„Der Pflegenotstand ist da“Fachkräftemangel führt zu Schließungen in Köln

Zuwendung und Zeit, auf ihre Bedürfnisse einzugehen – das ist wichtig für das Wohlergehen pflegebedürftiger Menschen.
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Köln – 86 demente, kranke und körperlich beeinträchtigte Menschen hat er versorgt – jetzt musste er aufgeben. Der ambulante Pflegedienst der Caritas ist seit Juli geschlossen; zwölf Jahre lang war er im Veedel präsent. Der Grund: Zu wenig Fachkräfte, man könne eine angemessene Versorgung der Menschen nicht mehr sicherstellen.
Mit einer Hiobsbotschaft wurden auch die 33 pflegebedürftigen Bewohner und Bewohnerinnen eines Pflegeheims in der Südstadt Ende August konfrontiert. Ihr St. Josefshaus wird zum Jahresende geschlossen. „Uns fehlt das Pflegepersonal“, so die Betreiberin, die Marienhaus-Gruppe (wir berichteten).
Bis zum Jahr 2040 werden rund 3250 Kräfte fehlen
Lange war der Mangel an Pflegekräften für viele nur eine Zahl auf dem Papier. Jetzt ist er da, direkt vor der eigenen Haustür. Ohne Pflegekräfte können körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen nicht mehr versorgt werden. Sie müssen in Heime im Umland ziehen, werden auf ortsfremde Dienste verteilt. Träger wie die Seniorenhaus GmbH der Cellitinnen oder der Kölner Caritasverband versuchen, betroffenen Pflegebedürftigen Plätze in ihren Kölner Häusern anzubieten. Doch auch hier sind die Kapazitäten der Pflegekräfte endlich.
Versorgung weit unter Durchschnitt
58.900 Pflegebedürftige wird es im Jahr 2040 geben. 24.000 dieser Menschen werden dement sein (41 Prozent). Für den Zeitraum bis 2040 zeigt die Kommunale Pflegeplanung der Stadt (2019) bei Pflegebedürftigen eine Steigerung um 21 Prozent auf.
7323 Mitarbeitende fehlen, wenn man die Kölner Pflegebedürftigen 2040 so gut versorgen will, wie das im Schnitt aller NRW-Kommunen heute geschieht. Soll der aktuell unterdurchschnittliche Personalstand in der stationären, der ambulanten und der Kurzzeitpflege lediglich gehalten werden, fehlen 3252 Kräfte.
Deutlich schlechter als im Bundesdurchschnitt ist auch die Versorgung mit stationären Pflegeplätzen. Hier gab es in Köln 2019 für 100 über 80-Jährige 13,1 Plätze. 17 Plätze waren es im Bundesdurchschnitt. (bos)
Denn der Mangel ist gewaltig. Nach der aktuellen Kommunalen Pflegeplanung der Stadt werden bis zum Jahr 2040 rund 3250 Kräfte fehlen, um die dann 58 900 pflegebedürftigen Kölnerinnen und Kölner zu versorgen (s. Kasten). Und eine kommunale Pflichtaufgabe zu erfüllen, denn Menschen mit Pflegegraden von zwei bis fünf haben einen gesetzlichen Anspruch auf Pflege.
„Vor allem schnell handeln“
Was tun? „Vor allem schnell handeln“, sagt Detlef Silvers, Leiter des Geschäftsfeldes Alter und Pflege beim Caritasverband der Stadt Köln. „Vieles von dem, was gerade in der Pflegegesetzgebung passiert, ist richtig. Es kommt nur viel zu spät. Und es geht, mit Blick auf die Alterspyramide, viel zu langsam.“ Deshalb hat der Caritasverband jetzt einen eigenen Weg beschritten und ausgebildete Pflegekräfte in Tunesien angeworben. Nach dem von der Bundesagentur für Arbeit aufgelegten Triple-Win-Verfahren werden sie ausschließlich in Ländern angefragt, in denen es mehr gibt als dort benötigt werden.
