Inklusion in KölnLuca, der herzliche „Pilot“ – vom Schulalltag mit Down-Syndrom

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  • Wis steht es um die Inklusion in Köln abseits der reinen Zahlen?
  • Familie Schmitz-Lörken und ihr Sohn mit Down-Syndrom berichten über den Schulalltag

Köln – Eine Kölner Haie-Ecke, 1. FC-Bettwäsche, Schalke-Trophäen an der Wand. „Klar kann man Fan von beiden Fußballclubs sein. Das geht!“, sagt der 16-Jährige fröhlich und zeigt gern sein Zimmer. Der Junge mit dem Down-Syndrom trägt an diesem Tag das coole schwarze KEC-Shirt auch in „seiner“ Schule, der Carl-von Ossietzky Gesamtschule. Auf die ist er stolz. Er mag Fußball und die Nudeln mit Tomatensauce, Kochen, Klassenfahrten und das Lernen – zusammen mit der Schulbegleiterin, die ihm seit der zweiten Klasse zur Seite steht.

„Darum haben wir uns auch sehr bemüht“, so eine kontinuierliche Unterstützung klappe in allgemeinbildenden Schulen aber nur selten, erzählen Achim Schmitz und seine Frau Corinna Lörken. Unermüdliches Engagement, Jobs, die mit der nötigen Betreuung kompatibel sind, Geduld im Umgang mit Anderen, die verunsichert fragen: „Wie gehen wir mit dem Kind um? Was ist das Down Syndrom?“ Das gehört zum Alltag der Eltern von Luca (16) und Schwester Lara (10), Kaufmännischer Leiter und Hotelfachfrau. Die Zehnjährige ist ein großer Fan ihres Bruders, der im inklusiven Fußballverein Borussia Kalk spielt – „mit einem Lauftempo vergleichbar mit Gerd Müller, rumstehen und auf den Ball warten“, scherzt der Papa. Luca blickt streng: „Ich steh’ doch auch im Tor.“

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Als Lara in die Schule kam, fiel ihr auf: „Hier ist ja gar kein Kind mit Down Syndrom.“ Dass man körperliche und geistige Beeinträchtigung nicht immer erkennen kann, hat sie im Lauf der Zeit gelernt, und dass man sich gegenseitig unterstützt. Vater Achim zitiert einen „guten Spruch“: „Bei Inklusion geht es nicht darum, beim Lernen zu helfen, sondern beim Helfen zu lernen.“ Lara sagt es so: „Ich fühle mich mit behinderten Kindern wohl. Ich finde das normal. Meine Freunde finden meinen Bruder auch normal.“ ¬ „Ach Laaara“, ruft Luca und umarmt seine Schwester. „Ich hab dich lieb!“

Aufklärung hilft gegen blöde Sprüche

„Blöde Sprüche“ über Kinder mit Förderbedarf habe es in der Grundschule nie gegeben, sagt die 10-Jährige. Anderswo schon mal. „Oft geschieht das aus einer Unsicherheit der Anderen heraus“ , sagt Corinna Lörken. Die beste Strategie dagegen: Aufklärung, keine Scheu haben, sich unbefangen verhalten. Luca war immer „ein Pilot“, so Achim Schmitz, Vorsitzender des Down-Syndrom-Netzwerks Deutschland und Schulpflegschaftsvorsitzender in Lucas Gesamtschule. Als sein Sohn in die katholische Kita kam, war er dort das erste Kind mit Förderbedarf Geistige Entwicklung. „Das war noch nicht erprobt. Auch auf der Grundschule war er der Erste.“

Das Paar suchte von Beginn an eine allgemeinbildende Schule für Luca. „Dort entwickeln sich die Kinder gleich viel sozialer“, findet Corinna Lörken. Doch die Suche war nicht einfach. „Auch auf einem Gymnasium hätten wir ihn anmelden können, aber man sagte uns, dass das wahrscheinlich nur bis zur siebten Klasse Sinn macht.“ Auch eine Förderschule schauten sie sich an. Doch dort empfanden sie die Einrichtung als zu geschlossenen Entwicklungsraum für ihren aufgeweckten, kontaktfreudigen Sohn. „Für manche anderen Kinder kann die Förderschule aber der allerbeste Ort sein.“

