„Crashkurs“Wenn Betroffene und Angehörige von schweren Unfällen erzählen

Blumen und ein so genanntes Geisterrad erinnern am Auenweg noch heute an den tödlichen Unfall.
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Köln – Schockfotos. Eindringliche Appelle. Fahren junge Menschen dadurch rücksichtsvoller Auto? Die Kölner Polizei lässt bei ihrer Veranstaltungsreihe „Crashkurs“ Unfallopfer und Betroffene erzählen. Bei 170 Vorträgen wurden in den vergangenen sieben Jahren bislang rund 34 000 junge Menschen erreicht. „Das macht betroffen und wirkt bei Jugendlichen“, ist Polizeipräsident Jürgen Mathies sicher.
Die Eltern
Frei zu sprechen über all das, was ihrer Tochter und im Grunde der ganzen Familie Mitte 2015 widerfahren ist, kann Marita Scheidel nicht. Ablesen wird sie ihren Text, den sie vor jungen Menschen bei „Crashkurs“ vortragen wird.

Nach dem Unfalltod ihrer Tochter am Auenweg beteiligen sich Marita und Thomas Scheidel an der Präventionsarbeit.
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Von der Nachricht, dass ihre Tochter von einem Raser auf dem Auenweg erfasst und schwer verletzt wurde. Von den bangen Stunden im Krankenhaus, bis zum Tod von Miriam. In einer Dia-Show, hinterlegt mit leiser Musik, werden Fotos der damals 19-Jährigen gezeigt – lachend im Urlaub, kostümiert an Karneval und bewusstlos im Krankenhaus.
„Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, was es heißt, am Steuer zu sitzen“, sagt die Mutter. Ihr Mann Thomas war es, der im Zuge der Unfallermittlungen und des Prozesses einen Ermittler fragte, ob er und seine Frau sich in der Unfallprävention einbringen könnten. Nun wird Marita Scheidel regelmäßig vor Fahranfängern sprechen. „Ich erzähle, in welcher Situation wir leben müssen. Das wird zwar nicht alle erreichen, aber vielleicht sorgt es für Betroffenheit“, hofft sie.
Die Schwester
Catrin Bollig strahlt, als Polizeipräsident Jürgen Mathies ihr im Präsidium einen Strauß Blumen in die Hand drückt. „Eins A“, sagt sie glücklich. Eine halbe Stunde später wird sie sich daran nicht mehr erinnern können. Nicht an die Worte des Präsidenten, nicht an den Kuchen und den Kaffee, den die Polizei serviert.

Opfer: Catrin Bollig mit ihrer Mutter Carolin (r.).
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„Meine Tochter hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr“, sagt ihre Mutter Carolin. Seit ihrem 14. Lebensjahr ist das so, damals saß sie auf dem Rücksitz des Autos ihrer Schwester (18). Nach einer Party in Warendorf sind sie auf dem Heimweg als plötzlich ein Reh auf der Landstraße steht. Die Schwester am Steuer will ausweichen, verliert die Kontrolle über den Wagen, der daraufhin mit der rechten Rückfront gegen ein Baum prallt. Dort sitzt Catrin. Zwölf Kopf-Operationen hat sie hinter sich, sie arbeitet inzwischen in einer Behindertenwerkstatt.
Bei „Crashkurs“ steht sie mit ihrer Mutter auf der Bühne, liest einen Text ab. „Meine ältere Tochter macht sich wegen des Unfalls Vorwürfe, ich versuche so gut es geht, ihr diese zu nehmen“, sagt Carolin Bollig. Für die Zuhörer sei es „hart“, die Unfallgeschichte und als Schicksal ihrer Tochter zu ertragen. „Oft gibt es Tränen, manche Jugendliche bedanken sich auch“, erzählt sie. Seit drei Jahren ist sie schon im Team von „Crashkurs“
Der Feuerwehrmann
Die Deutschland-Fahne klemmt noch am zerbeulten Ford-Ka, als Feuerwehr-Einsatzleiter Bernd Geßmann in jener lauen Sommernacht 2010 seine Arbeit aufnimmt. Nach dem WM-Spiel zwischen Deutschland und Spanien machen sich fünf junge junge Menschen auf den Heimweg, alle in einem Auto, gesteuert von einem 18-Jährigen.
Auf der Neusser Landstraße kommt das Fahrzeug von der Fahrbahn ab, knallt gegen einen Baum, zwei junge Frauen sterben. „Unnötig“ nennt Geßmann den Unfall. Junge Menschen am Steuer – dieses Thema ist für den Feuerwehrmann aktueller denn je, denn sein Sohn (19) hat frisch den Führerschein. „Wenn ich Beifahrer bin, führt das zwischen uns zu Spannungen“, erzählt er. Sein Sohn hat sich inzwischen auch den „Crashkurs“ angesehen. Seit 1981 arbeitet Geßmann bei der Feuerwehr. Wie er selbst Unfallereignisse verarbeitet? „Ich versuche aus Medien und Einsatzberichten viele Informationen zu sammeln, das hilft mir. Albträume haben mich selten eingeholt“, sagt er gefasst.