„Sechs Pflegekräfte haben in diesem Jahr bei uns begonnen. Sie haben die Sprachqualifikation B1 und B2 gemacht und arbeiten jetzt ein Jahr in der Pflege“, schildert Silvers. Dann absolvieren sie die Prüfung zur Krankenpflegekraft nach hiesigem Pflegerecht. „Die meisten kommen gezielt als Auswanderer und wollen sich hier eine Zukunft aufbauen“, so Silvers.
Caritas setzt weiter auch auf Kräfte aus dem Ausland
Doch die Verstärkung in der Pflege ist nicht umsonst. Mindestens 12 000 Euro kosten Anwerbung, Sprachkurse, Prüfungen, Flug und die Erstausstattung der Wohnbereiche der Menschen. 7000 Euro darf der Caritasverband über den Pflegesatz gegenfinanzieren. „Den Rest zahlen wir aus eigener Tasche“, sagt Silvers.
Die Anwerbekosten werden auf den Pflegesatz der Bewohner umgelegt; bei 100 Plätzen sind das ein Jahr lang rund sechs Euro mehr im Monat für eine ausgebildete Pflegekraft. Trotz hoher eigener Kosten will der Caritasverband weiter auch auf qualifizierte Kräfte aus dem Ausland setzen. Denn der 2021 auch bei der Caritas angelaufene Ausbildungsgang zum Pflegeassistenten könne den künftigen Bedarf nicht annähernd decken, so Silvers.
Ein Risiko für Investoren
Der Personalmangel wirkt sich – ebenso wie hohe Grundstückspreise und derzeit kaum kalkulierbare Baukosten – auch auf mögliche Neubauten aus. „Für Betreiber von Einrichtungen der Altenhilfe ist es in Köln schwer, geeignete und refinanzierbare Grundstücke zu finden. Wenn es denn gelingt einen Neubau zu finanzieren, gibt es hohe Risiken, weil ein regulärer Betrieb aufgrund des Fachkräftemangels kaum möglich ist“, sagte Dino A. Kierdorf, Regionalleiter bei der Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria. Das trifft auf das Josefshaus der Caritas in Wahn schon jetzt zu. „Es wird im Juni 2023 baulich fertig. Seine 99 Plätze können wir aber erst Mitte 2025 vollständig vergeben“, sagt Silvers. „So lange dauert es, bis wir die 70 benötigten Voll- und Teilzeitkräfte gefunden haben.“
Außer dem Josefshaus sind derzeit in Köln noch zwei Pflegeheime von Wohlfahrtsverbänden oder kirchlich angebundenen Trägern mit zusammen 175 Plätzen im Bau. Wann sie fertig werden, sei derzeit nicht einschätzbar, so die Stadt. Seit dem Jahr 2018 sei kein Pflegeplatz durch private Investoren geschaffen worden.
Höhepunkt noch nicht erreicht
„Wir Senioren werden schon in den Bauleitplanungen vergessen“, sagt Volker Scherzberg, Sprecher der Kölner Seniorenvertretungen, der immer wieder Rückmeldungen über lange Wartezeiten für Plätze in der stationären und Kurzzeitpflege bekommt. „Der Pflegenotstand ist schon da. Und wenn pflegebedürftige Menschen in Heime im Umland ziehen müssen, weg von Familie und Freunden, vereinsamen sie“, fürchtet Scherzberg.
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Doch noch ist der Höhepunkt des Fachkräftemangels nicht erreicht. „Viele Pflegende haben noch maximal zehn Jahre bis zur Rente, gehen oft in Altersteilzeit“, sagt Silvers. Und ab Mitte 2023 muss die Zahl der Kräfte laut Sozialgesetzbuch schrittweise um 20 bis 30 Prozent aufgestockt werden. „In vielem, was in den letzten Jahren beschlossen wurde, sind wir zu spät dran. Diesen Kreislauf müssen wir durchbrechen. Wenigstens da, wo wir es noch können“, fordert Silvers. „Bei den Pflegekräften.“