Doppelbesetzung wäre ideal

Auf der Ossietzky-Gesamtschule stimmte gleich die Chemie, „die Schule hat ein gutes Konzept“. Doch ob es gut läuft in inklusiven Schulen, „steht und fällt allgemein mit den Lehrern“, so Schmitz. Lucas Klasse besuchen 25 Kinder, vier mit Förderbedarf. Optimal wäre die Doppelbesetzung mit zwei Lehrern und einem Sozialpädagogen. „Aber das klappt nicht immer“, so Schmitz. Wenn ein Inklusionshelfer krank wird, „dann heißt das ohne Vertreter fürs Kind: Schule fällt flach.“ Immer wieder musste die Familie aus Pesch um die Anerkennung der nötigen 40-Stunden-Betreuung kämpfen. Sozialpädagogen „sollten nicht für andere Aufgaben verheizt werden. Es müsste mehr Personal da sein, mehr Zeit, kleinere Klassen.“ Eine Schule für alle sei eine Utopie. Ein Zukunftsmodell wäre vielleicht „eine Art Förderschule in der Gesamtschule“.

Nächstes Jahr, mit Klasse zehn, endet die Gesamtschulzeit für Luca. Die Eltern hoffen danach auf einen Platz im Berufskolleg für ihn. Was er beruflich mal machen möchte, weiß Luca noch nicht. Vielleicht Kochen, Youtuber – oder Kassierer, was ihm im Praktikum viel Spaß machte. Und Lara wechselt bald zur Schule ihres Bruders. In eine inklusive Klasse. „Normal.“

Umstrittene Neuausrichtung der Inklusion

3600 Schüler wurden an allgemeinbildenden Schulen in Köln zum Schuljahr 2018/19 neu angemeldet. Aufgenommen wurden davon mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf 252 Kinder an Gesamtschulen, 13 an Gymnasien, 157 an Realschulen, 64 an Hauptschulen (Übergang in Sekundarstufe I). Der Schulverwaltung ist kein Kind mit geistiger Behinderung an einem Kölner Gymnasium bekannt. Die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf 2018/19 an Regelschulen (bis 10. Klasse) beträgt insgesamt an Grundschulen 4,2 Prozent (1587 Schüler), Hauptschulen 9,5 % (465), Realschulen 4,3 % (520), Gymnasien 0,5 % (95), Gesamtschulen 9,3 % (1085). 4337 Förderschüler gibt es in Köln , ein Anteil von 4,1 Prozent an der Gesamtschülerschaft von 102 000 (inklusive Grundschule, ohne 2. Bildungsweg). Das gemeinsame Lernen (GL) von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Behinderung (Inklusion) ist je nach Schulform unterschiedlich ausgeprägt. Daneben bestehen die Förderschulen fort.

Empörte Lehrer, verunsicherte Eltern – hinter den Kulissen von Kölner Gymnasien, die bisher GL angeboten haben, brodelt es. Kritiker prangern an: An Gymnasien werde die Inklusion ausgebremst. Hintergrund: Der Schulform wird laut eines NRW-Erlasses freigestellt, per Schulkonferenzbeschluss zu entscheiden, ob sie (weiter) Schule des Gemeinsamen Lernens sein wollen. An allen Kölner Gymnasien, die bisher inklusiv unterrichteten, fiel die Entscheidung gegen „GL“ aus.

Das Albertus-Magnus-Gymnasium zum Beispiel beschloss den GL-Ausstieg zuletzt nach interner Debatte – mit nur einer Stimme Mehrheit. Es hatte erst vor kurzem einen Anbau für Inklusion eröffnet. Das AMG bleibe aber für einzelne Schüler „weiter ein Ort der sonderpädagogischen Förderung“, so die Schulleitung.

Die Stadtschulpflegschaft Köln meint: „Den Ausstieg der Gymnasien finden auch wir nicht gut“, betont der Vorsitzende Lutz Tempel. „Aber man kann den Schulen auch keinen Vorwurf machen“: Denn viele seien „froh, dass sie es nicht machen müssen, da Lehrer und Räume fehlen, um es auch gut umzusetzen“. Dass sich Gymnasien reihenweise aus dem GL verabschieden, sei absehbar gewesen, „denn vom Land versprochene Verbesserungen wurden bisher nicht umgesetzt“. Der neue NRW-Inklusionskurs räume Gymnasien eine Sonderrolle ein, sich auf die „zielgleiche“ Förderung für Kinder zu beschränken, die voraussichtlich das Abitur erreichen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht die Inklusion vor. Laut Erlass zur Neuausrichtung in öffentlichen allgemeinbildenden Schulen in NRW 2018 stellt das Land Verbesserungen in Aussicht. Faktisch, so die Kritik von Opposition, Gewerkschaft GEW oder Inklusions-Vereinen (s. Interview), seien Qualitätsverbesserungen aber (noch) nicht angekommen. (MW)

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