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Vom Straßenkind zum UnternehmerWie ein Kölner Sozialprojekt Leben verändert

7 min

Daniel Zochowski ist heute Inhaber einer Dachdeckerfirma.

Daniel Zochowski war selbst früher Mitglied einer Straßenkinder-Gruppe und kehrt für die Rundschau nach vielen Jahren zurück an seine Wurzeln und erinnert sich an seine Zeit als „Chorweiler Krokodil“.

Sie haben sich in einer Reihe aufgestellt, ein Ball wird geworfen, und sie müssen dem runden Leder ausweichen. Wer es berührt, hat verloren. Die „Roggendorfer Rocker“ sind im Spiel mit Julina Jatzkowski und Carl Kasper. Die beiden betreuen Straßenkinder im Norden der Stadt. Am Rand steht Daniel Zochowski, und er kann sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Vor vielen Jahren hat er selbst solche Ballspiele mitgemacht. Der heute beruflich erfolgreiche Inhaber einer Dachdeckerfirma war einst selbst Straßenkind in Chorweiler. Rückblickend sagt er, genau eine solche Gruppe habe ihm auf den richtigen Lebensweg geholfen.

Das Straßenkinder-Projekt gibt es nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Unterhalten wird es vom gemeinnützigen Verein „Kindernöte“. An insgesamt acht Standorten im Stadtbezirk Chorweiler treffen sich die Gruppen jeweils wöchentlich. Unter Anleitung von Sozialarbeitern gibt es für die jungen Leute im Alter von sechs bis 14 Jahren Spiele und Gespräche. Im Jahr 2002 wurde es sogar mit dem Integrationspreis des Bundespräsidenten ausgezeichnet. Daniel Zochowski war ein aktives Mitglied einer solchen Gruppe. Viele Jahre danach ist es für ihn berührend zu sehen, dass es das Angebot immer noch gibt.

Kindheit ohne wirkliche Perspektive

Im Gespräch mit der Rundschau erinnert er sich noch genau an seine Zeit als Straßenkind. Eine einfache Wohnung, schwierige soziale Lebenshältnisse, keine wirkliche Perspektive. „Wir hingen damals ziemlich ideenlos auf der Straße herum und haben schon viel Unsinn gemacht“, sagt er. Das Kinderspiel „Räuber und Gendarm“ beispielsweise habe man in Parkhäusern gespielt, was durchaus gefährlich gewesen sei, weil man jederzeit von einem Auto hätte angefahren werden können: „Und beim Fußballspielen haben wir etliche Male daneben getroffen und die Fensterscheiben der örtlichen Post zerstört.“

Dann kamen damals plötzlich die Menschen von „Kindernöte“ auf die Straße. Sie animierten die Kinder, eine Gruppe zu gründen und sich regelmäßig zu treffen. Einmal in der Woche auch mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. „Chorweiler Krokodile“ nannte sich das Team seinerzeit. Ähnlich wie die „Roggendorfer Rocker“ verbrachten sie ihre Freizeit nun anders als bisher. „Zum Teil waren es dieselben Akvititäten, nur an anderen Orten“, erzählt Zochowski: „Zum Fußballspielen hat man uns einen Bolzplatz gezeigt, da gab es keine Scheiben mehr, die kaputtgehen konnten.“

Manchmal brauche es genau solche Anstöße von außen, ist Zochowski überzeugt. Der heute 34-Jährige hat zeitweise semiprofessionell Fußball gespielt, dann stoppte eine Verletzung die weitere Karriere. Heute trainiert er in seiner Freizeit Jugendliche in einem Fußballverein und versucht ihnen auf diese Weise auch ein wenig Halt und Orientierung zu geben. So wie er sie als Straßenkind damals auch bekommen hat.

Einhalten von Regeln wird vermittelt

Bei den „Rockern“ erklingt eine Bassbox zwischen den Häusern. Die Mädchen und Jungen bekommen das nächste Spiel erklärt, hören aufmerksam zu. „Es geht auch darum, sich einfach mal auf Regeln einzulassen“, berichtet der Gast Zochowski. Konflikte zu benennen und zu lösen, ist einer der Schlüssel der sozialen Arbeit mit den Straßenkindern. Sie sind es tendenziell eher nicht gewöhnt, Auseinandersetzungen verbal zu führen. Wo viele problembelastete Familien leben, würden Konflikte allzu häufig mit Gewalt ausgetragen, heißt es von den Verantwortlichen. In den Gruppen des Vereins Kindernöte geht es auch darum, begleitet nach Lösungen für Herausforderungen in der Gruppe zu suchen.

An diesem Nachmittag kann man das gut beobachten. Ein Junge verletzt die Regeln des Spiels, wird freundlich ermahnt. Mit einer Prise Humor versucht die Sozialarbeiterin, ihn zum regelkonformen Weiterspielen zu animieren. Das aber will er nicht. Also wird er von diesem Spiel ausgeschlossen. Er schreit laut auf, gibt vor, zu weinen. Letztlich ist das aber alles nur Theater. Wenige Sekunden später ist schon wieder ein Lächeln auf seinem Gesicht. Der Drang, weiter mit dabei zu sein, ist stärker als der, Regeln zu verletzen. Denn als Sanktion droht sonst der Ausschluss aus der liebgewonnenen Gruppe.

