Der Film „Mädchen können kein Fußball spielen“ erzählt die Geschichte der ersten offiziellen deutschen Frauen-Nationalmannschaft.
Die vergessene WegbereiterinKölnerin Birgit Dahlke war 1982 Teil der ersten Frauen-Fußballnationalmannschaft

Ein historischer Moment: Birgit Bormann jubelt über das 4:0 im ersten offiziellen Länderspiel der deutschen Frauen.
Copyright: picture alliance / Sven Simon
Das Foto vom 10. November 1982 schaut sich Birgit Dahlke heute noch immer gerne an. „Ich war total unbefangen“, erinnert sie sich. Das Bild zeigt die damals 17-jährige Birgit, die damals noch Bormann hieß beide Fäuste in den Himmel gereckt, der Blick unbeschwert und voller Freude. Gerade hat sie per Kopf das 4:0 gegen die Schweiz erzielt. „Ich habe einfach drauflos gespielt. So, wie ich es immer gemacht habe und wie es mir Spaß gemacht hat.“ Es ist nicht irgendein Tor, es ist nicht irgendein Spiel. Es ist das erste offizielle Länderspiel einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen. Und mittendrin das Mädchen aus Prüm in der Eifel. Der Film „Mädchen können kein Fußball spielen“ erzählt die Geschichte dieser ersten Nationalmannschaft (siehe Infotext). Die ARD zeigt den Film am Freitag nach dem EM-Auftakt der aktuellen Nationalmannschaft.
Das Foto nach ihrem ersten Länderspieltor ist für Birgit Dahlke aus mehreren Perspektiven ein besonderes. Die historische Bedeutung ist das eine. Für dieses Spiel, das den Beginn einer Erfolgsgeschichte einläutete, mussten die deutschen Fußball-Frauen lange kämpfen. Gegen die Vorurteile der Männer, gegen die herablassenden Kommentare, gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB), der den Frauenfußball zunächst verbot und auch später womöglich darauf hoffte, dass sich der Trend der fußballspielenden Frauen von allein wieder in Luft auflösen würde. „Da dabei gewesen zu sein, ist und bleibt historisch“, sagt Dahlke.

Birgit Dahlke.
Copyright: DOCAYS
Viel euphorischer wird die rückblickende Bewertung nicht. Von Stolz zu reden, fällt Dahlke noch immer schwer. Das hat vor allem mit dem zweiten, persönlicheren Blickwinkel auf das Foto zu tun. Denn die Unbeschwertheit, die auf dem Foto sichtbar ist, verschwindet nur kurze Zeit später und verwandelt sich in einen dunklen Schleier, der sich bis heute über diesen eigentlich so besonderen Tag legt.
Ein Blick zurück: Ihre fußballerische Laufbahn beginnt Birgit beim SV Prüm – als einziges Mädchen unter 21 Jungs. „Ich habe mich schon immer mehr für Dinge interessiert, die die Jungen gemacht haben, eigentlich wollte ich sogar lieber ein Junge sein“, erinnert sie sich. In der Schulpause spielt sie mit den Jungen Fußball, die sie dann zum Training mitnehmen. „Weil ich besser als die meisten Jungs gespielt habe, hatten die natürlich ein Interesse daran, dass ich mitspiele.“ Die Sondergenehmigung des Fußballverbands Rheinland, die dafür nötig war, sorgt für Aufsehen. Birgit ist zu Gast beim damals neuen TV-Format „Pfiff – ZDF Sportstudio für junge Zuschauer“, eine Zeitung titelt: „Birgit spielt Jungen an die Wand.“ Mit 13 Jahren gibt es keine Sondergenehmigung mehr, für Birgit ist Schluss in der Jungenmannschaft. Und weil es keine Mädchenmannschaft gibt, widmet sie sich ihrer zweiten Leidenschaft, der Leichtathletik.
Irgendwann ging alles zu schnell
Doch der Fußball holt sie sich zurück. Und es beginnt der Teil der Geschichte, in der rückblickend alles ein bisschen zu schnell geht. Ein Mitschüler am Gymnasium startet eine Frauenfußballmannschaft, von dort aus spielt sie sich in die Rheinland-Auswahl, wird dort vom SC Bad Neuenahr gesichtet, wo sie in 62 Spielen 66 Tore schießt. Die Nationalmannschaft klopft an, Birgit Bormann schießt beim ersten offiziellen Länderspiel das 4:0 und ist als 17-Jährige aus dem Nichts plötzlich die große Hoffnung, der Shootingstar des deutschen Frauenfußballs. In Bad Neuenahr ist sie das erst recht. „Rückblickend ist es ziemlich offensichtlich, dass das nicht gut gehen konnte“, sagt Dahlke heute.“

