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Kölnerin über ihre Diagnose ME/CFS„Manchmal reicht die Kraft kaum zum Umdrehen“

Lesezeit 5 Minuten
Durch ihre Erkrankung ME/CFS ist Anna Marschke (21) oft stark geschwächt:  Ihr Hund macht deshalb eine Ausbildung zum Assistenzhund, um ihr Dinge wie Tabletten und Wasser bringen zu können.

Durch ihre Erkrankung ME/CFS ist Anna Marschke (21) oft stark geschwächt:  Ihr Hund macht deshalb eine Ausbildung zum Assistenzhund, um ihr Dinge wie Tabletten und Wasser bringen zu können. 

Durch ihre Krankheit ist Anna Marschke oft tagelang unter Schmerzen ans Bett gefesselt. Doch es wissen kaum Ärzte über ME/CFS Bescheid. 

Die erlösenden Worte ließen über ein Jahr auf sich warten. „Nein, Sie bilden sich das nicht ein“, versicherte ihre neue Hausärztin, nachdem Anna Marschke ihre Symptome aufgezählt hatte. Tagelange Schmerzen und Kraftlosigkeit, die sie ans Bett fesseln, Ohnmachtsanfälle, Luftnot und Migräne, sind nur ein paar davon. Nach einem Ärztemarathon, während dem die 21-jährige Kölnerin immer wieder hörte, ihr Leiden sei reine Kopfsache, erhielt sie im Januar die Diagnose ME/CFS. „Ich musste fast weinen. Endlich hatte ich das Gefühl, jemand nimmt mich ernst.“

ME/CFS bringt zahlreiche Erkrankungen und unter anderem grippeähnliche Symptome mit sich, die individuell variieren können. Über allem schwebt für die Betroffenen jedoch die Sorge vor dem nächsten „Crash“, so nennen sie das Leitsymptom von ME/CFS.

Wenn sie Stress, Anstrengungen oder Reize erleben – seien sie auch noch so klein – kann sich ihr ihr Zustand drastisch verschlechtern, sodass sie tagelang nicht aufstehen können. Dieser Effekt kann sofort oder erst Tage nach dem Auslöser eintreten. In Fachsprache wird diese Art der Belastungsintoleranz Post-Exertionelle Malaise (PEM) genannt.

Das Wort „Erschöpfung“ wäre eine untertriebene Bezeichnung dafür, wie Marschke berichtet: „Dann geht gar nichts mehr und die Kraft reicht kaum zum Umdrehen. Ich kann noch nicht mal Schmerztabletten aus den Blistern drücken. Meine Mutter muss mir helfen, mich umzuziehen. Aber selbst Berührungen tun weh.“

Tage oder Wochen müssen Betroffene laut Marschke in diesem Zustand ausharren. „In solchen Momenten kriegt man es mit der Angst zu tun, weil du ja nicht weißt, wann es wieder aufhört.“ Schon ein Gespräch, wie Anna es mit der Rundschau führt, kann zum nächsten „Crash“ führen. Die Kölnerin geht das Risiko trotzdem ein. Sie will für mehr Sichtbarkeit ihrer Krankheit kämpfen.

Das Unwissen, das teils unter Ärzten über ME/CFS herrscht, ist für die Betroffenen nicht nur belastend, weil man ihnen nicht glaubt. Es ist auch extrem gefährlich.
Anna Marschke (21), ME/CFS-Betroffene aus Köln

620.000 Behandlungsfälle mit der betreffenden Diagnose vermeldete die Kassenärztliche Bundesvereinigung allein für 2023. Experten gehen jedoch von über einer Million Betroffenen aus. Trotzdem steckt die Erforschung von ME/CFS in den Kinderschuhen. Deshalb gibt es auch kein Mittel dagegen.

