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Caya-Praxis in Köln-MülheimHier wird auch Obdachlosen und Unversicherten geholfen

Lesezeit 5 Minuten
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 Es braucht Zeit, Vertrauen  aufzubauen:  Mark Oette im Gespräch mit einem Patienten. 

Köln – Die Frau im lilafarbenen Kittel freut sich, das sieht man ihr an. In der halboffenen Praxistür steht ein kräftiger Mann. Er zögert. Krankenschwester Andrea Schmitz begrüßt ihn herzlich, seine Miene hellt sich auf, und er kommt dann doch ganz rein in die Caya-Praxis, wo sich mit Ärztin Neele Herweg-Steffens gleich noch jemand freut, ihn zu sehen. Norman K. (Name geändert) ist Mitte 50 und hat eine Hautkrankheit, die dringend behandelt werden muss.

Anmeldung am Tresen, langes Warten auf engem Raum, abwertende Blicke? Nichts davon gibt es in der Caya-Praxis am Rand des Mülheimer Stadtgartens.

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Neele Herweg-Steffens ist Ärztin im Team.

Sie ist für alle offen, für Menschen, die auf der Straße leben müssen, die keine Krankenversicherung haben oder als Geflüchtete keine Papiere. „Zu uns kann jeder so kommen, wie er ist. Wir freuen uns, wenn die Menschen uns vertrauen und sich von uns behandeln lassen“, sagt Mark Oette, Chefarzt im Severinsklösterchen und zweimal in der Woche Arzt in der Caya-Praxis, die er gegründet hat. Caya, das heißt „Come as you are – Komm wie Du bist“.

Auf Spenden angewiesen

Kaum älter als 50 Jahre würden obdachlose Menschen im Durchschnitt, so Mark Oette. Auch deshalb, weil sie teils keinen Zugang zu einer guten und kontinuierlichen hausärztlichen Versorgung hätten. Deshalb eröffnete er am 1. Mai die Praxis „Caya“ am Stadtgarten nahe des Wiener Platzes. Sie ist das erste Angebot ihrer Art im Rechtsrheinischen Köln.

Die Räume stellt die Initiative „Arche für Obdachlose“ zur Verfügung.

Durch Spenden finanziert werden Medikamente und medizinisches Material. Wer mehr über die Praxis erfahren oder sie mit einer Spende unterstützen möchte, findet weitere Informationen auf der Caya- Internetseite.

Geöffnet ist die Praxis, Bergischer Ring 40, montags bis freitags von 13 bis 16 Uhr. Sie steht allen Menschen ohne Terminvereinbarung offen.

Der nächst Patient, der gekommen ist, hat eine große Wunde am Unterschenkel. Sie war von Maden befallen. „Mein Bein war schon ganz schwarz“, sagt Ulrich J. (Name geändert). „Die Schwester hier hat das wieder hingekriegt. Die hat sie alle einzeln rausgeholt und mein stinkendes Bein jeden Tag gesäubert und verbunden. Hier fühlt man sich willkommen, auch mit so einer Wunde.“

Andrea Schmitz nimmt den großen Mann von der Seite fest in den Arm. Jeden Tag kommt er aus Dellbrück mit der Bahn zum Wiener Platz. Sein Bein ist jetzt nicht mehr schwarz, die Wunde unter dem dicken Verband wächst langsam zu, sie heilt.

Seit gut fünf Monaten gibt es die Praxis; gut 90 Patienten und Patientinnen stehen in ihrer Kartei. „Da ist sehr viel für die kurze Zeit“, freut sich das Caya-Team. Denn viele Menschen ohne festen Wohnsitz würden aus Scham oder wegen schlechter Erfahrungen gar nicht zum Arzt gehen. Anderen fiele es schwer, jeden Tag zu kommen, etwa um ein Antibiotikum zu nehmen. „Deshalb ist es sehr gut, dass wir Teil der ,Arche’ sind“, sagt Oette. „Hierher kommen die Menschen, um zu essen oder sich aufzuwärmen. Und zur Praxis sind es nur ein paar Schritte über den Flur.“

Die „Arche für Obdachlose“, das sind zehn zusammenhängende Container, in denen es Aufenthaltsräume, Toiletten, Duschen, eine Waschmaschine, eine Kleiderkammer und mittags eine günstige warme Mahlzeit gibt. Und eine Beratung des SKM, die Menschen dabei hilft, wieder Teil des Sozialsystems zu werden und die ihnen zustehenden Unterstützung zu bekommen.

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Mit Leib und Seele dabei ist Krankenschwester  Andrea Schmitz, hier bei der Kontrolle einer Wunde.

Gerade hat die Sozialarbeiterin aber etwas anderes zu tun. Eine sehr dünne Frau wird von einer Polizistin begleitet. Sie hatte sich an die Beratung gewandt, weil ihr Lebensgefährte sie nicht mehr in die Wohnung ließ. Zwei Beamte aus Mülheim gingen mit ihr, jetzt hat sie wieder Geld und Kleidung. Und einen Platz in einem Frauenhaus.

„Den konnte ich ihr gerade telefonisch reservieren. Sie hat großes Glück, es war der letzte freie“, sagt die Sozialarbeiterin und schickt die junge Frau mal kurz rein in die Caya-Praxis. Man kennt sich. Hier macht sie freiwillig einen Test, der ihren Blutalkohol anzeigt. Die Polizistin wird mit ihrem Vornamen verabschiedet. Und mit einem herzlichen Danke für die Hilfe.

Viele Patienten haben Mangelsymptome

„Viele unserer Klienten sind alkoholabhängig, viele haben durch einseitige Ernährung Mangelsymptome und so geringere Abwehrkräfte und eine schlechte Wundheilung“, schildert Oette. Auch Diabetiker werden in der Praxis regelmäßig versorgt, denn sie haben oft chronische Wunden an den Füßen, die sich schnell entzünden.

Auf einem Stuhl im Flur vor der Praxis wartet der nächste Patient. Er hat sich vorausschauend auf die Untersuchung vorbereitet, seine lange Hose schon mal ausgezogen und sich ein Handtuch umgebunden. Damit es schneller geht. Er kommt zweimal in der Woche, hat große Hautprobleme. Die Besprechung mit der Ärztin lässt er aus, geht sehr aufgewühlt schon mal durch ins Behandlungszimmer. Krankenschwester Schmitz redet ruhig mit ihm, schafft es, dass er sich hinlegt und behandelt werden kann.

Viele Erkankte wollen erstmal nur reden

„Wir wollen nicht mit niedergelassenen Ärzten konkurrieren, sondern ihr Angebot nur ergänzen. Etwa bei Hilfebedürftigen ohne Krankenversicherung. Oder wenn Menschen mit alkohol- oder psychischen Problemen nicht ’wartezimmerfähig’ sind“, sagt Oette. „Und durch das persönliche Vertrauensverhältnis darauf hinwirken, dass es möglichst viele Patienten doch schaffen, zum Zahnarzt oder zum Facharzt zu gehen.“

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Vertrauen, das ergebe sich nicht von selbst. Viele Erkrankte wollten erstmal nur reden, was ihnen fehle, komme dabei dann langsam zu Tage, sagt Neele Herweg-Steffens. Sie schreibt gerade ihre Doktorarbeit und ist Teil eines Teams von etwa zehn Ärzten und Ärztinnen, die ehrenamtlich in der Praxis arbeiten. Die Arbeit in der Caya-Praxis liege ihr sehr, sagt sie. „Was wir hier machen ist das, warum ich Medizinerin geworden bin. Wirklich jedem Menschen eine gute ärztliche Versorgung zu ermöglichen.“