Die erste offizielle deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen.
Copyright: DOCAYS
Dreimal in der Woche fährt die Schülerin 100 Kilometer von Prüm nach Bad Neuenahr, danach wieder zurück. Dem Fußball opfert sie ihre Zeit, verpasst Dinge, die andere in ihrem Alter erleben. Die Erwartungshaltung, der Druck, die körperliche und die mentale Belastung werden zu viel. Birgit Bormann verliert die Lebenslust und erkrankt an Depressionen. Nicht einmal zwei Jahre nach dem historischen Spiel in Koblenz muss sie sich zur Behandlung in eine Klinik begeben. Die Bild-Zeitung titelt: „Deutschlands beste Fußballerin in der Nervenklinik.“ Schwer zu verarbeiten, für eine immer noch heranwachsende junge Frau.
Mentale Gesundheit noch immer ein Tabuthema
Nach ihrer Rückkehr wird das Thema totgeschwiegen. „Auch wenn es besser wird, ist mentale Gesundheit heute immer noch eine Art Tabuthema. Damals wurde gar nicht darüber geredet.“ Im Verein spielt sie noch weiter, das Kapitel Nationalmannschaft ist aber beendet.
Ihr Fußballleben bezeichnet Birgit Dahlke heute als ihr erstes Leben, als sie heiratet und 1993 ihr erstes Kind bekommt, beginnt ihr zweites Leben. Als studierte Sportwissenschaftlerin ist sie für den größten Breitensportverein der Stadt tätig, den MTV Köln, vor allem für die Seniorensportgruppen und den Fitnessbereich.
Lange Zeit kennen selbst enge Freunde und ihre vier Kinder nicht die ganze Geschichte der Fußballerin Birgit Bormann. „Das Hoch meiner Fußballgeschichte lässt sich nicht ohne das Tief erzählen. In Kurzform geht das fast nicht. Deswegen habe ich sie 40 Jahre lang fast gar nicht erzählt“, sagt Dahlke. „Ich bin Torsten Körner sehr dankbar, dass er mich vor zwei Jahren überzeugt hat, beim Film mitzumachen.“ Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sei nicht einfach, aber am Ende doch eine gute Erfahrung gewesen.
EM startet gegen Polen
Und mittlerweile, mit vielen Jahren Abstand, kann sich Dahlke auch über die immer weiter gestiegene Aufmerksamkeit für den deutschen Frauenfußball freuen. „Nach wie vor haben es Frauen im Sport schwieriger. Aber die Entwicklung ist toll“, sagt sie. Bewegt habe sie auch die Geschichte der ehemaligen Nationalspielerin Lina Magull, die ihren Kampf gegen ihre Depressionen im Juni in einem Podcast öffentlich machte.
Auch die EM, die für die deutschen Frauen am heutigen Freitag mit dem Spiel gegen Polen startet, wird sie mit großem Interesse verfolgen. „Die Mannschaft ist gut aufgestellt und zu allem fähig“, glaubt Dahlke. Das Stadion in St. Gallen ist ausverkauft, 4000 deutsche Fans werden die DFB-Elf vor Ort anfeuern, dazu ein Millionenpublikum im TV. Auch wenn sich Birgit Dahlke damals, vor 43 Jahren, nicht so gefühlt hat, ist sie eine von vielen Wegbereiterinnen dafür gewesen.
Das Erste zeigt den Film „Mädchen können kein Fußball spielen“, am Freitag, 4. Juli, im Anschluss an das EM-Spiel der deutschen Frauen.
Film von Torsten Körner zeigt Geschichte der Frauen-Nationalmannschaft
Das Ringen um Anerkennung des Frauenfußballs und die Geschichte der ersten deutschen Frauen-Nationalmannschaft dokumentiert der Film „Mädchen können kein Fußball spielen“ von Torsten Körner.
Von 1955 bis 1970 verbot der DFB Frauen auf seinen Plätzen das Fußballspielen. Und auch danach kämpften die Frauen einen jahrzehntelangen Kampf. Die Medien interessierten sich weniger für die sportlichen Leistungen als für die „wohlgeformten Beine“ der „Grazien“ auf dem Feld. „Das Lächerlich-Machen der Frauen durchzog die Medien“, erinnert sich die jahrelange Fußballfunktionärin Hannelore Ratzeburg.
Gut, dass es Pionierinnen gab, die sich gegen das männergemachte System auflehnten und sich Stück für Stück ihre Rechte und ihre Anerkennung erkämpften.
Eine der Zeitzeuginnen, die sich im Film zurückerinnern, ist Anne Trabant-Haarbach. Mit dem Team der SSG Bergisch-Gladbach gewann sie 1981 den Titel bei der inoffiziellen WM in Taiwan. Der DFB entschloss sich danach, eine offizielle Nationalmannschaft aufzubauen, Trabant-Haarbach führte das Team als Kapitänin und Trainerassistentin auf dem Feld. „Der schönste Moment in meinem sportlichen Leben“ sei das gewesen, sagt sie im Film.
Als Durchbruch des Frauenfußballs gilt heute aber viel mehr das EM-Halbfinale 1989 gegen Italien. Es war das erste Spiel einer deutschen Frauen-Nationalmannschaft, das live im TV zu sehen war. Das Finale gegen Norwegen sahen 23.000 Menschen im Osnabrücker Stadion, Deutschland gewann mit 4:1 gegen Norwegen und war erstmals Europameister. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte: Bis 2013 folgten sieben weitere EM- und zwei WM-Titel.
Die Geschichten der vielen Pionierinnen beleuchtet Torsten Körner auch in seinem Buch „Wir waren Heldinnen“ (Kiepenheuer & Witsch). Auch die Biografie von Birgit Dahlke wird darin noch einmal detaillierter als im Film beleuchtet.