Zwar nennt sich das Konzept „niederschwellig“, es soll also darum gehen, möglichst viele Kinder zu erreichen und im ersten Kontakt keine allzu hohen Ansprüche zu stellen oder bürokratische Hürden aufzubauen. Gleichwohl gilt in den Gruppen eine gewisse Verbindlichkeit. Die Eltern müssen schriftlich einwilligen, dass die jungen Leute einmal die Woche betreut werden. Die Kinder müssen regelmäßig zu den treffen kommen und sich eben an Regeln halten.

Die "Roggendorfer Rocker" in Aktion.

Vier Jahre war Daniel Zochowski in einer solchen Gruppe. „Rückblickend bin ich davon überzeugt, dass mir das geholfen hat, von der Straße wegzukommen“, sagt er. Dass er von der Rundschau zum Treffen mit einer aktuellen Straßenkinder-Gruppe gebeten wurde, hat ihn gefreut. Schonm im Vorfeld wurden deshalb Erinnerungen bei ihm wach: So wach, dass er Freunde aus der damaligen Zeit gebeten hat, für ihre damalige Sozialarbeiterin Nicole Grußvideos aufzunehmen. In den kurzen Filmen, die Zochowski vor Ort auf seinem Mobiltelefon zeigt, spürt man die positiven Erinnerungen an die Zeit auf der Straße in Chorweiler und die Dankbarkeit, dass es dieses Angebot gab. Einer berichtet, die Sozialarbeiter hätten damals Spielsachen mitgebracht, die man sich selbst niemals hätte leisten können. Es sei einfach ein Lichtblickblick gewesen. Die Vielzahl der Videos zeigt, wie gut vernetzt die einstigen Straßenkinder heute noch sind.

Es geht auch darum, sich einfach mal auf Regeln einzulassen.
Daniel Zochowski, ehemaliges Straßenkind

„Den Zusammenhalt zu stärken, war schon immer das Ziel des Strassenkinder-Projekts“, sagt Ingrid Hack, Geschäftsführerin des Vereins Kindernöte. Im vergangenen Jahr sei erstmals auch ein Kinderrat gegründet worden, der aus den Sprecherinnen und Sprechern der jeweiligen Gruppen zusammengesetzt sei. Ziel sei es, den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen bei der ständigen Weiterentwicklung des Konzepts zu vertreten. Derzeit seien rund 160 Mädchen und Jungen in den acht Gruppen angemeldet.

Spielerisch Ziele erarbeiten

Auf dem Platz in Roggendorf haben die kleinen „Rocker“ sich jetzt zur Abschlussrunde zusammengesetzt. Die gehört zu jedem Treffen dazu. Es wird über den Nachmittag gesprochen, was gut und was schlecht gelaufen ist. Für diejenigen, die bei den Spielen besonders gut abgeschnitten haben, gibt es Süßigkeiten. Und diejenigen, die sich bei dem Treffen nicht immer ordentlich verhalten haben, werden damit konfrontiert. Es ist eine ruhige Atmosphäre, kein Streit, sondern konstruktive Gespräche.

Genau das habe ihn schon damals überzeugt, erzählt Daniel Zochowski. Vier Jahre habe er den „Chorweiler Krokodilen“ angehört, das sei für ihn eine zweite Familie geworden: „Sich spielerisch immer wieder neue Ziele zu erarbeiten und kleine Erfolge zu feiern, wenn man sich erreicht hat, war ein wichtiges Erlebnis“, sagt er: „Ansonsten hätte durchaus die Gefahr bestanden, gesellschaftlich abzurutschen.“

Daniel Zowchowski im Gespräch mit Ingrid Hack vom Verein "Kindernöte" in Roggendorf.

Bei den Treffen habe man auch über persönliche Probleme sprechen können, berichtet Zochowski: „Das war für uns nicht selbstverständlich. Meine Eltern waren meist arbeiten und selten für mich da. Die Vertrautheit in der Gruppe hat mir wirklich sehr geholfen, mit meinem Leben klarzukommen.“ Gestärkt durch Struktur und Zusammenhalt des Straßenkinder-Projekts hat er sein eigenes Leben in die Hand genommen und manches erreicht, was ihm damals kaum zugetraut wurde: „Mir wurden hier positive Werte vermittelt, und ich freue mich, dass es das heute immer noch gibt.“ Zochowski stieg später im Handwerk ein, machte seinen Meister als Dachdecker. Heute leitet er einen Betrieb mit acht Angestellten.

Das Selbstbewusstsein, sich zu trauen, Herausforderungen anzunehmen, habe er auch bei den „Chorweiler Krokodilen“ entwickelt, meint Zochowski. Bei gelegentlichen Ausflügen der Gruppe sei es für die Betreuenden noch schwieriger gewesen, vereinbarte Regeln durchzusetzen. „Letztlich hat aber auch das geklappt. Dafür haben wir viel erlebt: Natürlich auch Fußball gespielt, aber auch Kühe gemolken. Und ich bin damals zum ersten Mal in einem Schwimmbad vom Zehn-Meter-Brett gesprungen. Das werde ich nie vergessen.“

Der Verein „Kindernöte“ wurde im Jahr 1996 als Reaktion auf Sparmaßnahmen im städtischen Haushalt gegründet. Ziel war und ist es, neue Wege in der Sozialarbeit für Kinder und Jugendliche zu gehen. Der Verein ist gemeinnützig und als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt. Finanziert wird er durch Mitgliedsbeiträge, Spenden von Privatpersonen und Unternehmen, Stiftungsgelder und durch Mittel des Landes NRW und der Stadt Köln.