Feiertagen zwischen April und Oktober. (mhe)

Laut Gerd Fest, Kölner Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht, ist der einstweilige Rechtsschutz der einzige Hebel, um Tempo zu machen. Fest sagt: „Man muss überlegen, wie man nach vorne kommt. Nur was man versucht, kann auch klappen.“ Es geht in dieser Frage auch darum, ob Recht haben und Recht bekommen miteinander vereinbar sind. Und es geht auch darum, wie die Stadt tatsächlich im Alltag sicherstellen kann, dass die Anwohner ihre Ruhe haben.

An warmen Abenden versammeln sich dort teils mehrere hunderte Menschen, bei der „Tour Belgique“ Ende April 2018 beispielsweise waren es 2000. Für sich genommen sind sie nicht zu laut, „erst in der Summe wird das zum Problem“, sagte Richter Huschens, die „Situation ist gesundheitsgefährdend“. Laut Kurscheid merken die Betroffenen es gar nicht immer, dass der Lärm sie aus dem Tiefschlag reißt, doch am Morgen sind sie trotz vieler Stunden Schlaf gerädert. Die Gesundheitsgefährdung besteht sogar, wenn niemand auf dem Platz anwesend ist, die Gegend sei generell zu laut – so hat es Richter Huschens voriges Jahr festgestellt.

Doch die Stadt sieht große Probleme, wenn sie tatsächlich den Platz räumen muss, Keller sagte: „Es wäre naiv zu glauben, dass so viele Menschen einfach den Platz verlassen, weil das jemand vom Ordnungsamt fordert.“

In einer vorherigen Version des Artikels haben wir den Anwalt Wolfgang Sedlak und nicht Wolfram Sedlak genannt. Und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bezieht sich auf die Dezibel-Grenze von 60 und nicht 45. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.

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