Medikamente und Behandlungen, die zur Linderung der Symptome in Frage kommen, werden von der Krankenkasse aber meist nicht übernommen. „Ich habe seit Januar rund 1000 Euro für Untersuchungen, Behandlungen und Tests ausgegeben. Ich mache zum Beispiel eine Sauerstofftherapie gegen meine Durchblutungsstörung. Und das zahlt keine Kasse, weil noch nicht bewiesen ist, dass das hilft.“ Darauf, dass sie ME/CFS haben könnte, kam Marschke nicht durch ärztlichen Rat, sondern durch eigene Recherche.

„Das Unwissen, das teils unter Ärzten über ME/CFS herrscht, ist für die Betroffenen nicht nur belastend, weil man ihnen nicht glaubt. Es ist auch extrem gefährlich. Teilweise verschreiben die Ärzte Behandlungen, die den Körper noch zusätzlich schwächen. Meine frühere Hausärztin dachte, ich habe eine Angststörung und hat mir Physiotherapie verschrieben, damit ich mich nicht mehr so viel schone. Ich habe zwei Monate gebraucht, um mich davon einigermaßen zu erholen.“ Ihr aktuelle Hausärztin fand sie schließlich über eine Empfehlungsliste der „Deutschen Gesellschaft für ME/CFS“.

Bei der Belastungsintoleranz PEM bleibt es für die Betroffenen aber nicht. Marschke hat durch ME/CFS neben Asthma und Migräne auch ein Syndrom entwickelt, dass einen normalen Alltag in noch weitere ferne rücken lässt: 15 Minuten, länger kann sie nicht stehen, bevor sie in Ohnmacht fällt. Posturales Tachykardiesyndrom kurz PoTS heißt die Krankheit. Einkaufen, Bahnfahren, Putzen: Für die meisten alltäglichen Dinge braucht sie Hilfe von Freunden oder Familie.„Früher konnte ich anderthalb Stunden locker durch joggen.“ Heute zeigt die Smartwatch an ihrem Handgelenk eine Herzfrequenz von 140, wenn sie sich nur anzieht.

Die „Liegenddemo“ im vergangenen Jahr

Die „Liegenddemo“ im vergangenen Jahr

„Ich muss mir Gedanken darüber machen, ob es für mich nicht besser wäre, zurück zu meinen Eltern zu ziehen. Das fühlt sich für mich wie einen riesengroßen Rückschritt an. Als würde mir die Erkrankung auch mein letztes Stück Selbstständigkeit wegnehmen. Die Gespräche drehten sich auf einmal um Dinge wie ‚Haushaltshilfe‘ und ‚Pflegegrad‘ – Themen, von denen ich immer geglaubt hatte, dass ich sie eines Tages mit meinen Eltern besprechen würde – aber eben für sie und nicht für mich.“

Eigentlich studiert Anna Lehramt an der Uni Köln. Dafür ist sie aus der Eifel in die Domstadt gezogen. „Lehrerin zu sein ist mit ME/CFS aufgrund des vielen Stehens, der vielen Reize und höherer Infektanfälligkeit aufgrund meines geschwächten Immunsystems, aber gar nicht vereinbar. Ich schaffe es auch kaum, meinen Bachelor zu machen.“ Die Kölnerin hat schwere Konzentrationsstörungen. Manchmal verschwimmt ihre Sicht oder sie weiß nicht mehr, wie Zahlen heißen, die sie vor sich hat.

Statt ein aufregendes Studileben zu führen, muss Anna die meiste Zeit zuhause verbringen. Die Foto-Collagen an ihren Wänden zeigen Freunde, Urlaube und Partys. Eine Sommernacht am Rhein verbringen? Oder endlich mit ihrem Hund Bailey im Camper nach Schweden fahren? „Alles, was der Seele guttut, kann mein Körper nicht verkraften“, erklärt sie. „Du liegst die meiste Zeit einfach nur da während draußen, alles weiter geht.“ Was ihr bleibt, ist darauf zu hoffen, dass die Forschung zu ME/CFS voran schreitet. „Ich will einfach mein Leben wieder haben.“

Infos für Betroffene sowie Medizinpersonal gibt es auf der Website der „Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V.“.