Interview mit Kölner Anwalt zu Verkehrsversuchen„Wir reden nicht über putzige Experimente, sondern über Existenzen“

Lesezeit 5 Minuten
Auf der Venloer Straße herrscht in einem Abschnitt seit vergangenem Oktober eine Einbahnstraßenregelung.

Auf der Venloer Straße herrscht in einem Abschnitt seit vergangenem Oktober eine Einbahnstraßenregelung.

Marcel Templin ist Anwalt einiger Geschäftsleute auf der Venloer Straße, die unter dem Verkehrsversuch leiden. Ingo Schmitz hat mit ihm gesprochen.

Der Berliner Jurist fährt selbst gerne mit dem Rad durch die Hauptstadt. Gegen eine gute Fahrrad-Infrastruktur hat Marcel Templin also nichts. Dennoch sieht er die Kölner Verkehrsversuche kritisch.

Inwieweit konnten Sie sich schon in die Sachlage zum Verkehrsversuch auf der Venloer Straße einarbeiten?

Zur Venloer Straße habe ich mir zunächst einen Überblick vor Ort verschafft, mit Betroffenen gesprochen und nunmehr schriftlich Akteneinsicht beantragt. Nach der Akteneinsicht kann ich dann mit den Betroffenen abstimmen, welche weiteren Schritte sinnvoll sind. Die Verkehrszeichen entlang einer Straße, wie zum Beispiel Geschwindigkeitsbeschränkungen, Parkverbote oder eben Sperrschilder, sind ja die für alle sichtbaren Verwaltungsakte, gegen die man klagen kann. Aber mit welcher Begründung die Verwaltung die Verkehrszeichen aufgestellt hat, sollte sich aus der Akte der zuständigen Behörde ergeben. Daher auch zunächst die Akteneinsicht.

Wird es denn nach der Deutzer Freiheit auch auf der Venloer Straße auf eine Klage hinauslaufen?

Das hängt, wie eben erläutert, vom Ergebnis der Akteneinsicht ab, ob eine Klage gegen die zu diesem Verkehrsversuch gehörenden Verkehrszeichen Aussicht auf Erfolg hat. Allerdings will ich unterstreichen, dass eben nur die Klage das Mittel der Wahl ist, um die Verkehrszeichen überhaupt formal und fristgemäß anzufechten. Aufgrund der laufenden Fristen bleibt dem Betroffenen nichts weiter übrig als die Klage zum Verwaltungsgericht zu erheben. Jedenfalls hier in Nordrhein-Westfalen. In Berlin sehen die Verwaltungsgesetze zunächst noch den Widerspruch vor und erst wenn diesem durch die Behörde nicht abgeholfen wird, dann geht es erst zum Verwaltungsgericht. Wenn ich also hier in Köln den formal gebotenen Schritt gehen muss, ist es eben die Klage.

Das Verwaltungsgericht hat in seiner Urteilsbegründung zum Verkehrsversuch auf der Deutzer Straße gesagt, die Stadtverwaltung habe nicht ausreichend dokumentiert, dass es um eine Gefahrenabwehr geht. Ist das auch ein Aspekt auf der Venloer Straße?

Das ist bei all diesen Verkehrsversuchen, auch bundesweit, das Problem. Die zuständige Verkehrsbehörde muss erst einmal gründlich ermitteln, ob sie überhaupt eingreifen darf oder muss und dann eben auch, mit welchen Mitteln. Wird dann beispielsweise der Autoverkehr auf der Grundlage der Straßenverkehrsordnung herausgenommen und deutlich gegenüber dem vorherigen Zustand beschränkt, muss die Behörde darlegen, dass vom Kfz-Verkehr eine besondere Gefahr ausging, die es zu beseitigen gilt. Die Straßenverkehrsordnung ist in erster Linie Gefahrenabwehrrecht im Zusammenspiel mit der „Sicherheit und Leichtigkeit“ des Verkehrs. Dabei wissen wir alle, dass vom Betrieb eines Pkw oder Lkw generell eine Gefahr ausgeht, die wir jedoch akzeptieren, da der Vorteil aus dem Betrieb von Kraftfahrzeugen überwiegt. Also muss die Gefahr in einer Straße so überragend sein, dass sich der Eingriff der Verwaltung in die Straße zur Beseitigung dieser Gefahr geradezu aufdrängt. Das ist bei den Verkehrsversuchen aber in der Regel nicht gegeben.

