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Florian Schmitz aus Neu-EhrenfeldDieser Kölner lebt wie vor hundert Jahren

Lesezeit 4 Minuten

Ein bisschen anders als andere: Briefe tippt Florian Schmitz auf seiner Schreibmaschine im Wohnzimmer. Falls es schneller gehen soll, hat er auch einen Laptop. (Fotos: Belibasakis)

  1. Kerzen statt elektrischem Licht, Mozart statt Popmusik – der 26 Jahre alte Florian Schmitz, von Beruf Friedhofsgärtner, hat sich für ein Leben entschieden, das wie aus einem vergangenen Jahrhundert scheint. Wir haben ihn besucht.

Köln – Zwei Sätze fallen am häufigsten, wenn Florian Schmitz Besuch bekommt. „Das sieht ja aus wie im Museum“ ist einer davon. „Wenn überhaupt, dann ist es ein lebendiges Museum“, sagt Schmitz. Denn alles in seiner Wohnung wird im Alltag benutzt. Der Wasserkessel aus Messing. Das gusseiserne Bügeleisen. Die schwarze Schreibmaschine.

„Das sieht ja aus wie bei meiner Oma“ ist der zweite Satz. Florian Schmitz ist 26. In seiner grauen Tweed-Hose steckt ein helles Hemd, darüber Hosenträger, draußen trägt er eine Schiebermütze. Seit 2004 beschäftigt sich Schmitz mit der Zeit um 1900. „Ich mache etwas, wozu nicht jeder den Mut hat“, sagt Schmitz. Nur auf einen Knopf zu drücken und etwas ist fertig, das sei wenig aufregend.

Schon wieder läutet es in der Zwei-Zimmer-Wohnung. Fünf Uhren zum Aufziehen hängen an den Blümchentapeten und machen sich mehrmals die Stunde bemerkbar. Daneben Porträts von den Kaisern Wilhelm I. und II. und der Spruch „Sich regen bringt Segen“, in ein Tuch eingestickt über der Küchenzeile. „Das war früher so Usus“, sagt Schmitz. Die Küche hat leider einen Elektroherd, bemängelt er. Mit Kohle zu heizen sei in der Mietwohnung nicht möglich. „Und wäre irgendwo ein Brunnen – ich würde ihn benutzen.“ Eine Waschmaschine hat er sich dennoch zugelegt, aus gutem Grund, wie er sagt. Anderthalb Jahre wusch er jeden Samstag im Keller die Wäsche mit der Hand. Mit nur mäßigem Ergebnis.

Das Bild über dem Klavier ist von seiner Urgroßmutter. Daneben hängen die Kaiser Wilhelm I. und II.

Wenn Schmitz in Neu-Ehrenfeld unterwegs ist, hat er immer eine Ersatzkerze in der Tasche. Sein Fahrrad – das Modell gibt es seit dem ersten Weltkrieg nicht mehr – hat vorne keine Lampe, sondern eine Wachskerze als Lichtquelle. Im Veedel wird er oft angesprochen. „Reaktionen auf mich gibt es immer“, sagt der 26-Jährige und rückt seine runde Lesebrille aus Metall zurecht.

Weg aus Neu-Ehrenfeld möchte er nicht, wo er Fahrradfahren gelernt hat und seinen ersten Kuss bekam. Von seinem Balkon sieht man die Spitze der Kirche, in der seine Eltern geheiratet haben, er getauft wurde und zur Kommunion gegangen ist. Neu-Ehrenfeld ist Heimat.

Von Beruf ist Schmitz Friedhofsgärtner. „Im Moment kann ich mir nichts besseres vorstellen“, sagt er über den Job, der besonders im Sommer körperlich anstrengend ist. Irgendwann möchte er vielleicht seinen Meister machen. Nach der Arbeit setzt er sich oft ans Klavier. Schmitz hat es wie viele seiner anderen Möbel bei Ebay ersteigert. „Die Kerzenleuchter mussten sein.“ Auf elektrisches Licht verzichtet Schmitz meistens, über 30 Kerzen brennen dann in seiner Wohnung. Die Glühbirnen werden nur angeknipst, „wenn es mal schnell gehen muss“.

Angefangen hat alles mit einer Fernsehsendung. Mit 14 Jahren, „im hochpubertären Alter“, wie Schmitz sagt, machte ihn seine Mutter auf eine Doku-Serie in der ARD aufmerksam, „Abenteuer 1900“. Ein Experiment auf einem Gutshof, 20 Frauen, Männer und Kinder lebten wie zur Jahrhundertwende, ohne Strom, fließendes Wasser und in der Mode von damals. „Ich saß mit heruntergefallener Kinnlade da“, erinnert sich Schmitz, „das war, was ich wollte.“ Zusammen mit seiner Mutter, die ihm schon immer die Haare geschnitten hat, entwickelte er seine aktuelle Frisur. Die Seiten kurz, das blonde Deckhaar lang. „Meine Eltern haben zuerst gedacht, das sei nur eine Phase, die wieder vorbei geht“, sagt Schmitz. „Bis sie gemerkt haben, dass es mir ernst ist.“

Seine alten Schellack-Platten lässt er auf einem Grammophon kreisen, das durch eine Kurbel angetrieben wird. „Ich habe auch ein tragbares Gerät für den Park“, sagt der 26-Jährige, der am liebsten Mozart hört. „Eine Zeitreise würde ich aber nur machen, wenn ich wieder zurück könnte“, ist er sicher. Denn mit der Gesellschaft und dem damaligen Frauenbild sei er nicht einverstanden: „Was man damals gedacht hat, war Quatsch.“ Und viel zu sehr schätze er die Vorzüge der Gegenwart: Kontakt mit Freunden hält er über Whatsapp oder Facebook. Nur mit dem Unterschied, dass sein Computer direkt neben einer alten Schreibmaschine steht. Auf dieser tippt er Verse von Mozart genauso schnell, wie andere eine SMS schreiben. „Man lebt nur einmal, dies sei dir genug“, zitiert Florian Schmitz aus der „Zauberflöte“. Und fügt hinzu, dass genau das der Grund ist, warum er eben ein bisschen anders als die anderen sei.