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Interview mit Selbsthilfe-Leiter in Köln„Gegenseitig mit Wissen und Tipps helfen“

Lesezeit 4 Minuten

Geschützter Raum: Nach außen dringt von den Gruppentreffen grundsätzlich nichts.

Köln – Verlassene, Trauernde, chronisch Kranke. Wer eine Last trägt, muss das nicht alleine machen. Die Selbsthilfe-Kontaktstelle unterstützt Menschen, die sich zusammenschließen wollen. Diana Haß sprach mit dem Leiter Steven Adams.

Der Gedanke hinter der Selbsthilfe geht auf die 1980er Jahre zurück. Worum ging es in den Anfängen?

Es ist dieselbe Motivation wie auch noch heute. Es ging darum, in einem geschützten Raum Gleichgesinnte beziehungsweise Menschen mit ähnlichen Anliegen zu treffen, sich auszutauschen und so zu stärken. Dann ist aus der Selbsthilfe aber auch ein Bewusstsein für die Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein erwachsen. Deshalb sind durch die Arbeit von Selbsthilfegruppen viele Missstände öffentlich gemacht worden. Aus Selbsthilfegruppen sind wichtige Forderungen entstanden.

Ist es heute selbstverständlicher geworden, sich einer Gruppe anzuschließen als früher?

Ich denke, ja. Viele gesellschaftliche Tabus sind gebröckelt. Früher war die Maxime, etwas mit sich selbst auszumachen wesentlich ausgeprägter. Auch durch das Öffentlich machen von Prominenten gibt es heute weniger Tabus. Daraus resultiert eine niedrigere Hemmschwelle, sich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe zu suchen.

Wie genau unterstützt denn eine Selbsthilfegruppe?

Für Menschen mit Leidensdruck ist es entlastend, wenn sie merken, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind. In der Gruppe finden sie Anknüpfungspunkte. Hinzu kommt, dass die Teilnehmenden oft Experten in ihrem Anliegen sind. Sie können sich gegenseitig mit Wissen, Tipps und konkreten Hilfen unterstützen.

Tag der offenen Tür am Freitag

Derzeit findet eine bundesweite Aktionswoche statt, an der sich die Kölner Selbsthilfe-Kontaktstelle beteiligt.

Vor Ort erhalten Interessierte Informationen bei einem Tag der offenen Tür an diesem Freitag, 9. September, von 11 bis 17 Uhr in der Kontaktstelle, Marsilstein 4-6. Man kann unverbindlich bei Kaffee und Kuchen ins Gespräch kommen.

Eine Übersicht über alle Angebote gibt es alphabetisch geordnet online. (dha)

Die Anonymen Alkoholiker dürften die bekannteste Gruppe sein. Worum geht es heute bei Treffen?

Um sehr viele ganz verschiedene Themen. Das reicht von A wie alleinerziehend bis zu Z wie Zwangserkrankungen. Wir haben in Köln rund 800 Selbsthilfegruppen. Grundsätzlich kann man ihren Schwerpunkt entweder ins Soziale oder ins Gesundheitliche einordnen. Alleine bei den chronischen Erkrankungen kommen durch die Fortschritte bei den Diagnosen immer mehr Gruppen hinzu. Wichtig ist auch, dass es Gruppen durchaus nicht nur für direkt Betroffene gibt, sondern auch für Angehörige. Die geraten zu oft aus dem Blick. Sie treffen sich in Gruppen entweder untereinander oder zusammen mit den Betroffenen.

Gibt es Trends?

Als Folge der Individualisierung mit immer mehr Singlehaushalten werden soziale Themen wichtiger. Die Nachfrage nach Themen wie Einsamkeit oder soziale Phobien und Ängste steigt. Teilweise ist das wohl auch eine Folge der Kontaktbeschränkungen während der Pandemie. Zudem wächst die Zahl der Gruppen, in denen sich nicht-deutschsprechende Menschen in ihrer Muttersprache austauschen. Vor allem türkischsprachige Gruppen gibt es viele.

Welche Aufgaben übernimmt die Selbsthilfe-Kontaktstelle?

Wir haben acht Mitarbeiterinnen, die aus den Bereichen soziale Arbeit kommen. Die Selbthilfe-Kontaktstelle gehört zur Kreisgruppe Köln des Paritätischen. In unserem Haus am Marsilstein haben wir zwei Gruppenräume, die von etwa 50 Selbsthilfegruppen genutzt werden. Wir beraten sowohl Menschen, die eine Gruppe gründen wollen als auch Menschen, die in eine bestehende Gruppe möchten. Neugründungen unterstützen wir bei den ersten Treffen, helfen bei der finanziellen Förderung, bei der Öffentlichkeitsarbeit und vernetzen mit Profis und anderen Ansprechpartnern. Zudem haben wir ehrenamtliche so genannte In-Gang-Setzer, die haben Erfahrung in Selbsthilfegruppen gesammelt und sich fortgebildet. Wir bieten auch Fortbildungen an und Supervision. Und wir unterstützen bei der Digitalisierung.

Stichwort Digitalisierung: Wie ist es mit Online-Treffen?

Die haben zugenommen. Wir haben ein Videokonferenzsystem entwickelt, das wir Gruppen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Übrigens ist die Kölner Entwicklung in ganz NRW übernommen worden. Videokonferenzen können reale Treffen nicht ersetzen, aber sie sind eine gute Möglichkeit, wenn es nicht möglich ist, sich zu treffen.

Kostet die Teilnahme an einer Gruppe etwas und wie oft trifft man sich?

Nein. Grundsätzlich ist die Teilnahme kostenlos. Je nach Gruppe kann es sein, dass Spenden gesammelt werden, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Die Gruppen treffen sich unterschiedlich oft, die Mehrzahl einmal wöchentlich, andere nur einmal im Monat oder Quartal. Einige sind geschlossene Gruppen, andere haben offene Gruppentreffen, zu denen mal spontan kommen kann. Meistens treffen sich etwa acht bis zwölf Personen für eine Zeit von eineinhalb bis zwei Stunden.