Aufgrund des Urteils gegen den Versuch auf der Deutzer Freiheit hat das Mobilitätsdezernat nun weitere Verkehrsprojekte juristisch geprüft. In vielen Fällen stehen die Projekte auf juristisch wackeligen Füßen, da die Straßen für alle Verkehrsarten gewidmet sind. Aber für viele Verkehrsversuche wurde der Autoverkehr verbannt. Nun will die Verwaltung in diesen Fällen umwidmen. Kann das eine Lösung sein?

Aus den vorgenannten Gründen sieht es natürlich aus Sicht der Verwaltung sehr komfortabel aus, den Autoverkehr nun durch Umwidmung oder „Teileinziehung“ aus einer Straße zu verbannen. Die Hürden sind andere als bei einer Anordnung nur aufgrund der Straßenverkehrsordnung. Ebenso die Möglichkeiten dagegen zu klagen. Man sollte es sich aber mit dem Thema „Widmung“ nicht zu einfach machen. Zunächst wird hier zunehmend mit einem Begriff gearbeitet, den man verwaltungsrechtlich überhaupt erst einmal „einfangen“ muss und dann muss man klarstellen, dass auch solche Teileinziehungen nicht im Vorbeigehen funktionieren werden. Ich bin mir sicher, dass sich auch hier, wenn nicht kurzfristig, aber auf mittlere Sicht, Einiges bewegen wird. Zumal man bedenken muss, dass die Verwaltung die hohen Hürden der Straßenverkehrsordnung nur zu umgehen versucht, indem sie auf das Thema „Widmung“ ausweicht, was für diesen Zweck nicht gedacht war.

Wie auf der Deutzer Freiheit, so auch auf der Venloer Straße und bei weiteren Verkehrsprojekten: Viele Betroffene fühlen sich nicht mitgenommen. Das Klima in den Vierteln ist vergiftet. Sie haben über Köln hinaus Erfahrung mit solchen Projekten. Muss das immer so enden?

Nach derzeitigem Stand muss man leider sagen: ja. Es ist in jeder betroffenen Kommune oder Straße dasselbe Spiel. Die Betroffenen wachen quasi morgens auf und stellen fest, vor der Tür ist jetzt eine Fußgängerzone. Das mag überspitzt formuliert sein, trifft aber die Szene und auch die Sorgen der Betroffenen, vor allem der Gewerbetreibenden, sehr gut. Wir reden hier nicht über putzige Experimente, sondern über Existenzen. Anwohner, Gewerbetreibende, Verkehrsteilnehmer erfahren von den Änderungen oft erst, wenn die Verkehrszeichen stehen oder vielleicht zufällig aus der Zeitung. Dann ist das Kind bereits mit dem Bade ausgeschüttet in den Brunnen gefallen.

Das klingt fast schon auswegslos. Wie könnte es besser mit Verkehrsversuchen laufen?

Keiner der Betroffenen will sich gegen jede Veränderung sperren. Wer will nicht mehr Aufenthalts- und Lebensqualität in unseren Städten? Dann spricht doch sehr viel dafür, alle Beteiligten sehr früh einzubinden, auch ihre Anregungen oder Ideen mitzunehmen und so frühzeitig den Konflikt zu vermeiden. Und vor allem braucht man einen Blick aufs Ganze. Eine Stadt ist wie ein Organismus. Die Straßen und Wege sind die Lebensadern. Man muss dringend davon weg, immer nur einzelne Straßen in den Blick zu nehmen, sondern das ganze System einer Stadt. Wo kann der ÖPNV ausgebaut werden? Wo können schnelle und attraktive Radverbindungen hin und wie organisiert man das Parken sinnvoll neu? Hier würde ich mir ein Umdenken wünschen, denn vor allem die betroffenen mittelständischen Unternehmen haben schon genug andere „Baustellen“ und auch die sowieso schon begrenzten Kapazitäten unserer Gerichte muss man nicht straßenrechtlichen Streitigkeiten vollstopfen.

Rundschau abonnieren